Impuls

Digital Leadership: Schulleitungshandeln professionalisieren

von Anja Reiter
veröffentlicht am 17.05.2022
Lesezeit: 10 Minuten

Das Angebot an Schulleitungsqualifizierungen in Deutschland wird immer diverser, um den veränderten Herausforderungen von Schulleitungen und deren Teams gerecht zu werden. Was zeichnet gelungene Professionalisierungsangebote für Schulleitungen aus und welcher Führungsstil macht Schulen fit für die digitale Transformation?

Wenn es um digitalisierungsbezogene Schulentwicklung geht, ist das Evangelische Gymnasium Bad Marienberg im Westerwaldkreis stets ganz vorne mit dabei. 2004 gegründet, zeichnet sich die verpflichtende Ganztagsschule in Rheinland-Pfalz seit jeher durch ihr besonderes Engagement im Bereich informatischer Bildung aus: Das Gymnasium ist Informatik-Profil-Schule des Landes Rheinland-Pfalz und wurde von der Bitkom als Smart School ausgezeichnet.

Eigentlich wollte das Gymnasium in der Oberstufe auch längst das iPad als verpflichtendes Unterrichtsmedium eingeführt haben. Doch das Vorhaben scheiterte. Zwar herrsche im Kollegium insgesamt eine große Offenheit für die digitale Transformation, so Schulleiter Dirk Weigand, doch in der Frage der verpflichtenden iPads seien am Ende die Widerstände und Zweifel bei manchen Lehrkräften doch zu groß gewesen. „Wir sind auf einem sehr guten Weg“, sagt Weigand, „haben uns hier aber einen kleinen Dämpfer eingefahren.“

Um bei zukünftigen Veränderungsprozessen noch besser gewappnet zu sein, beteiligt sich Weigand immer wieder an Weiterbildungen, Austauschformaten und Schulleitungsqualifizierungen, unter anderem auch an Formaten des Forum Bildung Digitalisierung. Nicht nur allein, sondern gerne auch im Tandem mit Moritz Zöller, Lehrer für Deutsch, Geschichte und Informatik und Koordinator „Bildung in der digitalen Welt“. Die beiden erhoffen sich von den Formaten kollegialen Austausch und Inspiration für strukturiertes Projektmanagement, um Schulentwicklungsvorhaben nachhaltig umzusetzen. „Wir wollen wissen, wie wir konstruktiv mit Widerständen umgehen können.“

Sackgassen und Fehlschläge sind perfekt dafür geeignet, im Entwicklungsprozess zu neuen, passenderen Lösungen zu finden.

Das Angebot an Qualifizierungen für Schulleitungen wächst

Bei Fragen der digitalen Schulentwicklung stehen Schulleitungen häufig vor großen Herausforderungen: Wie sollen Projekte digitaler Schulentwicklung an der Schule angestoßen, umgesetzt und kommuniziert werden? Welcher Führungsstil ist gefragt, um Schulen fit für die digitale Welt zu machen? Wie bindet man Kolleg:innen, Eltern, Schüler:innen und Schulträger in den digitalen Transformationsprozess ein – und wie managt man die Vielzahl an Ideen? In ganz Deutschland gibt es punktuelle oder mehrtägige Schulleitungsqualifizierungen, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen und Schulleitungshandeln zu professionalisieren. Sie werden von Landesinstituten, Kultusministerien, Stiftungen und Akademien angeboten – und richten sich wahlweise exklusiv an Schulleitungen oder an erweitere Führungsteams und Steuerungsgruppen.

Auch das Forum Bildung Digitalisierung beschäftigt  sich seit Längerem mit der Frage,  wie Schulleitungsqualifizierungen dazu beitragen können, digitale Schulentwicklungsprojekte voranzubringen. Gemeinsam mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) entwickelte das Forum 2020 eine mehrteilige Schulleitungsqualifizierung. Im zweiten Durchlauf von Oktober 2021 bis Ende April 2022 wurden rund 20 Schulleitungs-Teams für die Gestaltung der digitalen Transformation an ihren Schulen fit gemacht. „Das Projekt war für uns ein wichtiger erster Schritt im Prozess. Wir haben ein besseres Verständnis über die Bedarfe der Schulleitungen und ihrer Teams gewonnen und konnten Ansätze und Konzepte gemeinsam mit dem LISUM ausprobieren“, erklärt Bianca Ely, Projektmanagerin beim Forum, und ergänzt: „Wir wollten wissen, was es für eine digitalisierungsbezogene Schulleitungsqualifizierung jetzt und heute braucht.“ Schnell habe man festgestellt, dass insbesondere Aspekte der Haltung wichtig seien, genauso wie eine Kultur, des Teilens und die Offenheit, gemeinsam mit dem Team auch mal Dinge auszuprobieren. Auch auf die Gefahr hin, dass am Anfang nicht alles glatt läuft. Aber genau darin liegt der Lernprozess. Sackgassen und Fehlschläge sind perfekt dafür geeignet, im Entwicklungsprozess zu neuen, passenderen Lösungen zu finden.

Impulse zur Stärkung von Professionalisierungsangeboten

Um einen Überblick über die Angebotslage und einen Einblick in gelungene Ansätze und mögliche Leerstellen digitalisierungsbezogener Qualifizierungsangebote für Schulleitungen und ihre Teams zu erlangen, hat das Forum Bildung Digitalisierung 2021 ein Autor:innenteam unter der Leitung von Pierre Tulowitzki, Fachhochschule Nordwestschweiz, mit der Erstellung eines Impulspapiers beauftragt. Das Impulspapier „Schulleitungen und digitale Schulentwicklung“ liefert Hintergrundwissen und Handlungsimpulse für Entscheider:innen in Bildungspolitik und -verwaltung und zeigt lösungsorientierte Impulse zur Stärkung von Professionalisierungsangeboten für Schulleitungen auf.

Die Erkenntnisse, die durch die Qualifizierungsreihe mit dem LISUM gewonnen wurden, , fließen nun in ein neues Projekt ein. Seit Oktober 2021 entwickelt das Forum in Kooperation mit der Dieter Schwarz Stiftung mit der Akademie für Innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken gemeinnützige GmbH (aim) sowie der Wübben Stiftung ein neues Angebot zur digitalisierungsbezogenen Schulleitungsqualifizierung. „Die Stärke unseres Angebots liegt auch in der Expertise und dem Praxiswissen unserer Projektpartner“, so Bianca Ely. 

Das Angebot soll Schulleitungen dazu befähigen und darin bestärken, Entwicklungsvorhaben zur digitalen Transformation an ihrer Schule professionell umzusetzen. Ein erstes Qualifizierungskonzept zum Thema „Digital Leadership“ wurde im Mai 2022 veröffentlicht. Das Angebot wird sukzessive erweitert und perspektivisch um Train-the-Trainer-Format ergänzt: Auf diese Weise sollen Multiplikator:innen im Bereich der Schulleitungsqualifizierung erreicht werden, die den Ansatz und das pädagogische Konzept dahinter kennenlernen können. Um möglichst viele Personenkreise zu erreichen, werden die Konzepte unter offener Lizenzierung zur bedarfsgerechten Weiterentwicklung veröffentlicht. 

Theorie U: Nicht immer ist der direkte Weg der beste

Sabine Marsch ist Oberstufenkoordinatorin an der Montessori Oberstufe, einer kleinen, freien Schule mit knapp 50 Schüler:innen in Berlin. Als Coachin und Moderatorin begleitet sie auch immer wieder Schulleitungsqualifizierungen. Für das Forum Bildung Digitalisierung ist sie als Prozessbegleiterin im Rahmen der Schulleitungsqualifizierungen tätig. „Als Schulleiterin ist man manchmal einsam“, sagt Sabine Marsch. „Ich möchte dabei helfen, Möglichkeiten zum Austausch zu schaffen.“ In ihren theoretischen Inputs arbeitet Sabine Marsch gerne mit der Theorie U. Diese Theorie wurde von Otto Scharmer am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt. 

Für Sabine Marsch illustriert die Form des Buchstaben U, dass bei Veränderungsprozessen nicht immer der direkte Weg der beste ist. „Wer immer auf direktem Weg von A nach B möchte, wird sich die Hörner abstoßen“, so Marsch. „Stattdessen gilt es, sich auf dem Weg erst selbst in den Blick zu nehmen – und dann die anderen.“ Wer oder was treibt mich an? Welche Widerstände von anderen könnten auftauchen? Erst danach sollte man in einen gemeinsamen, ergebnisoffenen Kreationsprozess gehen. „Es ist wichtig, nicht immer die eigenen Vorannahmen und Ideen als einzig richtige Version anzusehen, sondern auch offen für neue Ideen und Experimente zu sein. Um das zu leisten, muss eine gute Führungskraft besonders gut zuhören können.“

Neben diesem theoretischen Input steht für Sabine Marsch vor allem der Netzwerk-Aspekt im Mittelpunkt. „Die teilnehmenden Schulleitungen sind allesamt Expert:innen“,  so Sabine Marsch, „der vertrauensvolle Dialog wird daher immer sehr geschätzt. Wann hat man schon die Möglichkeit, sich mit vielen anderen Schulleitungen über Ideen und Erfahrungen auszutauschen?“ Dabei gehe es immer auch um Fragen der eigenen Verortung: Wo verorte ich meine Rolle als Schulleitung, sehe ich mich selbst eher als Innovator:in oder Bewahrer:in? Bin ich selbst diejenige, die jedes Tool und jede Funktion kennen muss, oder ist es meine Rolle, den Überblick zu behalten und eine Vision für die Schule zu haben?

»Es ist wichtig, nicht immer die eigenen Vorannahmen und Ideen als einzig richtige Version anzusehen, sondern auch offen für neue Ideen und Experimente zu sein.«

Sabine Marsch

Nicht nur punktuelle Fortbildungen, sondern längerfristig Veränderungen begleiten

Beim Auftakt-Projekttreffen zum neuen Angebot des Forum Bildung Digitalisierung im Oktober 2021 teilte auch Nicole Wrana, Leiterin der Grundschule Bogenstraße in Solingen, ihr Erfahrungswissen. Die Schulleiterin engagiert sich nebenberuflich bei der Bezirksregierung Düsseldorf – als Moderatorin, Inputgeberin und Fortbildnerin. „Bei gelingender Schulleitungsqualifizierung geht es nicht darum, Powerpoint-Folien aneinanderzureihen, sondern darum, Impulse anzubieten, die zum Nachdenken anregen und ein Angebot zu machen, das sich an den Bedürfnissen der einzelnen Schulen orientiert.“ Die Qualifizierungsmaßnahmen würden immer dann besonders gute Früchte tragen, wenn sie nicht nur punktuell stattfinden, sondern im Rahmen eines längeren Prozesses Veränderungen begleiten.

Wie aber gelingt es, sich im stressigen Schulleitungs-Alltag Zeit zu nehmen für Fortbildung, Reflexion und Austausch? „Die Fortbildung muss so aufgebaut sein, dass sie keine zusätzliche Belastung für die Schulleitung ist, sondern eine Unterstützung“, so Nicole Wrana. Wenn Qualifizierungsmaßnahmen an den Bedarfen der Schule orientiert sind oder sogar direkt an Projektvorhaben gebunden, werden sie zu einer Entlastung an anderer Stelle. „Es muss aber auch von den Verantwortlichen gesehen werden, dass es zum Schulleitungsberuf dazugehört, sich kontinuierlich weiter zu qualifizieren, zu professionalisieren – und dass dies Bestandteil der Arbeitszeit ist.“

 „Schulleitungen müssen eine Idee von der digitalen Zukunft haben“

Geht es um Schulleitungsqualifizierungn, ist das Angebot in Deutschland sehr divers und vielfältig. Ewald Blum leitet an der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) im schwäbischen Dillingen den Bereich der schulischen Qualifizierung von Führungskräften. Eine Veranstaltungsreihe widmet sich dem Thema Digital Leadership. Im Fokus der Reihe stehen auch hier theoretischer Input, Reflexion und Austausch mit anderen Schulleitungen. „Als Schulleitung muss man nicht jedes digitale Tool kennen“, so Blum, „sondern eine Idee von der digitalen Zukunft haben und Kolleg:innen dazu motivieren, diese mitzugestalten.“ 

Letztlich bräuchten Schulleitungen in drei zentralen Bereichen Kompetenzen: Im Bereich der Selbstführung müssten sie lernen, eine positive Haltung gegenüber der Digitalisierung einzunehmen – selbst wenn sie selbst bislang innere Widerstände verspürten. Im Bereich der Menschenführung müssten sie in der Lage dazu sein, die kollektive Intelligenz ihres Kollegiums zu nutzen und die besonderen Talente jedes Einzelnen gewinnbringend einzusetzen. Und im Bereich der Organisationsführung müsse es ihnen gelinge, die gesamte Organisation in die digitale Welt zu transformieren. „Für Schulleitungen ist es wichtig, in Sachen Digitalisierung als Vorbild zu wirken – und nicht von den Kolleg:innen zu erwarten, dass sie ihren Unterricht digitalisieren, während man selbst mit Stift und Papier arbeitet.“

»Die Fortbildung muss so aufgebaut sein, dass sie keine zusätzliche Belastung für die Schulleitung ist, sondern eine Unterstützung.«

Nicole Wrana

Fazit: Transfer ins Kollegium sicherstellen, Evaluation ermöglichen

Dirk Weigand und Moritz Zöller vom Evangelischen Gymnasium Bad Marienberg gehen gestärkt aus dem Austausch mit den anderen Schulleitungen hervor. „Man sieht, dass andere Schulen ähnliche Probleme haben –  und kann Ideen mitnehmen, wie man diese angehen kann“, sagt Moritz Zöller. Demnächst ist sogar ein Besuch bei einer Schule geplant, die ebenfalls an der Qualifizierungsreihe des Forum Bildung Digitalisierung teilgenommen hat und in Sachen digitaler Unterrichtskultur noch einen Schritt weiter ist. In den Eingangsklassen sollen dort demnächst die Fächer aufgelöst werden. „Auch bei uns träumen einige diesen Traum“, so Weigand, „daher fiebern wir bei diesem Schritt besonders mit.“

Aus Dirk Weigands Sicht ist es wichtig, auch den Transfer des Gelernten in Richtung des Kollegiums sicherzustellen. Der Schulleiter hat deshalb eine Steuerungsgruppe gebildet, die die Fäden zusammenhängt und koordiniert. Außerdem arbeitet er daran, Entscheidungen an der Schule transparenter zu machen. „In den Gesamtkonferenzen berichten wir immer über die nächsten Schritte der Schulentwicklung“, so Weigand, „außerdem haben wir klare Ziele formuliert und eine Zeittafel entwickelt.“ 

Nicht zuletzt sei auch die Evaluation und Analyse im Rahmen der digitalen Schulentwicklung wichtig. Wie ist der Ist-Zustand – und wie verändert sich die Lage im Laufe des Prozesses? „Wir haben erkannt, dass viele in unserem Kollegium eine empirische, quantitative Evaluation schätzen.“ Um hier stets auskunftsfähig zu sein, arbeite die Steuerungsgruppe mit evidenzbasierten Methoden wie Umfragen. So stelle man sicher, dass am Ende auch die wichtigste Gruppe nicht vergessen werde: die Kinder und Jugendlichen.

Anja Reiter

Anja Reiter arbeitet als freie Journalistin in Bonn, vor allem zu Bildungs-, Umwelt-, Digitalisierungs- und Gesellschaftsthemen. Zu ihren journalistischen Auftraggebern zählen Die ZEIT, die Süddeutsche Zeitung und das Greenpeace Magazin. Daneben hilft sie bei der Konzeption von Magazinen, gibt Workshops für journalistischen Nachwuchs und moderiert Podiumsdiskussionen. Außerdem ist sie im Vorstand der Freischreiber aktiv, dem Berufsverband der freien Journalist:innen. 

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