Gastbeitrag
Digital Learning Leadership – Grundzüge eines Qualifizierungskonzepts
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veröffentlicht am 26.11.2020
Lesezeit: 10 Minuten
Damit Schulleitungen und pädagogische Führungskräfte in der digitalen Welt sicher agieren können, braucht es ein neues Rollenverständnis hin zu Digital Learning Leadership. Wie gelingt es, Führungskräfte, die für die digitale Transformation in ihren Schulen Verantwortung tragen, entsprechend zu qualifizieren? Welche Kompetenzen benötigen sie und wie kann es gelingen, Qualifizierungsformate zu konzipieren und wirksam werden zu lassen?
Schulleitungen gestalten als pädagogische Führungskräfte die Zukunft ihrer Schulen. Sie integrieren die Digitalisierung in die Schulkultur und verabreden Arbeitsstrukturen, weil sie Digitalisierung als Katalysator für eine sich verändernde Lern- und Unterrichtskultur begreifen. Dabei entwickeln und steuern sie die eigene Digitalisierungsstrategie im Dialog mit dem Kollegium, mit Schulträgern und anderen Akteuren.
Schulleitungen sind also Schlüsselfiguren, indem sie als Digital Learning Leaders Räume für das Zeitalter der Digitalität öffnen. Gemeinsam mit allen, die für die digitale Transformation in der Schule bereits Verantwortung tragen oder übernehmen wollen, gilt es daher, ein Grundverständnis für das Zusammenwirken von pädagogischen Prozessen und technischer Infrastruktur zu entwickeln und die Digitalisierung vor dem Hintergrund von Schul-, Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung wirksam werden zu lassen (vgl. Fugmann 2020).
Digital Learning Leaders als Agenten des Wandels
Angesichts der Herausforderungen, die das Lernen auf Distanz mit sich bringt, müssen sich Führungskräfte zwangsläufig mit neuen Formen des Lernens auseinandersetzen, damit sie mit ihren Kollegien und Schulgemeinschaften fundierte pädagogische Konzepte entwickeln können, die ihren Schüler:innen nicht nur während potenzieller Schulschließungen fachlichen und überfachlichen Kompetenzerwerb digital gestützt ermöglichen. In diesem Kontext sind Digital Learning Leaders besonders herausgefordert: Sie überprüfen und entwickeln ihre eigenen Haltungen zu digital gestütztem Lernen weiter, erkennen, dass sich die Schule in einer Phase des disruptiven Wandels befindet und sie in dem agilen Prozess, der immer noch von vielen Widerständen und Ängsten begleitet wird, führen und leiten. Damit sind Führungskräfte mehr denn je als risikofreudige Innovator:innen gefragt.
Digital Learning Leaders sollten in der Lage sein, die Umbrüche gestalten zu können, mit denen die Schule derzeit kulturell, sozial und technologisch konfrontiert wird (Rolff 2019, S. 152). Scharmer spricht in diesem Zusammenhang vom „Erneuern von der Zukunft her“ (2007, S. 41f.), die allerdings noch so unbestimmt ist, dass Digital Learning Leaders zunächst schulische Ökosysteme schaffen müssen, in denen Zukunftsbilder überhaupt erst entstehen können. Auch wenn derzeit der schulische Regelbetrieb in Aussicht gestellt wird, ist anzunehmen, dass die durch die Pandemie ausgelösten Transformationsprozesse der letzten Monate tiefe Spuren hinterlassen werden. Umso mehr wird es darauf ankommen, aus der Zukunft heraus zu denken, um so die Gegenwart zu gestalten.
Längst herrscht Konsens darüber, dass die Lernkultur nicht mehr ausschließlich auf Wissenserwerb im Frontalunterricht, sondern auf einen Mix aus Lehr- und Lernkonzepten ausgerichtet sein sollte: Dazu gehören inhaltlicher Fachunterricht, Projektunterricht, digitale, selbstgesteuerte Arbeit, Coaching und flexible Lernzeit (vgl. Meyer & Junghans 2019). Dies gilt für das Lernen in Präsenz ebenso wie für das Lernen auf Distanz: Beide Formen erfordern die Verständigung auf eine personalisierte Lern- und Unterrichtskultur, die darauf abzielt, mit anspruchsvollen, kompetenzorientierten Lernsettings auch im Distanzlernen die Neugier, Fantasie und Kreativität zu fördern, die Kinder brauchen, wenn sie in der digitalisierten Welt zu lebenslang Lernenden werden sollen.
Die Personalisierung des Lernens auf Distanz kann gut gelingen, wenn Schulen mit geeigneten Lernmanagementsystemen und Kommunikationsplattformen ausgestattet sind, die einheitliche didaktisch-methodische Rahmungen für die Unterrichtsentwicklung zur Verfügung stellen. Das schließt die Unterstützung von Kolleg:innen bei der täglichen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts ebenso mit ein wie die Gestaltung des Umgangs mit Heterogenität, die mit der Personalisierung des Lernens adressiert werden soll. Digital Learning Leaders initiieren und begleiten die Veränderungen des digitalen Kulturwandels und eröffnen Innovationsräume, in denen neue Formen des Lernens und Unterrichtens durch professionelle Lerngemeinschaften kollaborativ entwickelt werden können. Den Wandel zu gestalten, erfordert ein gut abgestimmtes Vorgehen aller Beteiligten, denn die in diesem Prozess durch die Verschmelzung von Digitalem und Analogem induzierten Veränderungen im Gesamtgefüge des Lernens und Zusammenarbeitens in der Schule werden auch alle Beteiligten betreffen.
Digital gestützte Kommunikation und Kollaboration als Führungsaufgabe
Wir beobachten insbesondere mit der Corona-Pandemie, dass die Anforderungen an schulische Kommunikation und transparente Gestaltung von Entscheidungsprozessen exponentiell gestiegen sind. Besonders in den Distanzphasen möchte die Schulgemeinschaft stets über die aktuellen Entwicklungen informiert sein und fordert Feedback über die Lernfortschritte ein. Den schulischen Mitwirkungsgremien reichen die üblichen Kommunikationswege, wie sie in traditionellen Schulverwaltungsprozessen angelegt sind, nicht mehr aus.
Change Management gelingt dort gut, wo es Digital Learning Leaders gelingt, die Akteur:innen für neue Rollen, Funktionen und Aufgaben zu sensibilisieren und zu gewinnen. Das bedeutet, dass sie auf Augenhöhe mit allen am Schulleben Beteiligten digital gestützt kommunizieren müssen. Kommunikation, Diskussion und Konsensfindung außerhalb von Präsenzsitzungen über geteilte Dokumente, Foren, Chats, Videokonferenzen und Wikis im nicht-hierarchischen Raum sind aus der Schule des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken.
Change Management gelingt dort gut, wo es Digital Learning Leaders gelingt, die Akteur:innen für neue Rollen, Funktionen und Aufgaben zu sensibilisieren und zu gewinnen.
Qualifizierung zum Digital Learning Leader
Ziel jeder Qualifizierung in Digital Learning Leadership sollte es sein, grundlegendes Führungswissen in Bezug auf die Anforderungen der digitalen Transformation zu vermitteln und somit die Teilnehmenden zu befähigen, die Digitalisierung an der eigenen Schule mit Fokus auf Schul- und Unterrichtsentwicklung anzustoßen und umzusetzen. Die Qualifizierung richtet sich nicht nur an Schulleiter:innen, sondern soll auch Stellvertreter:innen, Abteilungs-, Stufen- und didaktische Leiter:innen, Fachkonferenzvorsitzende oder Leiter:innen von Digital-AGs ansprechen, die Aufgaben und Verantwortung für Schul- und Unterrichtsentwicklung in der digitalen Transformation übernehmen. Systeme mit numerisch kleineren Personaltableaus, in denen die Delegation von Aufgaben nicht ohne Weiteres möglich ist (insbesondere Grund- und Förderschulen), könnten sich zu zunächst informellen Verbünden oder Netzwerken zusammenschließen und über die eigene Schule hinaus Aufgaben verteilen.
Digital Learning Leadership-Qualifizierung
Das Angebot einer Digital Learning Leadership-Qualifizierung wurde 2016 von Martin Fugmann (OStD) und Prof. em. Dr. Hans-Günter Rolff konzipiert und wird derzeit von Martin Fugmann (Studiengangs- leitung) und Prof. Dr. Birgit Eickelmann (wissenschaftliche Leitung) durch die DAPF überregional angeboten. Der elftägige Zertifikats- kurs umfasst fünf inhaltliche Module und ein Prüfungsmodul. Die Kurse werden bundesweit angeboten.
Im internationalen Umfeld greifen Fortbildungskonzepte im Bereich Digital Learning Leadership auf die ISTE-Standards zurück, die Kompetenzen für schulische Führungskräfte (Education Leaders) in einem international anerkannten Rahmenkonzept definieren.
Für die Qualifizierung schulischer Führungskräfte auf allen Ebenen ließe sich der Bereich Digital Lear- ning Leadership auf der Basis der ISTE-Standards in alle bestehenden Fortbildungsformate integrie- ren. Damit könnte ein Ansatz verfolgt werden, der Kompetenzen in der digitalen Welt nicht isoliert behandelt, sondern die kulturellen Veränderungen, die die digitale Transformation für die Gesellschaft insgesamt mit sich bringt, aufgreift und die dazu notwendigen Führungskompetenzen aufbaut.
Die Qualifizierungsmaßnahmen könnten sich demnach an den folgenden, modular aufgebauten Inhaltsbereichen orientieren:
- Personalisierung des Lernens als Schulentwicklungsziel: Digital Learning Leaders als Advocates of Citizenship and Equity
- Integration digitaler Instrumente in den Fachunterricht: Digital Learning Leaders als System Designer
- Innovationsprozesse gestalten – nachhaltig wirken: Digital Learning Leaders als Visionary Planners und Empowering Leaders
- „Wie bleiben wir in Verbindung?“ – Digitale Kommunikationswerkzeuge und Plattformen und ihre Wirkungsweisen: Digital Learning Leaders als Connected Learners
In der Qualifizierung reflektieren angehende Digital-Learning-Leaders-Konzepte des persona- lisierten Lernens (Holmes et al. 2018) in Bezug auf die digitale Transformation von Schule und leiten daraus relevante Schulentwicklungsperspektiven ab. Ausgehend von der Beschreibung und Reflexion der Ausgangslagen ihrer Schulen entwickeln sie Zukunftsbilder, reflektieren ihre Rollen, Funktionen und Aufgaben, machen sich mit nationalen und internationalen Kompetenzprofilen und Orientierungsrahmen vertraut und lernen Modelle und Methoden kennen, die in besonderem Maße geeignet sind, Innovationsprozesse agil und wirksam zu gestalten.
Auf den Ebenen der Schul- und Unterrichtsentwicklung gehen Digital Learning Leaders der Frage nach, was personalisierte, kompetenzorientierte Unterrichtsarbeit in der digitalen Welt bedeutet und erfordert. Sie entwickeln Konzepte, die darauf abzielen, technische Ausstattung, Apps, Lernprogramme, Software-Pakete und Lernmanagement- systeme in didaktische Konzepte zu integrieren und vor dem Hintergrund der didaktischen Dimensionen zu reflektieren und zu evaluieren. Sie lernen verschiedenste didaktische Modelle kennen und treffen begründete Auswahlentscheidungen, die geeignet sind, Kollegien für den Wandel zu gewinnen und für die Anwendung digitaler Werkzeuge im Unterricht vor dem Hintergrund didaktisch-methodischer Entscheidungen zu motivieren. Dabei soll auch eine Rolle spielen, wie sich die digitale Ausstattung in gemeinsamer Verantwortung mit Schulträgern so gestalten lässt, dass lernförderliche digitale Lernumgebungen entstehen, mit denen ihre Schulen den Herausforderungen synchronen und asynchronen Lernens begegnen können.
ISTE-Standards
Die International Society for Technology in Education (ISTE) hat 2018 in Standards definiert, was heute von schulischen Führungskräften erwartet wird. Sie sollten über Kompetenzen verfügen, die in der digitalen Transformation von Bildung von hoher Relevanz sind und weit über technisch-instrumentelle Fähigkeiten hinausgehen:
- Advocates of Citizenship and Equity (Befürworter für Chancen- gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung)
- Connected Learners (Vernetzte Lernende)
- Visionary Planners (Visionäre Gestalter)
- Empowering Leaders (Führung durch Befähigung, Ermächtigung und Ermöglichung)
- System Designers (Systemdesigner)
Methodische Konzeption des Qualifizierungsangebots
Die digitalisierte Welt erfordert eine neue Lernkultur, die sich insbesondere in der Qualifizierung von Digital Learning Leaders widerspiegeln sollte. Insofern sollten die Erfordernisse einer sich verändernden Lern- und Arbeitskultur auf die Digital-Learning-Leadership-Maßnahmen übertragen werden:
Lernverständnis in verschiedenen Epochen nach Lisa Rosa
Das in der Abbildung dargestellte Lernverständnis in verschiedenen Epochen lässt sich auch auf den Bereich der Fortbildung von Lehr- und Führungskräften übertragen, die auf Selbstwirksamkeitserfahrungen, Verantwortung für das selbstständige Lernen und die Kompetenz zur Selbstführung abzielt.
Jedes Qualifizierungsangebot für Digital Learning Leaders sollte daher modular und flexibel aufgebaut und je nach persönlichem Bedarf sowohl inhaltlich als auch methodisch zusammenstellbar sein. Fortbildungsmodule könnten online mit nachbereitenden Offline-Anteilen gebucht werden und Blended Learning in Kombination mit Präsenzangeboten sollte die Regel sein.
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt jeder Qualifizierung zum Digital Learning Leader sollte auf der Persönlichkeits- und Personalentwicklung sowie der Kompetenz für die Gestaltung der Zukunft liegen. In den Modulen lernen die Teilnehmenden innovationsfördernde Verfahren und Methoden wie z. B. Design Thinking, U-Journaling Practice, Stakeholder-Interviews, Achtsamkeitsübungen und vieles mehr kennen und erweitern so ihr Repertoire an agilen Projektmanagement-Methoden aus Konzepten wie Scrum oder Project Canvas.
Blick in die Zukunft (2025): Die Qualifizierung von Digital Learning Leaders zeigt Wirkung
Digital Learning Leaders sind in allen Aspekten der Schulentwicklung gefragt: Als Agent:innen des Wandels entwickeln und verantworten sie Leitbilder, Visionen und Zukunftskonzepte, schaffen Verbindlichkeit, übersetzen Bildungsziele und Bildungsstandards und geben die Rahmen vor, in denen sich ihre Systeme bewegen. Das Team der Digital Learning Leaders steuert die Unterrichtsentwicklung hin zu einer personalisierten Lernkultur entlang der Potenziale von Plattformen und geeigneten didaktischen Modellen, die das Lernen verbessern und vertiefen. Digital Learning Leaders sind in- und außerhalb der Schule vernetzt und nutzen digitale Medien zur eigenen Professionalisierung und zur Entwicklung ihrer Schule.
Digital Learning Leaders verfügen 2025 über Kompetenzen, die sie als Impulsgeber:innen, Visionär:innen, Beziehungsgestalter:innen, Projektsteuer:innen und Kommunikator:innen benötigen. Sie motivieren und begleiten ihre Kollegien auf dem Weg bei der Integration neuer Technologien in die pädagogischen Unterrichtskonzepte, schaffen Modelle für neues Lernen und formen gleichzeitig die Bedingungen, unter denen das Lernen in der Schule des 21. Jahrhunderts zukunftsorientiert gelingen kann (Schönstein & Fugmann 2020b).
Literatur
- Fugmann, M. (2017): Die Bedeutung von Lernmanagementsystemen für die Unterrichtsentwicklung. In: Journal für Schulentwicklung 3, S. 19-26
- Fugmann, M. (2020): Auf das Lernmanagementsystem kommt es an. Ein Plädoyer für Systemoffenheit und cloudbasierte Lernräume. In: H.-G. Rolff & U. Thünken: Digital gestütztes Lernen. Praxisbeispiele für eine zeitgemäße Schulentwicklung. Weinheim: Beltz, S. 133-142
- Fugmann, M., Eickelmann, B. & Neubauer, D. (2019): Schule zeitgemäß leiten. Perspektiven für die Schulleitungsqualifizierung in der digitalen Welt. In: J. Teichert & B. Ratajczak (Hrsg.): Digitalisierung: Neue Aufgaben der Schulleitung. Weinheim: Beltz, S. 31-40
- Fullan, M. (2014): The Principal. Three Keys to Maximizing Impact. San Francisco: Jossey-Bass
- Holmes, W., Anastopoulou S., Schaumburg, H. & Mavrikis, M. (2018): Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien. Ein roter Faden. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung
- Meyer, H. & Junghans, C. (2019): Zwölf Prüfsteine für die Arbeit mit digitalen Unterrichtsmedien. Ratschläge zur kritischen Analyse. In: S. G. Huber (Hrsg.): Jahrbuch Schulleitung 2019. Impulse aus Wissenschaft und Praxis. Köln: Carl Link, S. 354-380
- Rolff, H. G. (2019): Change Management: Vom geplanten zum disruptiven Wandel. In: H. G. Rolff: Wandel durch Schulentwicklung. Essays zu Bildungsreform und Schulpraxis. Weinheim: Beltz, S. 139.
- Scharmer, C. O. (2007): Theorie U: Von der Zukunft her führen. Heidelberg: Carl-Auer
- Schönstein, V. & Fugmann, M. (2020): Fortbildung für Digital Learning Leaders gestalten – Von der Instruktion zur Konstruktion. In: Schulleitung im Wandel der Zeit. Journal für Schulentwicklung Innsbruck, Wien, Bozen: Studien Verlag (in Druck).