Gastbeitrag

Digitalität, Schulentwicklung und Schulleitungshandeln – Digitale Transformation pädagogisch verstehen, integrativ gestalten und gemeinsam handeln

von Prof. Dr. Stephan Gerhard Huber
veröffentlicht am 27.03.2023
Lesezeit: 7 Minuten

Die digitale Transformation ist schon seit vielen Jahren in vielen gesellschaftlichen Bereichen stark spürbar. Der Bildungskontext schien dieses Thema bislang sehr unterschiedlich intensiv – manchmal beherzt und engagiert, bisweilen aber auch zögerlich – aufzugreifen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Aufgrund der Corona-Pandemie hat diese Transformation nun zwangsläufig  auch im Kontext der Bildung starke Beachtung erhalten.

Die Aufgaben liegen auf der Hand: Es gilt einerseits, die digitale Transformation zu begleiten, indem Schüler:innen vorbereitet und aufgeklärt werden über Technologien und deren Möglichkeiten sowie die erwünschten und unerwünschten Nebeneffekte. Anderseits kommt es auch darauf an, die digitale Transformation zur Verbesserung von Bildungsprozessen zu nutzen – sei es unter diagnostischen Gesichtspunkten oder unter der Perspektive der Darbietung von Informationen und des intelligenten Übens gemäß dem Lernstand. Darüber hinaus dient die Digitalisierung natürlich auch der gesamten schulischen Arbeit, wozu der Bereich der Organisation, des Personals sowie die Vernetzung der Schule in ihrem Umfeld gehören. 

Grundlegend können mit einer doppelten Perspektive auf „digitale Transformation, Bildung und Schule“ zwei Fragen formuliert werden:

  1. Wie kann die digitale Transformation bei der Sicherung und Weiterentwicklung schulischer Arbeit helfen und dafür genutzt werden?
  2. Wie kann schulische Arbeit die digitale Transformation begleiten und im Rahmen des Bildungsauftrags Schüler:innen auf das Leben in einer digitalen Welt vorbereiten?

Daran anknüpfend entfächern sich viele Fragen und Perspektiven – einige davon versucht dieser Beitrag zu beantworten.

Die Ausführungen berücksichtigen den Arbeitskontext im Rahmen der konzeptionellen Entwicklung des Lernsystems DigiLead. Innerhalb dieser digitalen Fortbildungsoffensive wurden und werden in Nordrhein-Westfalen bis Ende 2022 Angebote für 5.400 Schulleitungen und ihre Führungsteams entwickelt. Das Online-Kursprogramm sowie weitere Materialien stehen bis Mitte 2023 kostenfrei zur Verfügung.

Digitalität, Schulentwicklung und Schulleitungshandeln

Schulleitungen mit ihren Kollegien sind verantwortlich für die Handlungskoordination schulischer Arbeit und damit für deren Sicherung und Weiterentwicklung. Im Zentrum steht die Frage nach Bildung und qualitativ hochwertigen Lehr-Lern-Arrangements. Um diese zu sichern und weiterzuentwickeln, spielen Fragen des Personals, der Organisation und des Umfelds der Schule eine wichtige Rolle. Als Responsible Leaders agieren Schulleitungen und ihre Teams im Erzeugen von Handlungskoordination strategisch: Ziele und Maßnahmen werden identifiziert, verfolgt und umgesetzt. Strategisches Handeln im Sinne der BIO-Strategie (Huber 2020) umfasst die Integration der drei Aspekte Bewahren, Optimieren und, Innovieren. 

»Als Responsible Leaders agieren Schulleitungen und ihre Teams im Erzeugen von Handlungskoordination strategisch: Ziele und Maßnahmen werden identifiziert, verfolgt und umgesetzt.«

Prof. Dr. Stephan Gerhard Huber

Die digitale Transformation formuliert einen Anspruch an Schule, sie kann aber auch selbst eine Ressource sein. Schulleitungen identifizieren mit ihren Teams Möglichkeiten im Umgang mit digitaler Transformation. In der Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2021, die die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ ergänzt, werden „Digital Leadership“ und die digitale Transformation als Aufgabe der Schulleitung und Schulaufsicht formuliert. Dazu gehören auch konkrete Maßnahmen wie die Verankerung von Indikatoren einer digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung in die Handlungsrahmen der Länder.

Schule in der digitalen Transformation gestalten – ein Handlungsmodell

Für Schulleitungshandeln und die Gestaltung der Schule (der Zukunft) in einer digitalisierten Welt ist es relevant, „Digitalität“ pädagogisch zu verstehen und im Rahmen des Schulmanagements und der Schulentwicklung sowie gemäß der schulspezifischen Strategie integrativ zu gestalten. Die Handlungsbereiche werden in Abbildung 1 illustriert und sind wiederholt beschrieben (vgl. Huber 2005; 2012; 2022a; 2022b).

Abbildung 1: Handlungsmodell Schulgestaltung

Die Themen der an digitale Transformation adaptierten Handlungsbereiche seien hier angedeutet: 

  • Unterrichten: u. a. digitale Transformationsprozesse, digitale Lehr- und Lernressourcen, Schüler:innen- und Kompetenzorientierung, Veränderung der Lernsettings und -kultur, Diagnostik und individuelle Förderung, selbstorganisiertes Lernen, digitale Aufgaben- und Prüfungsformate. 
  • Erziehen: u. a. verantwortliche Mediennutzung, Informationskritik, Medienrecht und -ethik, Regeln, Normen und Werte. 
  • Beraten: u. a. digitale Möglichkeiten der Lernberatung, medienpädagogische Beratungskonzepte, interne und externe Kommunikationskonzepte. 

Den übergreifenden Rahmen bilden die schulleitungsspezifischen Dimensionen Personal, Organisation, Bildungslandschaft und Qualitätsmanagement:

  • Personal steht z. B. im Hinblick auf die kontinuierliche Professionalisierung des Kollegiums, multiprofessionelle Kooperationen und professionelle Lerngemeinschaften, digitale Kooperationsformen und Unterstützungsmechanismen für die Umsetzung neuer Lehr-Lern-Arrangements in der Praxis im Fokus. 
  • Organisation von Schule und Unterricht umfasst u. a. die technische Ausstattung und digitale Gesamtarchitektur, die Anpassung von Strukturen und Prozessen, Wissensmanagement, die Nutzung von digitalen Möglichkeiten in der Organisation und Verwaltung von Schule sowie die Entwicklung eines schulischen Medienkonzepts. 
  • Bildungslandschaft fokussiert u. a. die Zusammenarbeit mit Schulträgern und Schulaufsicht sowie weiteren (außerschulischen) Partnern. 
  • Qualitätsmanagement umfasst die Sicherung und Weiterentwicklung all der oben skizzierten Handlungsbereiche und ist für Schulleitungshandeln von zentraler Bedeutung für die avisierten kontinuierlichen Verbesserungsprozesse und die schulischen Innovationsprozesse in der digitalen Transformation. Dazu zählen u. a. die Entwicklung eines schulischen Medienkonzepts, digitale Kooperationsformen mit (außer-)schulischen Partnern sowie schulische Innovationsprozesse anzuregen, zu gestalten und zu steuern, Fortbildungskonzepte zur Professionalisierung des Kollegiums zu entwickeln und vieles mehr.

Das Lernen mit und über Technologie in eine schulspezifische Gesamtstrategie einbetten

Das Lernen mit und über Technologie hat für den Bildungskontext eine ausgesprochen wichtige Bedeutung. Beim Lernen mit und durch Technologie werden digitale Werkzeuge genutzt, um in einem kreativen Austausch miteinander zu arbeiten. Aber auch Individualisierung und Interaktivität sind wichtige Aspekte. Beim Lernen über Technologie steht die Aufklärung im Fokus, also das Verständnis dafür, was Digitalität ist, auch wie sSoziale Medien funktionieren und wie mit den Informationen dort kritisch und kompetent umzugehen ist. Wichtige Aspekte im Lernen über Technologie sind darüber hinaus auch, Vor- und Nachteile technologiebasierter didaktischer Settings anlass- und situationsbezogen bewerten, auswählen und adäquat einsetzen zu können. Dies geschieht wiederum mit dem Ziel, das Lernen insgesamt und damit die Schüler:innen bestmöglich zu fördern. Diese Kategorien gilt es auf die spezifischen Handlungsbereiche von Schulleitung – Personal, Organisation, Bildungslandschaft und Qualitätsmanagement (als umfassende Klammer, vgl. Abbildung 1) – zu übertragen und mit ihnen zu verzahnen. All dies mündet in eine schulspezifische Gesamtstrategie für die Weiterentwicklung der schulischen Qualität hinsichtlich der digitalen Transformation, die die individuellen Rahmenbedingungen und schulspezifischen Machbarkeiten berücksichtigt.

Prioritäten klären, zielorientiert und effizient Maßnahmen umsetzen

Digitalisierung ist keine Aufgabe oder Herausforderung, der sich allein Mitarbeitende und Schulleitungen stellen müssen – sie wird zur Aufgabe für das gesamte schulische System und die Gesellschaft insgesamt. In diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe sollten alle Akteure, insbesondere auch die Politik in der Ressourcenallokation und Schaffung von strategischen Eckpunkten und Rahmenbedingungen, eingebunden werden. 

Für die Schulgestaltung ist die klare Prioritätensetzung wichtig. Integriert gehören die drei Aspekte Bewahren, Optimieren und Innovieren (BIO-Strategie): Bisher Erfolgreiches und Sinnvolles wird bewahrt, Neues und Wichtiges innoviert und das, was schon gemacht wird, wird verbessert im Sinne der Effektivität oder im Aufwand reduziert im Sinne der Effizienz und somit optimiert. Die drei Aspekte können unterschiedlich gewichtet werden, je nachdem ob es eher um eine Konsolidierung und Fokussierung oder Nachhaltigkeit oder um einen starken Innovationschub geht. Vor dem Hintergrund der Machbarkeit müssen sie aber in einer Balance sein (vgl. Huber 2021). Prioritätensetzung heißt also, das Richtige auszuwählen und das Richtige richtig zu machen. Schulentwicklung richtet sich damit neben bildungspolitischen und schulaufsichtlichen Vorgaben sehr stark an der jeweiligen Einzelschule aus und erlaubt und erfordert schulspezifische Strategien der schrittweisen Schulentwicklung.

Abbildung 2: Modell strategischen Handels: BIO-Strategie-Modell

Empfehlungen und Handlungspraktiken zur Analyse der eigenen Schulsituation

Die im Anhang formulierten theoretischen Überlegungen können als Empfehlungen, als Handlungspraktiken zur Analyse der eigenen Schulsituation oder auch als Checkliste zur Einschätzung des Ausmaßes der entsprechenden Handlungspraxis genutzt werden, um Handlungsmöglichkeiten für die schulspezifische Schulentwicklung zu identifizieren und dann Prioritätensetzungen vorzunehmen. 

Die enthaltenen Impulsfragen können dabei helfen, die eigene Schulstrategie hinsichtlich Digitalität, Schule und Bildung zu schärfen.

Die Überlegungen erheben weder den Anspruch auf abschließende Vollständigkeit noch auf analytische Trennschärfe.

Mehr zum Thema

Die Digitale Fortbildungsoffensive für Schulleitungen des Landes Nordrhein-Westfalen (DFO in NRW) wurde im Frühjahr 2022 gestartet und verfolgt das Ziel, Schulleitungen bei der digitalen Transformation zu unterstützen und Schule zu einem zukunftsoffenen Ort der digitalisierten Welt zu machen. Im Fokus stehen das Lernen mit Technologie und Lernen über Technologie, um es Schulleitungen und ihren Teams zu ermöglichen, eine schulspezifische Gesamtstrategie für den digitalen Wandel zu formulieren. Weitere Informationen zum Projekt sowie das Thema vertiefende Expert:inneninterviews, Vorträge und Umsetzungsbeispiele aus der Praxis für die Praxis finden sich unter: bildungsmanagement.net/digilead

Prof. Dr. Stephan Gerhard Huber

Prof. Dr. Stephan Gerhard Huber ist Leiter des Instituts für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie (IBB) der Pädagogischen Hochschule Zug und Inhaber des Exzellenz-Lehrstuhls Leadership, Quality Management and Innovation (Chair of Excellence), Abteilung für Bildungsforschung der Linz School of Education der Johannes Kepler Universität Linz ist Dozent an mehreren Hochschulen und Mitglied diverser Beiräte, u. a. des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten – Zentralstelle für das Auslandsschulwesen ZfA/Deutsche Auslandsschulen. Er organisiert das World Education Leadership Symposium WELS und hat das Schul-Barometer lanciert, das in regelmäßigen Abständen die aktuelle Situation der Schulen im Rahmen eines Stimmungsbilds in Deutschland, Österreich und der Schweiz erfasst und damit einen Beitrag zum Erfahrungs- und Know-how-Austausch leistet. Stephan Huber ist wissenschaftlicher Leiter der Digitalen Fortbildungsoffensive (DFO) für Schulleitungen in Nordrhein-Westfalen, an der über 3.000 Schulen teilnehmen.

stephan.huber@phzg.ch https://bildungsmanagement.net/team/prof-dr-stephan-gerhard-huber/

Literatur

Huber, S. G. (2022a): Digitalität, Schule und Bildung. Digitalen Wandel pädagogisch, schulspezifisch und gemeinsam gestalten. In: b:sl Beruf Schulleitung 17/ 2, S. 7-11.

Huber, S. G. (2022b): Schule in der Digitalität gestalten –- Zentrale Prämissen, kritische Perspektiven, thematischer Überblick. In: Schule Verantworten 1/2, S. 14-30. https://doi.org/10.53349/sv.2022.i1.a187

Huber, S. G. (2021): Schule neu erfinden oder nach dem Spuk wie vorher? Empfehlungen zur Arbeit mit der BIO-Strategie – Schulentwicklung in der Balance von Bewahren, Optimieren, Innovieren. In:  Schule Verantworten 1/1, S. 66-74. https://doi.org/10.53349/sv.2021.i1.a74 

Huber, S. G. (2020):. Responsible Leaders entwickeln Schule in der Balance von Bewahren, Optimieren, Innovieren. In: S. G. Huber (Hrsg.), Jahrbuch Schulleitung 2020. Impulse aus Wissenschaft und Praxis, S. 3-14. Köln: Wolters Kluwer

Huber, S. G. (2019): Zerreißprobe oder klare Strategie? Schulentwicklung in der Balance von Bewahren, Optimieren, Innovieren. In: b:sl Beruf Schulleitung, 14/4, S. 13-16

Huber, S. G. (2012): Schulleitung – eine Einführung. In: S. G. Huber (Hrsg.), Jahrbuch Schulleitung 2012. Befunde und Impulse zu den Handlungsfeldern des Schulmanagements, S. 1-8. Köln: Wolters Kluwer

Huber, S. G. (2005): Führungskonzeptionen und Führungsmodelle im Überblick. In: A. Bartz, J. Fabian, S. G. Huber, C. Kloft, H. Rosenbusch & H. Sassenscheidt (Hrsg.), PraxisWissen SchulLeitung, Nr. 10.11. München: Wolters Kluwer

Kultusministerkonferenz (KMK) (2021): Lehren und Lernen in der digitalen Welt. Die ergänzende Empfehlung zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt“.  https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_12_09-Lehren-und-Lernen-Digi.pdf

Kultusministerkonferenz (KMK) (2016): Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Online: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2018/Strategie_Bildung_in_der_digitalen_Welt_idF._vom_07.12.2017.pdf