Gastbeitrag
Ein Mix aus Ausprobieren, Fortbildungen und Austausch: Ansätze und Bausteine zur effektiven Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften
von
veröffentlicht am 18.04.2023
Lesezeit: 7 Minuten
Fort- und Weiterbildung sind zentrale Bausteine einer gelingenden Transformation der Schule. Doch neues Wissen allein ist nicht immer ausreichend, um Unterricht nachhaltig zu verändern – es braucht auch Ansätze, welche die digitale Unterrichtsentwicklung auf verschiedenen Ebenen direkt vor Ort sinnvoll miteinander verzahnen.
Als Frau Meier (Name geändert) im Herbst 2022 die Klassenleitung einer siebten Klasse übernimmt, wird ihr schnell klar, dass sie einiges aufzuholen hat. Aus ihrer Lerngruppe soll eine sogenannte iPad-Klasse werden, ausgestattet im 1:1-Setting, bei dem jede:r Schüler:in ein privates Endgerät nutzt . Die Erwartungen der Schüler:innen sowie deren Eltern sind entsprechend hoch, und auch das Kollegium beobachtet, wie der Aufbau der digitalen Lernkultur gelingt. Schließlich soll diese Klasse Vorbild für weitere 1:1-Klassen sein, die über kurz oder lang zum Standard an der Schule werden.
Frau Meier steht nun vor der Herausforderung, die Einsatzmöglichkeiten der Geräte kennenzulernen, Apps zu testen, notwendige Regeln aufzustellen und ihre Unterrichtsvorbereitung daraufhin umzustellen, dass digitale Endgeräte permanent verfügbar sind. Das Problem: Frau Meier hat im Schuljahr zuvor ein Sabbatjahr genommen und bislang kaum Möglichkeiten, den Einsatz der digitalen Endgeräte im Unterricht zu erproben. Dennoch nimmt sie die Herausforderung an und stürzt sich in die Arbeit.
Effiziente Fort- und Weiterbildung ist unerlässlich
Die beschriebene Kollegin steht stellvertretend für zahlreiche Lehrkräfte, die sich in den letzten Jahren in verschiedenste Themenfelder der digitalen Schul- und Unterrichtsentwicklung einarbeiten mussten. Der Umfang der Herausforderungen war und ist enorm und es ist derzeit nicht absehbar, ob und wann dieser Prozess als abgeschlossen bezeichnet werden kann. So verwundert es nicht, dass Lehrkräfte die Digitalisierung in der repräsentativen Umfrage „Das Deutsche Schulbarometer“ im April 2022 als viertgrößte Herausforderung im Schulbetrieb benannt haben. Alle Beteiligten sind aufgefordert, mit der schnelllebigen Entwicklung Schritt zu halten und die Unübersichtlichkeit der digitalen Welt in das schulisch Mögliche und schulisch Sinnvolle zu übersetzen. Effiziente Fort- und Weiterbildung sind dabei unerlässlich und ein zentraler Faktor der digitalen Transformation des Bildungssystems.
Das Angebot ist kaum noch zu überblicken
Zum Aufbau der benötigten Kompetenzen kann Frau Meyer sowohl in der staatlichen Lehrkräfte-Fortbildung als auch am privaten Markt auf ein kaum noch zu überblickendes Fortbildungsangebot zugreifen. Neben Präsenz-Fortbildungen, Tagungen, Kongressen, Messen und Barcamps können sich Lehrkräfte dank dezentraler Online-Angebote, Live-Streams, aufgezeichneten Vorträgen und Selbstlernkursen praktisch zu jeder Zeit fort- und weiterbilden – von einem Mangel an Angeboten kann daher keine Rede mehr sein. Effektive und hilfreiche Angebote zu identifizieren stellt dabei jedoch keine leichte Aufgabe dar. Einerseits stehen Lehrkräfte vor der Frage, an welcher Stelle sie individuell ansetzen möchten. Andererseits müssen Fortbildungen immer auch zu den Rahmenbedingungen (Schulart, Alter der Lernenden, Fächer) und Gegebenheiten vor Ort passen, um nachhaltig wirksam zu sein.
Merkmale effizienter Fortbildungen
Im 2021 veröffentlichten forschungsgestützten Leitfaden „Fortbildungen für Lehrpersonen wirksam gestalten“ weisen Frank Lipowsky und Daniela Rzejak darauf hin, dass es für diese Zielsetzung nicht nur auf die inhaltliche Ausrichtung der Fortbildungen ankomme. Lernwirksame Fortbildungen zeichnen sich vielmehr durch ein Bündel an Aspekten aus.
Merkmale erfolgversprechender Fortbildungen
- Orientierung am Stand der Unterrichtsforschung
- Selbstgesteuertes Lernen von Schüler:innen
- Fokussierung auf zentrale unterrichtliche Anforderungen
- Inhaltliche Fokussierung
- Förderung des Wirksamkeitserlebens
- Stärkung der kollegialen Kooperation
- Verknüpfung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen
- Feedback und Coaching
- Angemessene Fortbildungsdauer
- Bedeutsame Inhalte und Aktivitäten
Es bedarf weiterer Strukturen, die vor Ort etabliert sind
Insbesondere die Punkte 6 (Stärkung der kollegialen Kooperation), 7 (Verknüpfung von Input- Erprobungs- und Reflexionsphasen) und 8 (Feedback und Coaching) weisen darauf hin, dass Fort- und Weiterbildungsangebote nur dann anschlussfähig für die Praxis vor Ort sind, wenn sie Lehrkräfte in Aktion bringen und diese Tätigkeiten in kollegiale Strukturen überführt werden. Damit das gelingt, braucht es inhaltlich fundierte und methodisch vielseitige Angebote. Es braucht aber auch Strukturen an der eigenen Schule, die eine Anwendung des Gelernten und dessen Rückkopplung (z. B. für Kooperation) ermöglichen. Für die eigene Planung sollten Lehrkräfte und Schulen daher nicht nur auf externe Fortbildungsangebote achten, sondern auch die folgenden Punkte berücksichtigen.
- Onboarding zum Schuljahresbeginn: Zum einen sollten Schulen besonderes Augenmerk auf die Phase des Schuljahresanfangs legen. Hier werden die Weichen gestellt, um neue Lehrkräfte in die Arbeitsprozesse, Plattformen, Geräteklassen und die Schul-IT vor Ort einzuführen und dabei eine möglichst hohe Abstimmung sicherzustellen. Dieses „Onboarding“ dient zum Beispiel dazu, Verfahren bei verlorenen Zugangsdaten zu klären, festzulegen, welche Kommunikationskanäle wann und wofür genutzt werden und an welcher Stelle welche Materialien digital abgelegt werden. In der Praxis hat es sich bewährt, diese „Start-Fortbildungen“ in mehrere Teile zu untergliedern und auch Lehrkräfte mit einzuladen, die schon länger an der Schule sind.
- Kontinuierliche Mikro-SchiLfs: Zum anderen bieten sogenannte Mikro-SchiLfs (kurze schulinterne Fortbildungen) ideale Voraussetzungen während des Schuljahres, um Lehrkräfte vor Ort in Form kleiner Häppchen weiterzubilden. Für die Veranstaltungen im Zeitumfang von 30-45 Minuten werden weder externe Referent:innen benötigt noch umfangreich ausgearbeitete Präsentationen. Zielführender ist es, wenn Lehrkräfte aus dem eigenen Kollegium im regelmäßigen Turnus von gelungenen Beispielen aus besuchten Fortbildungen und/oder der eigenen Unterrichtspraxis berichten – idealerweise so, dass andere die Ideen und Materialien adaptieren und ohne großen Aufwand bei sich im Unterricht einsetzen können. Damit das gelingt, können die Unterlagen z. B. in Form von Good-Practice-Beispielen in digitalen Showrooms innerhalb der Lernplattform zusammengeführt und zentral abgelegt werden.
- Unterstützungsstrukturen und Wissensmanagement: Darüber hinaus erfordert die Komplexität der digitalen Schulentwicklung eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung, auch ohne dass es dafür explizite Veranstaltungen gibt. Viele Fragen ergeben sich erst während des Arbeitens, beim Einsatz einer konkreten App oder bei technischen Schwierigkeiten. Mindestens ebenso wichtig sind daher Unterstützungsstrukturen vor Ort sowie ein intelligentes Wissensmanagement. Ersteres ermöglicht es Lehrkräften, Hilfe bei individuellen Problemen zu erhalten (z. B. mit Hilfe eines ausgearbeiteten Fehlermeldesystems), letzteres zielt darauf ab, das Wissen einzelner Personen (z. B. Systembetreuer:innen) allen anderen zugänglich zu machen. Dafür bietet sich z. B. ein digitales IT-Wiki oder eine Sammlung bei TaskCards an.
- Personal Learning: Neben den beschriebenen Ansätzen vor Ort sollten Lehrkräfte Zeit in den Aufbau eines persönlichen Lernnetzwerkes investieren. Diese besondere Form der individuellen und dezentralen Fortbildung stellt eine besondere Herausforderung für Schulen dar, weil hierbei nur bedingt Einfluss genommen werden kann. Gleichwohl ist es unablässig, dass Lehrkräfte durch Vernetzung, Lektüre und Partizipation (z. B. in sozialen Netzwerken unter Hashtags wie #Twitterlehrerzimmer #Instalehrerzimmer) außerschulische Quellen der Inspiration anzapfen, um sich persönlich weiterzuentwickeln. So muss niemand auf Angebote „warten“, sondern kann aktiv auf Angebote zu- und in die Diskussion um eine zeitgemäße Lehr-/Lernkultur eingreifen.
Die Ebenen müssen sich verzahnen
Angesichts des eigenen Zeitdrucks hat auch Frau Meier nicht gewartet. Stattdessen hat sie sich aktiv um Veranstaltungen, Netzwerk-Arbeit und die Abstimmung im eigenen Kollegium bemüht. So konnte sie nach nur wenigen Monaten zahlreiche und für das Führen ihrer 1:1 – iPad-Klasse notwendige Kompetenzen entwickeln und ausbauen.
Dass dies in so kurzer Zeit gelingen konnte, ist unter anderem der Verzahnung der beschriebenen Ebenen zu verdanken. Die Kollegin hat einerseits Angebote aus dem umfangreichen Fortbildungsprogramm wahrgenommen. Andererseits konnte sie auf Strukturen an der eigenen Schule zurückgreifen, die es ihr ermöglichten, erworbenes Wissen sofort anzuwenden, weiterzugeben und mit Kolleg:innen zu reflektieren. Sie selbst sagt, dass es letztlich wohl am „Mix aus Ausprobieren, Kolleg:innen an der Schule fragen, Fortbildungen besuchen, Tutorials und dem Austausch mit anderen“ gelegen habe. Eine Erfahrung, die auch beinhaltet, dass sie nicht allein vor der Herausforderung der digitalen Transformation steht. Und dass es Strukturen an der eigenen Schule gibt, die es ihr ermöglichen, effektiv und zielführend mit dieser Herausforderung umzugehen.
Mit kleinen Impulsen Großes bewirken
Im Kollegium an Schulen ist oft viel verborgenes Wissen vorhanden. Über Mikrofortbildungen lassen sich diese Potenziale für das gesamte Kollegium nutzbar machen. Mikrofortbildungen sind ein niedrigschwelliges Instrument der Personalentwicklung, um so gemeinsam mit dem Kollegium mit der digitalen Schulentwicklung Schritt zu halten. Der Praxisleitfaden für Schulleitungen bietet eine Schritt-für-Schritt Anleitung für die Einführung von Mikrofortbildungen an der eigenen Schule.
https://www.forumbd.de/publikationen/praxisleitfaden-mikrofortbildungen/