Führung neu denken – Fachaustausch zu Schulleitungsqualifizierung für den digitalen Wandel
Foto: Phil Dera / CC BY 4.0
Impuls

Führung neu denken – Fachaustausch zu Schulleitungsqualifizierung für den digitalen Wandel

von Klaus Lüber
veröffentlicht am 30.09.2022
Lesezeit: 8 Minuten

Das Forum Bildung Digitalisierung hat ein Angebot zur digitalisierungsbezogenen Schulleitungsqualifizierung entwickelt. Im Rahmen eines Fachaustausches am 8. September 2022 in Berlin ging man gemeinsam mit Vertreter:innen der Landesinstitute und Ministerien sowie Schulleitungen und Geschäftsführer:innen von Fortbildungsinstituten der Frage nach, wie das Programm die bestmögliche Wirkung in der Breite entfalten kann.

Die Digitalisierung ist ein komplexes Phänomen. Was unter anderem daran liegt, dass der Begriff immer noch so schwer zu greifen ist, allen Pandemie-Erfahrungen zum Trotz. Wovon spricht man eigentlich? Von digitalen Tools? Oder von einer völlig neuen Art, die Welt zu sehen und sich in ihr zu verhalten? Oder irgendwie gleichzeitig von beiden, ohne dass wirklich klar wäre, wie genau das eine mit dem anderen wechselwirkt? „Ich habe es in meine Leadership-Workshops für Schulleitungen oft erlebt, dass Teilnehmende zu Beginn richtig sauer waren“, sagt Andrea Kühl. „Und zwar immer dann, wenn die Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung angekündigt war, aber keine Einführung in die wichtigsten Lernmanagement-Plattformen stattfand. Sondern eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich die Art zu führen gerade ganz grundsätzlich ändert.“

Kühl ist Referentin am Landesamt für Schule und Bildung Sachsen, dort verantwortlich für Führungskräftefortbildung und war eine von rund 30 Teilnehmenden eines Fachaustausches, zu dem das Forum Bildung Digitalisierung am 8. September 2022 in Berlin eingeladen hatte. Gemeinsam mit Vertreter:innen der Landesinstitute, Entscheider:innen aus Ministerien, Geschäftsführer:innen von Fortbildungsinstituten und Schulleitungen sollte eben genau die Frage ausgelotet werden, die auch die Expertin für Leadership im Bildungskontext schon seit geraumer Zeit umtreibt: Wie Führung unter den Bedingungen der Digitalisierung neu zu denken wäre. Wie also die Themen Digitalisierung und Leadership aus einer Perspektive gedacht und zu einem stimmigen Konzept zusammengefügt werden können.

Befähigung zur Selbstorganisation

Dazu hatte das Forum Bildung Digitalisierung bereits wichtige Vorarbeit geleistet. In Kooperation mit der Akademie für Innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken gemeinnützige GmbH (aim), unterstützt durch die Dieter Schwarz Stiftung, sowie der Wübben Stiftung wurde ein Angebot zur digitalisierungsbezogenen Schulleitungsqualifizierung entwickelt. Ziel ist es, Führungskräfte an Schulen darin zu unterstützen, Entwicklungsvorhaben zur digitalen Transformation an ihrer Schule umzusetzen. „Obwohl es vonseiten der Landesinstitute bereits viele an Schulleitungen adressierte Fortbildungsprogramme mit digitalen Bezügen gibt, fehlten bislang wissenschaftlich fundierte Angebote, die Schulleitungen in ihrer Leadership-Rolle stärken und ihnen Instrumente zur Umsetzung ihrer digitalen Schulentwicklungsvorhaben an die Hand geben“, so Bianca Ely vom Forum Bildung Digitalisierung zu Beginn der Veranstaltung. „Diese Lücke wollten wir schließen. Und nicht nur das: Wir stellen dem Feld der digitalisierungsbezogenen Schulleitungsqualifizierung das Qualifizierungskonzept vollständig zur Verfügung und stärken damit eine Kultur des Teilens in diesem Bereich.“

Das Besondere an dieser Herangehensweise erläuterten Sabine Marsch, Schulleiterin aus Berlin und Trainerin für Schulentwicklung, sowie Romy Möller, Leadership-Coachin für Schule und Wirtschaft. Beide entwickelten das Konzept maßgeblich mit und setzen das Projekt als Prozessbegleiterinnen um. „Die Frage, wie man Digitalisierung umsetzt, geht weit über das Technische hinaus“, so Sabine Marsch. „Besonders Schulleiter:innen brauchen heute ganz viel Mut, Klarheit und Sicherheit. Wir müssen Führung komplett neu denken.“ Die Schulleitung an der Spitze, mit einer Lösung, die dann umgesetzt wird – das funktioniere heute nicht mehr, ergänzte Romy Möller. „Unser Ziel muss es sein, das System Schule zur Selbstorganisation zu befähigen. Wir sehen uns da als Impulsgeber:innen, Prozessbegleiter:innen und immer auch selbst als Lernende.“

»Ein echter Aha-Moment war für mich die Unterscheidung zwischen dem Management von Change-Prozessen und dem Umgang mit echter Transformation.«

Nicole Stockmann

Change ist nicht gleich Transformation

Aktuell wird das Programm pilotiert. Nicole Stockmann, Schulleiterin an den Ellentalgymnasien Bietigheim, berichtete aus der Perspektive einer Teilnehmenden. Der Anspruch des Programms, einen grundlegenden Perspektivwechsel auf Leadership erfahrbar zu machen, scheint aus ihrer Sicht durchaus einlösbar zu sein. „Ein echter Aha-Moment war für mich die Unterscheidung zwischen dem Management von Change-Prozessen und dem Umgang mit echter Transformation“, berichtete Stockmann. „Agiert man nach dem Prinzip Change, gibt es in der Regel ein Leitungsteam, das die Lösung kennt, und alle setzen das dann Schritt für Schritt um.“ In einem Transformationsprozess sei das komplett anders. „Hier ist es so, als ob man gemeinsam durch dichten Nebel geht, immer nur den nächsten Schritt antizipieren kann und notgedrungen auch mal in die falsche Richtung läuft. Hier kennt keiner die Lösung.“

Das kann anstrengend sein. Neulich, berichtete Stockmann, sei ein Abteilungsleiter auf sie zugekommen und meinte: „Nicole, ich glaube, ich mag Change lieber.“ Unsicherheit sei eben schwer auszuhalten. Führung bedeute dann, diese Sorgen ernst zu nehmen und im nächsten Schritt immer auch Mut zu machen. „Ich sage dann immer: Solange wir die Schüler:innen im Blick behalten – was kann uns schon passieren? Wir gehen einfach weiter, experimentieren, improvisieren und lernen voneinander.“ 

Genau dieses besondere Mindset steht auch für Susanne Hartmann im Zentrum dessen, was ein Programm zu Digital Leadership leisten kann. Hartmann hat Erfahrung, als Referlatsleiterin Personalenwicklung im Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) war sie bereits an einem Vorgängerprojekt des Forum Bildung Digitalisierung zur Schulleitungsqualifizierung beteiligt. „Dass es beim Thema Leadership zentral um Haltung geht, wissen wir schon lange. Und das betrifft jegliche Form zeitgemäßen Führungshandelns.“ Den Begriff „Digital“ würde sie deshalb am liebsten einklammern. „So kommt man gar nicht in Versuchung, das ausschließlich an die Beherrschung irgendwelcher Tools zu koppeln.“

Ins System bringen

Dieser ohne Zweifel wichtige Reflexionsprozess zur sinnvollen Ausrichtung eines solchen Programms war nicht das einzige Ziel des Fachaustausches. Es ging auch um die wichtige Frage, wie das Angebot die größtmögliche Wirksamkeit entfalten, oder, wie man es während des Treffens oft hörte, „im System etabliert“ werden kann. Genau das war auch der Arbeitsauftrag der Teilnehmenden für die Werkstattphase des Fachaustausches. In fünf Kleingruppen ging es zunächst um die Frage, welche Zielgruppe man in den Blick nehmen sollte, um eine systemische Veränderung anzustoßen. Entscheider:innen auf Ebene der Landesinstitute und Kultusministerien, so sollte man denken, wären hier die erste Wahl. 

Tatsächlich war es nur eine Gruppe, die sich spezifisch auf diese Zielgruppe fokussiert. Und auch hier war es interessant zu sehen, wie wichtig es ist, den systemischen Ansatz nicht aus dem Blick zu verlieren. So kam die Frage auf: „Haben wir denn wirklich das Problem, dass das Verwaltungspersonal Projekte im Kontext Digitalisierung nicht unterstützt?“. Die Antwort, die sich die Gruppe selbst gab: „Es geht ja nicht darum, dass Qualifizierungsmaßnahmen nicht abgesegnet werden. Es geht darum, auch bei den Entscheidern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sich etwas grundsätzlich am System ändern muss.“ Oder, wie es eine Teilnehmende auf den Punkt brachte: „Die Verwaltungsmitarbeitenden müssen selbst zu Digital Leadern werden.“

Nur: Wie soll das konkret funktionieren? „Haltungsänderung ist ja etwas Komplexes. Geht das überhaupt so schnell und im Rahmen eines Qualifizierungsprogramms?“, stand als Frage im Raum. Die Antwort gab sich auch hier wieder die Gruppe selbst: Wenn überhaupt, geht das nur im Rahmen von konkreten Erfahrungen. „Erlebnisraum Digital Leadership“ hieß dann auch die Projektidee der Gruppe, die man mithilfe der Design-Thinking-Methode  entwickelte und im Rahmen eines Gallery Walks am Ende präsentierte. Ein Raum zur Reflexion, zur Erprobung von Ideen soll geschaffen werden, die Teilnehmenden erhalten die Möglichkeit, sich von „Rastern“ zu befreien. „Leiten“ soll in Zukunft als „Begleiten“ verstanden werden.

Wirksamkeit durch Tandems

Ein anderer Ansatz war es, sich auf die Trias Schulleitungen, Schulträger und Schulaufsicht zu konzentrieren und diese im Rahmen eines Barcamps mit neuen Ansätzen zum Thema Digital Leadership in Berührung zu bringen. Organisiert werden diese von den Landesinstituten, am Ende steht die Etablierung eines Netzwerks an „Digital Learning Leader“, die als Multiplikator:innen fungieren und den Ansatz weiter ins System tragen. Möglich wäre auch eine mehrtägige Konferenz, so die Idee einer weiteren Arbeitsgruppe, die sich wieder an Landesinstitute und Kultusministerien richtet. 

Die Wirksamkeit in den Schulalltag hinein könnten etwa Tandems aus Expert:innen zur Ausbildung von Leadership-Trainer:innen gewährleisten, die sich regelmäßig austauschen und voneinander lernen. So empfahl ein anderes Arbeitsteam die Zusammenstellung sogenannter „Digital Leadership Buddies“. Solche professionellen Lerngemeinschaften kombinieren idealerweise die Expertise aus dem schulischen mit Expert:innenwissen aus dem wirtschaftlichen Kontext. Organisiert wird alles von den Landesinstituten, als längerfristiges Ziel ist der Aufbau eines Talentpools angedacht.

Digital Leadership heißt vor allem, einen Rahmen zu schaffen, damit sich Haltung grundsätzlich ändern kann. Diese muss zum einen von den Entscheider:innen in der Bildungsverwaltung mitgetragen, zum anderen aber auch vor Ort in den Bildungseinrichtungen wirksam werden.

Impulse für Weiterentwicklung

Am Ende war allen Teilnehmenden klar: Qualifizierung muss unter den Bedingungen der Digitalisierung neu gedacht werden. Digital Leadership heißt vor allem, einen Rahmen zu schaffen, damit sich Haltung grundsätzlich ändern kann. Diese muss zum einen von den Entscheider:innen in der Bildungsverwaltung mitgetragen, zum anderen aber auch vor Ort in den Bildungseinrichtungen wirksam werden. Denn wirksam, so bemerkte ein Schulleiter aus Münster, werden neue Impulse vor allem dann, wenn sie Eingang finden in interne Prozesse, die den Arbeitsalltag in den Schulen prägen. Fortbildungen in der klassischen Variante, also Blockveranstaltung ohne weitere Begleitung, hätten nur sehr wenig Potenzial, grundsätzlich Veränderungen anzustoßen. „Wir müssen den Schulen die Möglichkeit geben, sich selbst auf den Weg zu machen.“

Dass genau dies auch der Kerngedanke des diskutierten Qualifizierungsangebots ist, dürfte für das Forum Bildung Digitalisierung am Ende eine schöne Bestätigung für die Wirksamkeit des Fachaustausches gewesen sein. Bianca Ely jedenfalls spürte eine „Aufbruchstimmung“, die man auch in der Weiterentwicklung des Projektes „sehr ernst“ nehme. „Es ist schon viel Konkretes entstanden, das wir gerne in die weitere Ausarbeitung des Konzeptes einfließen lassen.“

Klaus Lüber

Klaus Lüber studierte Kulturwissenschaft, Publizistik und Philosophie in Berlin und München. Als freier Redakteur und Autor arbeitet er unter anderem für den F.A.Z.-Verlag, die Volkswagenstiftung und den Thinktank iRights.Lab. Zu seinen Lieblingsthemen zählen Innovation, Digitalisierung und Bildung. Er lebt und arbeitet in Berlin.

https://www.klauslueber.de/