Fünf Jahre Forum Bildung Digitalisierung – mehr systemsprengende Ideen
Foto: Phil Dera / CC BY 4.0
Impuls

Fünf Jahre Forum Bildung Digitalisierung – mehr systemsprengende Ideen

von Helen Arnold
veröffentlicht am 28.03.2023
Lesezeit: 11 Minuten

Das fünfjährige Bestehen des Forum Bildung Digitalisierung wurde nicht nur mit einer fröhlichen Geburtstagsfeier gewürzt mit wertvollem Austausch und anregenden Diskussionen gefeiert, es gab auch viele Wünsche für die Zukunft – allen voran, dass es so weitergehen möge, wie bisher. Im Rahmen eines Parlamentarischen Abends kamen Gäste aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Berliner Amplifier zusammen. Unter der Überschrift „Wie gestalten wir die digitale Bildungswende für eine chancen- und teilhabegerechte Bildung in Deutschland?“ war auch der StadtschülerInnenrat Frankfurt am Main eingeladen.

Es ist voll, die Vorhänge glitzern, die Luft schwirrt und die Sitze füllen sich allmählich. Moderatorin Mushda Sherzada beginnt den Abend mit den Worten: „Seit seiner Gründung versteht sich das Forum Bildung Digitalisierung vor allem als Plattform, um sämtliche Akteur:innen aus dem Bildungsbereich zusammenzubringen.“ 

Doch an diesem Abend wird nicht nur auf den fünften Geburtstag des Forums angestoßen, es soll auch miteinander diskutiert werden. Auf das Ziel können sich alle Teilnehmenden einigen: Ideen für die Zukunft einer chancen- und teilhabegerechten Bildung in Deutschland entwickeln und die damit einhergehende digitale Transformation gestalten.

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Von der Gründungsidee ins Heute

Seit den Gründungstagen des Forums dabei ist Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung, die die Gründung des Forums initiiert hat. Er erinnert sich an die Anfänge des Forums, die deutlich weiter zurückliegen als nur fünf Jahre: „Die erste Idee der Gründung eines Forums für Bildung in der digitalen Gesellschaft gab es schon 2015.“ Bereits nach wenigen Wochen waren die ersten Partner gefunden, und die waren sich einig: Gemeinsam muss etwas getan werden, um die Herausforderungen im Bildungsbereich anzunehmen. Heute sind es neun große deutsche Stiftungen, die sich im Forum engagieren. 

Ebenfalls auf dem Podium steht Katharina Scheiter, Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam. Sie empfindet vor allem den vielseitigen Austausch als gewinnbringend: „Das Forum bringt die unterschiedlichen Akteur:innen im System zusammen.“ Bildungspraxis, Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft würden hier gemeinsam auf eine Bühne kommen und eine Plattform für Austausch und Vernetzung erhalten. Die Begrüßungsrunde komplettiert Jacob Chammon, der das Forum seit 2020 als geschäftsführender Vorstand leitet. Er wünscht allen Gästen einen spannenden Abend, bei dem die Anwesenden in verschiedenen Konstellationen miteinander ins Gespräch kommen. 

Die Mitgliedsstiftungen bringen Expertise mit

Beim ersten Programmpunkt kommen die Mitgliedsstiftungen und die Bildungscommunity zu Wort. Sie stecken Vision und Mission des Forums noch einmal genau ab: Schule solle einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten und nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein. Um die Rahmenbedingungen für alle Schüler:innen fair zu gestalten, brauche es gute Ideen und Innovationen. 

Dr. Dirk Zorn, Direktor für Bildung und Next Generation der Bertelsmann Stiftung, meint dazu: „Auch die einzelnen Stiftungen bringen ihre Expertise mit ein.“ Zorn berichtet beispielhaft über einen Deep Dive in die schulische Praxis vor Ort im Kreis Gütersloh. In einer Kooperation zwischen dem Forum, der Bertelsmann Stiftung und dem Zentrum für Schule und digitale Bildung in Gütersloh wurden Schulen und Schulträger zusammengebracht und die Expertise in Form des interaktiven Webangebots ExpeditionBD aufbereitet. Entstanden sind nicht nur Runde Tische, sondern auch ein neues, tiefes Vertrauen, dass es möglich ist, etwas zu ändern – gemeinsam. Das Forum stellt dafür mit seinen Angeboten das notwendige Prozesswissen zur Verfügung. 

Um für alle praktikable und rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, müssen Bildungsverwaltung und Schulleitung im Einklang zusammenarbeiten – auf kommunaler Ebene ist das besonders wichtig. „Die Digitalisierung endet nicht am Ende des Dorfes, wenn die Dorfstraße in den Wald mündet, sie geht weiter – über die kommunalen Grenzen hinaus“, gibt Matthias Graf von Kielmansegg, Mitglied der Geschäftsführung der Vodafone Stiftung Deutschland, dem Problem ein Bild. 

Die Lebenswelt der Kinder mitdenken

Ein wunderbares Stichwort für die folgende Runde, in der sich Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn, zur Qualifizierung der Schulleiter:innen äußert: „Sie sind viel mehr als nur Verwalter:innen der Schulen. Und auch wenn gesagt wird, Schulleiter:innen haben mit dem Unterricht nichts zu tun, so geht es doch auch nicht ohne sie.“ 

Das Ziel solle es sein, Schulleitungen aus der Verwaltungsarbeit herauszuholen, um so die Schulentwicklung zukunftsorientiert zu gestalten, betont auch Silke Lohmiller, Geschäftsführerin der Dieter Schwarz Stiftung.

Einen zentralen Punkt bringt zudem die Schulleiterin der Waldschule Hatten, Silke Müller, auf: „Wir vergessen in all unseren Diskussionen die Kinder.“ Dass die Kinder von heute ein komplett anderes Verständnis von Digitalisierung haben und dadurch auch eine andere Form der Kommunikation pflegen, sei ein Fakt, der mitgedacht werden müsse. „Für mich sind die Veranstaltungen des Forums immer der Höhepunkt des Jahres. Ich gehe jedes Mal inspiriert nach Hause“, fasst die Schulleiterin ihre Eindrücke von früheren Events zusammen.

»Für mich sind die Veranstaltungen des Forums immer der Höhepunkt des Jahres. Ich gehe jedes Mal inspiriert nach Hause.«

Silke Müller

Länderübergreifende Zusammenarbeit

Nach einer kurzen Pause betreten die ersten politischen Entscheider:innen die Bühne. Gerade erst stand die Bildungspolitik beim Bildungsgipfel der Bundesbildungsministerin im Scheinwerferlicht der öffentlichen Beobachtung – mit den noch frischen Eindrücken im Kopf bietet sich  hier die Gelegenheit, noch einmal in den offenen Austausch zu gehen. Und nachdem der Bildungsgipfel wenig neue Erkenntnisse gebracht hat, gibt es diesmal viel Verständnis füreinander. Dank der konstruktiven Gespräche wird der Abend beinahe zu einer Art kleiner „alternativer Bildungsgipfel“ – vor allem vor dem Hintergrund, dass die Jahreskonferenz des Forums, die Konferenz Bildung Digitalisierung, gemäß des neuen Rhythmus erst wieder im Frühjahr 2024 stattfinden wird. Und so kommt für viele Teilnehmenden stellenweise das Gefühl auf, dass der Parlamentarische Abend die KonfBD in kondensierter Form nachzeichnet.

Gemeinsam mit Jacob Chammon gehen Dr. Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, und Steffen Freiberg, Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, in die Diskussion. „Für uns ist eine länderübergreifende Zusammenarbeit entscheidend. Es gibt 5.000 Kommunen, warum muss alles 5.000-mal passieren?“, fragt Chammon und ergänzt: „Die Türen stehen doch in alle Richtungen offen.“

Zu diesem besonderen Anlass gilt das Bild mit den offenen Türen nicht nur für sie. Alle Augen richten sich nun auf den Höhepunkt des Abends: Die Vorstandsmitglieder des StadtschülerInnenrat Frankfurt am Main halten ihre Intervention zum System Schule.

»Für uns ist eine länderübergreifende Zusammenarbeit entscheidend. Es gibt 5.000 Kommunen, warum muss alles 5.000-mal passieren?«

Jacob Chammon

Faire und gerechte Digitalisierung

Endlich treten die Menschen auf die Bühne, um die es hier vor allem geht und deren Zukunft sich das Forum in seiner Vision verschrieben hat: die Schüler:innen. In  beispielhaften fiktiven Geschichten fassen sie die aktuellen Herausforderungen  des Schulsystems lebhaft zusammen und verleihen den gegenwärtigen Problemen damit Stimme und Gesicht. Laurenz Aller besucht die Schule am Ried und ist Stadtschulsprecher von Frankfurt am Main. Er beschreibt den Wunsch nach mehr Beteiligung in politischen Entscheidungen und fordert niedrigschwellige Partizipation für Jugendliche. „Wir glauben, dass Digitalisierung da einen ganz großen Vorteil bieten kann – wir können zum Beispiel online partizipieren“, führt er abschließend zwei wichtige Aspekte zusammen.

Gloria Dargatz, Abiturientin an der Anna-Schmidt-Schule und Stellvertretende Stadtschulsprecherin von Frankfurt, spricht über die Probleme der Digitalisierung. Mitunter lägen diese an den fehlenden finanziellen Mitteln innerhalb der Familien, an nicht vorhandenem oder schlechtem WLAN oder fehlenden Kompetenzen aufseiten der Lehrkräfte. „Ohne eine faire und sozial gerechte Digitalisierung haben wir keine Möglichkeiten, die heute so wichtigen Medienkompetenzen zu erlernen“, beschreibt sie die Misere. Jede:r müsse die Chance zur Teilhabe bekommen. „Nur dann kann Digitalisierung unsere Bildung fördern, sonst bremst sie uns aus“, meint Dargatz.

Über ein ganz anderes, aber nicht minder wichtiges Thema berichtet Harrison Krampe. An der Schillerschule in Frankfurt am Main macht er dieses Jahr sein Abitur und ist ebenfalls Mitglied des StadtschülerInnenrats. „Wer Angst vor der Schule hat oder gemobbt wird und deswegen nicht in die Schule kommt, ist nicht faul“, betont Krampe und fordert: „Setzen Sie sich mit dem Thema Mentale Gesundheit auseinander und leisten Sie Ihren Beitrag zur Entstigmatisierung. Es kann jede:n betreffen!“ 

Einen letzten Punkt bringt Ida Keller zur Sprache. Die Schüler:innensprecherin der Schule am Ried in Frankfurt am Main ist außerdem Vorstandsmitglied im StadtschülerInnenrat und referiert an diesem Abend über Bildungsgerechtigkeit – im Allgemeinen und wie im Speziellen. Für sie stehen Schule, Politik und Gesellschaft in der Verantwortung, Missständen entgegenzuwirken, sodass niemand alleingelassen wird.

Nach dieser kritischen Intervention ist es im Amplifier still geworden. Leises Murmeln, erster Applaus und dann sieht es fast so aus, als wollten einige aufstehen. Standing Ovations für vier Schüler:innen, die so gekonnt die aktuellen Missstände des Bildungssystems zusammengefasst haben, sind mehr als angebracht. Und so zeigt sich an diesem Abend vielleicht auch eine Aufgabe, der sich das Forum zukünftig noch stärker widmen könnte: Schüler:innen systematisch in die Diskussionen einzubeziehen und mit den politischen Entscheider:innen in den direkten Dialog zu bringen.

Innovation durch Mangel

Auf einen Höhepunkt folgt ein Zweiter: Myrle Dziak-Mahler, Transformationsexpertin und Kanzlerin der Alanus Hochschule Bonn, setzt dem meist negativ konnotierten Diskurs über Bildung in Deutschland ein klares Statement entgegen. „Ich bin chronisch positiv“, betont sie und unterstreicht, dass man auch aus Krisen und Mängeln Innovationen schaffen kann. Den entsprechenden Mut für Innovation, Wandel als Normalfall und die kritische Auseinandersetzung mit dem Bestehenden sind ihrer Meinung nach das, was es jetzt im Bildungsbereich brauche. „Wir müssen uns permanent auf Veränderungen einstellen und mit den Akteur:innen vor Ort reden. Nur so können sie alle zu Gestalter:innen werden.“ Dziak-Mahler appelliert auch an die Politik: „Lasst die Schulleiter:innen von der Leine, sie wissen am Besten, was sie brauchen.“Bevor sich der Abend dem Ende neigt,  kommt noch einmal die Politik in einem Panel zu Wort.  Vertreter:innen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linke und SPD haben zunächst die Möglichkeit, in kurzen Statements ihre Anliegen zum Thema Bildung und Digitalisierung vorzustellen. Anschließend diskutieren sie gemeinsam über neues Empowerment in der Schule: „Wir müssen alle mitnehmen und ein neues Verständnis füreinandern schaffen“, sagt etwa Dr. Petra Sitte (Die Linke). Im Bezug auf den Jubilar des Abends ergänzt Peter Heidt (FDP): „Dank des Forums und eines solchen Panels bekommen wir mit, was die aktuellen Probleme der Schüler:innen sind.“ Ebenjene kriegen auch noch einmal das Mikro in die Hand und stellen ihre Forderungen nun an direkter Stelle: „Wir sehen das Dilemma vor Ort, hören Sie uns an. Ganz konkret gefragt: Was wollen Sie tun, um die Probleme im Bildungssystem zu lösen?“, fragt Laurenz Aller gezielt. Die Antwort kommt prompt von Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen): „Lasst uns reden!“ Eines haben an diesem Abend alle verstanden: dass miteinander gesprochen werden muss. Alle müssen in den offenen Austausch gehen – genau dafür ist das Forum da und soll es auch in Zukunft sein, meint Jacob Chammon: „Ich wünsche mir, dass es genauso weitergeht. So viele Leute zusammenzubringen, macht mich stolz“, fasst es der Vorstand des Forums prägnant zusammen.

Helen Arnold

Helen Arnold ist Journalistin und freie Autorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin und schreibt unter anderem für das Journal des Wissenschafts- und Technologieparks Berlin Adlershof und für die Transferagentur Brandenburg. Dabei ist sie besonders im Bereich des Bildungsjournalismus aktiv und berichtet über Inklusive Projekte.

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