Gastbeitrag

Herausforderungen für Lehrkräftebildung in der digitalen Welt

von Heike Schaumburg
veröffentlicht am 20.11.2019
Lesezeit: 7 Minuten

Seit den 2000er-Jahren existieren Modelle zur Medienkompetenz von Lehrkräften. Angesichts der Komplexität des zu Vermittelnden ist klar, dass medienbezogene pädagogisch-didaktische Fähigkeiten sowohl im Längsschnitt über alle Phasen der Aus- und Weiterbildung als auch im Querschnitt über die verschiedenen Disziplinen des Lehramtsstudiums hinweg gedacht werden müssen. Im Kern geht es um Vertrauen, Freiräume, Potenziale und eben Kompetenzen.

Mit der Strategie Bildung in der digitalen Welt der Kultusministerkonferenz (KMK) wird erneut ein systematischer und verlässlicher Aufbau medienbezogener Kompetenzen für alle zukünftigen Lehrpersonen gefordert (KMK 2016). Seit den 2000er-Jahren gibt es Modelle, die beschreiben, welche Kompetenzen Lehrkräfte brauchen, um kompetent mit (digitalen) Medien zu unterrichten. Zwar sind diese in der Regel auf Medien im Allgemeinen bezogen, sie bilden aber auch unter den Vorzeichen der Digitalisierung eine tragfähige Grundlage, um die Dimensionen zu beschreiben, anhand derer sich kompetentes Handeln von Lehrkräften im Medienzusammenhang systematisieren lässt. Ein Beispiel hierfür ist das Modell medienpädagogischer Kompetenz von Sigrid Blömeke (2001), das fünf Kompetenzbereiche voneinander abgrenzt:

  1. Eigene Medienkompetenz
  2. Sozialisationsbezogene Kompetenz im Medienzusammenhang, also das Wissen darüber, wie Schüler:innen Medien verwenden und welche Bedeutung sie in ihrem Leben haben
  3. Mediendidaktische Kompetenz
  4. Medienerzieherische Kompetenz
  5. Schulentwicklungskompetenz im Medienzusammenhang

Neuere Modelle wie der Europäische Rahmen für die Digitale Kompetenz von Lehrenden, kurz DigCompEdu (Digital Competence of Educators) (Redecker & Punie 2016), aktualisieren die Dimensionen des Modells von Blömeke mit Blick auf heutige Bedingungen der Digitalisierung. Insbesondere was die mediendidaktische und medienerzieherische Dimension angeht, werden hier wichtige Präzisierungen vorgenommen, zum Beispiel in Bezug auf Diagnosefertigkeiten und die Auswahl, Erstellung und Veränderung digitaler Ressourcen. Insgesamt ist das Modell aber sehr gut anschlussfähig an frühere Überlegungen.

Auf zwei weitere Dinge sei an dieser Stelle jedoch hingewiesen:

  1. In den Modellen sind Kompetenzen angesprochen, es geht hier also um mehr als nur um das reine Wissen. Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass der Einsatz digitaler Medien auch sehr viel mit den Einstellungen und Werthaltungen der Lehrkräfte und mit ihrer Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu tun hat (z.B. Knezek & Christensen 2016; Prasse 2012). Lehrkräfte sollten also nicht nur die verschiedenen Möglichkeiten kennen, wie sie digitale Medien im Unterricht einsetzen können und sollen. Sie müssen darin auch einen Mehrwert oder eine Notwendigkeit erkennen und das Zutrauen haben, dass sie den Medieneinsatz im Unterricht auch managen können.
  2. Es hat sich gezeigt, dass das Potenzial digitaler Medien besser ausgeschöpft werden kann, wenn die Lehrkräfte eine Rolle einnehmen, bei der sie den Schüler:innen Freiräume einräumen, sich Lerninhalte selbstständig anzueignen. Das Lehrkräftebild bewegt sich dann von einem Rollenverständnis des Wissensvermittlers in einem zentral durch die Lehrkraft gesteuerten Unterricht hin zu mehr Freiräumen und einem stärker durch die Klassenmitglieder gesteuerten Unterricht (z.B. Schaumburg et al. 2007; Kammerl, Unger, Günther & Schwedler 2016).

Wir wissen also recht genau, worauf es ankommt und worauf die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften abzielen sollte. Nach wie vor nicht zufriedenstellend gelöst ist hingegen die Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann.

Angesichts der Komplexität der zu vermittelnden Kompetenzen ist indes eines klar: Die Vermittlung von medienbezogenen pädagogisch-didaktischen Kompetenzen kann nur als Längs- oder Querschnittsaufgabe gedacht werden: im Längsschnitt über alle Phasen der Lehrkräfteaus- und -weiterbildung und im Querschnitt über die verschiedenen Disziplinen des Lehramtsstudiums hinweg.

»Die Digitalisierung könnte einen Anlass bieten, sich noch einmal grundsätzlich mit der Kohärenz von Aus- und Weiterbildung in der Lehrkräftebildung auseinanderzusetzen.«

Heike Schaumburg

Medienpädagogische Kompetenz als phasenübergreifende Längsschnittaufgabe

Hierfür ist als Erstes zu klären, wie der Kompetenzerwerb in der universitären Ausbildungsphase grundgelegt und im Referendariat sowie in der beruflichen Weiterbildung vertieft und erweitert wird. Welche Kompetenzen sollen im Studium vermittelt werden, welche im Referendariat und welche sind der beruflichen Weiterbildung vorbehalten? Was kann auf Vorrat gelernt werden und womit sollten sich Lehrkräfte dann beschäftigen, wenn sie es auch umsetzen – gerade, weil Trends und Entwicklungen in der digitalen Welt häufig sehr schnelllebig sind. Im Moment wird hier noch zu sehr der Versuch unternommen, alles überall machen zu wollen beziehungsweise zu sollen. So differenzieren die KMK-Standards für die Lehrkräftebildung, die zurzeit überarbeitet werden, Bildungswissenschaften bisher nur unzureichend. Die existierenden Konzepte geben zu wenige Hinweise zu einer sinnvollen Verteilung und zum Aufbau der Kompetenzen. So könnten Fragen zur Mediensozialisation und zu theoretischen Grundlagen von Medienerziehung und -didaktik an den Anfang gestellt und im Studium vermittelt werden, während handlungspraktische Aspekte der Medienintegration im Unterricht sowie Schulentwicklungsfragen eher in die zweite Ausbildungsphase und in die Weiterbildung verlegt werden könnten.

Grundsätzlich kommt aber für einen solch gestaffelten Kompetenzaufbau erschwerend hinzu, dass die Verzahnung der Ausbildungsphasen seit jeher eine in der Regel nicht besonders zufriedenstellend gelöste Aufgabe in der Lehrkräftebildung ist sowie die Weiterbildung von Lehrkräften ebenfalls bisher nicht derart systematisch erfolgt, dass sichergestellt wäre, dass sie sich regelmäßig und strukturiert mit der Einbindung digitaler Medien in ihren Unterricht beschäftigen.

Die Digitalisierung könnte also einen Anlass bieten, sich noch einmal grundsätzlich mit der Kohärenz von Aus- und Weiterbildung in der Lehrkräftebildung auseinanderzusetzen.

Medienpädagogische Kompetenz als disziplinübergreifende Querschnittsaufgabe

Die Anbahnung medienpädagogischer Kompetenz als Querschnittsaufgabe bedeutet für die erste und zweite Phase der Lehrkräftebildung, dass hier die entsprechenden Teilkompetenzen in den Fachwissenschaften, den Fachdidaktiken, den Bildungswissenschaften, der Psychologie, der Soziologie usw. vermittelt werden. Hierzu bräuchte es ein über die Fächer abgestimmtes Programm – auch das ist ein Problem, das uns nicht nur im Bereich der Medienbildung beschäftigt, sondern auch in vielen anderen Gebieten. Die mangelnde Kohärenz der Lehrkräftebildung über die Disziplinen des Studiums hinweg ist ein seit Jahrzehnten kritisiertes Problem, das alles andere als trivial ist.

Wie schwierig die Integration von Studieninhalten als Querschnittsaufgabe ist, zeigt sich auch an der Verankerung anderer Querschnittsthemen wie Inklusion und Sprachbildung. Dabei zeigt sich, dass eine fachintegrierte Vermittlung auch dazu führen kann, dass diese in der Implementierung gänzlich verschwinden, insbesondere in Fächern und Fachbereichen, die sich mit den Querschnittsthemen ohnehin schwertun. Neben der Entwicklung eines abgestimmten Programms braucht es also:

  1. Maßnahmen, um eine gewisse Verbindlichkeit in der Ausbildung über alle Fächer hinweg sicherzustellen.
  2. „Zeitgefäße“, denn insbesondere die Fachdidaktiken und die Bildungswissenschaften werden derzeit mit Querschnittsaufgaben wie Inklusion, Sprachbildung, Genderkompetenz oder Service Learning geradezu überfrachtet, sodass auch einmal die Frage gestellt werden muss, welche Aspekte und Themen wegfallen sollten, wenn diese Aspekte als Querschnittsaufgaben hinzukommen.
  3. Raum und Zeit für das Lehrpersonal an den Universitäten, um sich die entsprechenden Themenbereiche zu erarbeiten und diese sinnvoll in ihre Lehrtätigkeit zu integrieren.

Zur Bedeutung von medienbezogenen Werthaltungen und Einstellungen

Wie eingangs bereits erwähnt, geht es beim Aufbau medienpädagogischer Kompetenz nicht allein um die Vermittlung von Wissen. Vielmehr hängt die (innovative) Nutzung digitaler Medien auch mit Werthaltungen und Einstellungen zum Mehrwert ebendieser Medien sowie mit der Innovationsbereitschaft, dem eigenen Herausforderungen für die Lehrkräftebildung in der digitalen Welt Heike Schaumburg Rollenbild und damit mit dem Professionsverständnis der (angehenden) Lehrkräfte zusammen.

Vor diesem Hintergrund wäre möglicherweise das Desiderat der ersten und zweiten Ausbildungsphase nicht mehr unbedingt, dass Lehrkräfte in allen oben genannten Dimensionen umfassend und vollständig ausgebildet in die Schulen entlassen werden. Sie sollten vielmehr so entlastet werden, dass sie ihre Bildungsaufgabe als angehende Lehrkräfte als eine ansehen, die im Zeitalter der Digitalisierung gar nicht ohne digitale Medien auskommen kann. Sie sollten zudem ein Professionsverständnis entwickelt haben, zu dem selbstverständlich dazugehört, sich auch und gerade bezüglich des Umgangs mit digitalen Medien lebenslang fortzubilden und digitale Medien in der Schule nicht als Herausforderung, der man sich stellen muss, zu erleben, sondern als Teil der Lebenswelt und damit als selbstverständlichen Teil der Schule.

»Vielleicht entlastet der Gedanke, dass im Zentrum das Anbahnen einer Haltung steht.«

Heike Schaumburg

Die Aufgabe würde dadurch freilich nicht unbedingt einfacher, denn sie setzt immer noch voraus, dass ein solches Bewusstsein über die Bedeutung der Digitalisierung für die Schule von vielen Beteiligten in der Lehrkräftebildung geteilt und an die Studierenden vermittelt wird. Und selbstverständlich ist es für die Entwicklung einer solchen Haltung immer noch notwendig, die Studierenden mit verschiedenen Facetten der oben genannten Modelle zu konfrontieren.

Vielleicht entlastet der Gedanke, dass im Zentrum das Anbahnen einer Haltung steht. Denn in ihm steckt auch, dass die Lehrenden an der Universität und in den Studienseminaren das tun, was sie selbst den Studierenden und Referendar:innen häufig genug predigen: Vertrauen in Kompetenzen anderer haben, Freiräume schaffen, in denen die Potenziale digitaler Medien frei von Bewertungsdruck erprobt werden können, und auch als Lehrende eine lernende Haltung einnehmen. Auf diesem Weg wird medienpädagogische Kompetenz zu einer Lernaufgabe, die gemeinsam bewältigt werden kann.

Heike Schaumburg

Heike Schaumburg ist Erziehungswissenschaftlerin und Psychologin. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Einsatz digitaler Medien in Schule und Unterricht, z. B. die Einführung von Laptopklassen, das individualisierte Lernen oder die Bedingungen der Vermittlung informations- und computerbezogener Kompetenzen. Heike Schaumburg lehrt und forscht am Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und gehörte von 2011 bis 2018 dem Direktorium der Professional School of Education der Universität an. Seit 2019 verantwortete sie als wissenschaftliche Leiterin ein Teilprojekt des Verbundprojekts „Dig*In: Digitalisierung und Inklusion – Grundsatzfragen und Gelingensbedingungen einer inklusiven digitalen Schul- und Unterrichtsentwicklung“ der Europa-Universität Flensburg (EUF) und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU).

https://digi-ebf.de/

Literatur
  • Benali, M., Kaddouri, M. & Azzimani, T. (2018): Digital competence of Moroccan teachers of English. In: International Journal of Education and Development using ICT 14(2), S. 109-120. Online-Dokument: http://ijedict. dec.uwi.edu/include/getdoc.php?id=7701&article=2526&mode=pdf [letzter Zugriff: Oktober 2018]
  • Imort, P. & Niesyto, H. (2014): Grundbildung Medien in pädagogischen Studiengängen. München: kopaed
  • Kammerl, R. & Mayrberger, K. (2014): Medienpädagogik in der Lehrerbildung. Zum Status quo dreier Standorte in verschiedenen deutschen Bundesländern. In: P. Imort & H. Niesyto (Hrsg.), Grundbildung Medien in pädagogischen Studiengängen, S. 81-94. München: kopaed
  • Kammerl, R., Unger, A., Günther, S. & Schwedler, A. (2016): BYOD – Start in die nächste Generation. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Evaluation des Pilotprojekts. Online-Dokument: https://www.ew.uni-hamburg. de/einrichtungen/ew1/medienpaedagogik-aesthetische-bildung/medienpaedagogik/dokumente/byod-bericht-final.pdf [letzter Zugriff: Februar 2017]
  • KMK [Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland] (2016): Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016 (https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/ pdf/PresseUndAktuelles/2017/Digitalstrategie_KMK_Weiterbildung.pdf). [letzter Zugriff: Februar 2019]
  • Knezek, G. & Christensen, R. (2016): Extending the will, skill, tool model of technology integration: Adding pedagogy as a new model construct. In: Journal of Computing in Higher Education 28(3), S. 307-325
  • Prasse, D. (2012): Bedingungen innovativen Handelns an Schulen. Münster: Waxmann
  • Redecker, C. & Punie, Y. (2017): European Framework for the Digital Competence of Educators (DigCompEdu). Luxemburg: Publications Office of the European Union. Online-Dokument: https://ec.europa.eu/jrc/sites/ jrcsh/files/digcompedu_leaflet_de-2018-09-21pdf.pdf [letzter Zugriff: Februar 2019]
  • Schaumburg, H./ Prasse, D./ Tschackert, K. & Blömeke, S. (2007): Lernen in Notebook-Klassen. Endbericht der Evaluation des Projekts “1000mal1000: Notebooks im Schulranzen. Online-Dokument: http://www.ssg-bildung. ub.uni-erlangen.de/Lernen_in_Notebook-Klassen.pdf. [letzter Zugriff: Februar 2019]