Gastbeitrag
Mehr Kooperation wagen
von
veröffentlicht am 24.08.2021
Lesezeit: 6 Minuten
Die staatliche Lehrkräftefortbildung arbeitet oftmals am Bedarf vorbei, doch weder Schulpolitik noch Schulleitungen wirken dem entgegen. Höchste Zeit, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Dinge selbst in die Hand nehmen! Dafür braucht es in den Kollegien allerdings eine neue Kultur der Zusammenarbeit.
Dass beim digital gestützten Unterrichten viele Lehrkräfte noch Nachholbedarf zeigen, haben die pandemiebedingten Schulschließungen in den vergangenen anderthalb Jahren deutlich offengelegt. Ob daran allerdings eine Lehrkräftefortbildung mit dem Titel „Sticken eines QR-Codes“ etwas ändern kann – das wage ich dann doch zu bezweifeln. Sie haben richtig gelesen: In dem zweieinhalbstündigen Seminar sollen Lehrkräfte lernen, einen binären Code mit Nadel und Garn auf einem Kopfkissenbezug oder einem Pullover zu verewigen. Frei erfunden, sagen Sie? Mitnichten! Die Recherche im Netz bringt es zutage. Zugegeben, die Veranstaltung ist schon ein paar Jahre her, knapp vier, um genau zu sein. Zur Ehrenrettung des veranstaltenden Schulamtes könnte man außerdem anführen, dass sie sich explizit an Lehrkräfte für das Fach Werken bzw. Textiles Gestalten richtete. Gewundert habe ich mich über das skurril klingende Angebot dennoch. Und mir einmal mehr die Frage gestellt, ob das System der Lehrkräftefortbildung in Deutschland nicht dringend einer Reform bedürfte.
Einmalige Druckbetankung ist wenig effektiv
Mir scheint, es gelingt uns einfach nicht, unsere Lehrkräfte adäquat für die zahlreichen Herausforderungen zu rüsten, vor denen diese heute im Klassenzimmer stehen – allen voran die Frage des pädagogisch sinnvollen Einsatzes digitaler Medien. Und zwar nicht nur, weil so manches staatliche Fortbildungsangebot (siehe oben!) komplett am schulischen Bedarf vorbeigeht. Der wahre Grund liegt aus meiner Sicht tiefer: Weder die Schulen noch die Kultusministerien der Länder begreifen die berufsbegleitende Weiterentwicklung der Lehrerkollegien schon als das, was sie eigentlich sein müsste: ein kontinuierlicher kollaborativer innerschulischer Prozess.
Stattdessen sieht die gängige Praxis weiterhin wie folgt aus: Schulen entsenden einzelne Lehrkräfte für einen Tag, oft auch nur für einen halben, an ein Fortbildungsinstitut, wo diese zu einem bestimmten Thema druckbetankt werden, einmalig und ohne Nachbearbeitung. Dabei besteht in der Bildungsforschung längst Konsens darüber, dass Fortbildungen sequenziell angelegt sein müssen, um tatsächlich Wirkung zu erzielen: 1.) Inhaltlicher Impuls; 2.) Erprobung des Gelernten im Unterricht; 3.) Reflexion der gemachten Erfahrungen – idealerweise in einem iterativen Kreisprozess und gemeinsam mit den Kolleg:innen der eigenen Schule. So viel Zeit allerdings billigen die Schulleitungen ihren Pädagogen angesichts des ohnehin schon immensen Unterrichtsausfalls kaum einmal zu. Warum sollten sie auch? Schließlich definieren nur die wenigsten Bundesländer in ihren Vorgaben, welchen Umfang Fortbildungsmaßnahmen pro Lehrkraft und Jahr haben müssen. Das ist kontraproduktiv!
Es ließen sich weitere System-Defizite aufzählen, etwa der Mangel an qualifizierten Fortbildner:innen; oder die Tatsache, dass die Hochschulen zwar die Erstausbildung von Lehrkräften bestreiten, an deren Fortbildung aber kaum beteiligt sind, was dazu führt, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse nur über die Referendar:innen oder am aktuellen Forschungsdiskurs interessierte Kolleg:innen in die Schulen einsickern, statt in der Breite der Kollegien anzukommen.
Macht hoch die (Klassenzimmer-)Tür!
Wie aber könnte man die Lehrkräftefortbildung in Deutschland reformieren? Ganz ohne externe Qualifizierung wird es auch in Zukunft nicht funktionieren, so viel ist sicher. Darüber hinaus wäre es aus meiner Sicht aber durchaus möglich, ja: angebracht, dass die Schulen die Sache stärker selbst in die Hand nehmen und vor Ort für eine kontinuierliche professionelle Weiterentwicklung ihrer Lehrkräfte sorgen. Gefragt sind dabei zunächst die Schulleitungen; längst nicht alle erfassen nämlich bislang tatsächlich systematisch den Fortbildungsbedarf in ihren Kollegien, was aber ja die Voraussetzung für eine nachhaltige Fortbildungsplanung wäre. Wo haben wir noch fachliche, fachdidaktische oder pädagogische Lücken? Wo wollen wir als Schulgemeinschaft insgesamt hin? Diese und andere Fragen gilt es zu stellen und beantworten.
»Nur durch mehr Teamarbeit wird es allerdings gelingen, extern erworbenes Wissen in den Kollegien zu verfestigen und in besseren Unterricht umzumünzen.«
Und dann braucht es an den Schulen schlicht eine andere Kooperationskultur. Seien wir ehrlich, Lehrkräfte sind bislang nicht gerade als Teamplayer:innen bekannt; anders als in Ländern wie, Singapur, Dänemark oder Estland findet Unterricht bei uns meist hinter verschlossener Tür statt, gegenseitige Hospitationen oder gemeinsame Unterrichtsentwicklung gibt es kaum einmal. Das muss sich ändern – und zwar in der Fläche, nicht nur an wenigen Pionier- und Vorzeigeschulen! Wie schon gesagt, die Lehrkräfte können sich nicht komplett an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Nur durch mehr Teamarbeit wird es allerdings gelingen, extern erworbenes Wissen in den Kollegien zu verfestigen und in besseren Unterricht umzumünzen. Hinzu kommt, dass es ohnehin an jeder Schule Lehrkräfte gibt, die auf einem bestimmten Gebiet Spezialist:innen sind, sei es zum Beispiel für eine Lernplattform oder für eine bestimmte Lehrmethode. Warum sollten diese Spezialisten ihre besondere Expertise nicht mit den Kolleg:innen vor Ort teilen? Das Forum Bildung Digitalisierung hat letztes Jahr in einem Praxisleitfaden zusammengefasst, wie sich solche internen Mikrofortbildungen konkret organisieren lassen. Fest steht: Schulen, an denen Kooperation heute bereits großgeschrieben wird, gelingt nachweislich auch vieles andere besser.
Nur, wie gelangt man zu einer fruchtbaren Kooperationskultur, wenn bislang eher Einzelkämpfertum im Vordergrund stand? Von der Schulleitung verordnen lässt sich mehr Teamarbeit freilich nicht. Wohl aber durch bessere Rahmenbedingungen fördern. Heißt konkret: Die Bildungsverwaltung muss den Lehrkräften endlich feste Kooperationszeiten zugestehen, und zwar als Bestandteil der normalen Arbeitszeit und nicht etwa „on top“, wie es bislang praktiziert wird. Natürlich wären auch spezielle Kooperationsräume mit entsprechender Ausstattung wünschenswert, allerdings lassen sich diese in den häufig maroden Schulgebäuden wohl nicht ohne Weiteres umsetzen. Hier bleibt Improvisation Trumpf. Und wer wäre darin geübter als unsere Lehrkräfte?!
Teamarbeit statt Einzelkämpfertum
Ein Raum, wo bereits heute ganz viel Teamarbeit unter Lehrkräften stattfindet, sind übrigens die sozialen Medien. Davon haben kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin die im Netz sehr aktive Lehrerin Nina Toller und die Paderborner Schulforscherin Birgit Eickelmann enthusiastisch berichtet. So gebe es auf Twitter und Instagram unter bestimmten Hashtags mittlerweile einen enormen horizontalen Wissenstransfer. Überhaupt hätten sich während Corona ganz neue Fortbildungsformate auf Peer-to-Peer-Ebene etabliert, die nicht zuletzt besser mit dem Job an der Tafel und der Familie vereinbar seien als die klassischen Veranstaltungen. So lässt sich konstatieren, dass die Pandemie in Schule offenbar nicht nur hinsichtlich der digitalen Ausstattung etwas angestoßen hat.
Vermutlich findet man im #Twitterlehrerzimmer sogar in Windeseile Kolleg:innen, die einem die Einsatzmöglichkeiten von QR-Codes in der Schule erklären. Denn: Die kleinen schwarz-weißen Pixelquadrate können im Unterricht ja tatsächlich sehr nützlich sein. Das merkt man als Lehrkraft spätestens, wenn man einmal die komplette Klasse eine Internetadresse wie
https://docs.google.com/document/d/1Vpnp0ZasdseedfdsdfrsdfahOBo5lTXo5CS32jaFTx3smAD1p1G6ZWI/edit?pli=8
etwa von der Tafel in die Browser ihrer Smartphones abtippen lässt. Die sähe auf einem Pullover oder Kissenbezug zudem reichlich seltsam aus.