Schulentwicklung im Team: Gemeinsam Veränderungsprozesse anstoßen
Illustration: Samy Löwe
Impuls

Schulentwicklung im Team: Gemeinsam Veränderungsprozesse anstoßen

von Anja Reiter
veröffentlicht am 26.11.2020
Lesezeit: 6 Minuten

Schulentwicklung ist nicht alleine Sache der Schulleitung. An vielen Schulen regen längst auch das Kollegium und die Schüler:innen Impulse zur Veränderung an. Die Methode „SchoolOutLoud“, entstanden beim Hackathon #wirfürschule, will Schulen dabei helfen, Veränderungsprozesse kooperativ in Teams zu gestalten. Dahinter steckt die Vision, allen Beteiligten eine Stimme zu geben.

Schulentwicklung und Veränderungsprozesse müssen nicht immer top-down vonseiten der Schulleitung angeregt und umgesetzt werden – oder gar von außen an Schulen herangetragen werden. Innerhalb des Systems Schule können alle Beteiligten Impulse zur Weiterentwicklung beitragen, egal ob Schulleitung, Kollegium, Schüler:innen, Eltern oder Akteure aus der Zivilgesellschaft, die mit Schulen kooperieren. Die zielgerichtete Gestaltung von Veränderungen im Team ist dabei eine große Chance, aber auch mit Herausforderungen verbunden.

Die Frage, wie man Schulen kooperativ verändern kann, bewegt auch Julia Glage , Lehrerin für Deutsch und Religion in Hannover. Um sich in Zeiten der coronabedingten Schulschließungen vernetzen zu können und an der Vision von kooperativen Schulentwicklungsprozessen zu arbeiten, meldete sich die Gymnasiallehrerin für den Hackathon #wirfürschule an. An den Startschuss des Hackathons erinnert sie sich genau: An einem Montagvormittag im Juni 2020 loggte sie sich von ihrem heimischen Laptop aus auf der Plattform Slack ein.

Dort fand Julia Glage schnell ein Kernteam aus Gleichgesinnten: einen Schulleiter, einen wissenschaftlichen Projektleiter, eine Mutter, einen weiteren Lehrer, eine Startup-Gründerin und einen Schüler. Sie alle einte der Wunsch, Schulentwicklung demokratischer zu organisieren. Wenige Stunden später trafen sie sich zu einer ersten Videokonferenz. Die gemeinsamen Fragestellungen waren schnell gesetzt. Im Themenfeld „Schulentwicklung und Schulmanagement“ wollten sie eine Lösung für folgende Fragestellung entwickeln: Wie können sich Lehrkräfte an Schulen besser untereinander vernetzen – und wie kann man Schulleitungen dabei unterstützen, ihre Schulen demokratisch und nicht hierarchisch weiterzuentwickeln?

Inspiration durch Methoden aus der Berufswelt

Bei der Entwicklung ihres Projekts ließ sich das Team von Methoden aus der Berufswelt inspirieren, die im Bildungssektor noch nicht verankert sind, darunter die Methode „Work Out Loud“ (Williams 2010): Dabei machen Mitarbeiter:innen die eigene Arbeit öffentlich, indem sie in einem persönlichen Gespräch mit Kolleg:innen, in einem internen Blog oder in einem Wiki über die Fortschritte und Schwierigkeiten des eigenen Projekts berichten. Das Team um Julia Glage reicherte die Methode aus der Business-Welt mit weiteren Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung an, übertrug sie in den schulischen Kontext und schuf die Methode „SchoolOutLoud“.

Die Digitalisierung kann eine schulübergreifende Lernkultur verstärken, die über Bundesländer- und Landesgrenzen hinweg funktioniert.

Die Idee hinter dem Projekt: Schulleitungen oder einzelne Lehrkräfte setzen sich zu Beginn ihrer Reise ein individuelles Lernziel zur Schulentwicklung, etwa das Kennenlernen von neuen digitalen Tools für das eigene Fachgebiet oder die Etablierung eines Schulmanagement-Systems. Sodann vernetzen sie sich mit Gleichgesinnten in einem Lernnetzwerk, innerhalb der eigenen Schule oder auch schulübergreifend. Während des mehrwöchigen Programms erhalten sie immer wieder Impulse und Arbeitsaufträge zur Reflexion. Die eigenen Erfahrungen, Erkenntnisse und Einsichten teilen die Teilnehmenden mit ihrem Netzwerk. 

Die Methode funktioniert analog, doch das Team will diese zusätzlich in die digitale Welt transferieren – in Form einer digitalen Plattform. So könnten Schulleitungen und Lehrkräfte in Zukunft auch über mehrere Schulen hinweg ihr Wissen teilen und so beim individuellen Schulentwicklungsprozess von anderen Erfahrungen lernen. Auf diese Weise kann die Digitalisierung eine schulübergreifende Lernkultur verstärken, die über Bundesländer- und Landesgrenzen hinweg funktioniert.

Bereitschaft zur Kooperation ist groß

Auch im Sinne des Digital Leaderships ist „SchoolOutLoud“ ein wirksames Instrument. „Ein guter Leader weiß, dass er nicht alles alleine umsetzen kann“, erklärt Julia Glage. Stattdessen erkenne eine gute Schulleitung das Potenzial im Kollegium, insbesondere in Sachen Schulentwicklung. Ideen und Persönlichkeiten könnten sich aber nur entfalten, wenn es eine entsprechende Lern- und Beziehungskultur an einer Schule gibt. Tools wie die „SchoolOutLoud“-Plattform könnten in Zukunft dabei helfen, das nötige Mindset aufzubauen und einen Überblick über vorhandene Fähigkeiten, Lernkurven und Kompetenzen zu behalten. Beziehungskultur, Lernkultur, Vernetzung und Transparenz sind somit die wichtigsten Pfeiler der Vision.

Mithilfe von Methoden wie „SchoolOutLoud“ könnte es gelingen, auch die Themen Weiterbildung und Schulentwicklung als Teamaufgaben zu behandeln.

Die Bereitschaft zur Kooperation ist an deutschen Schulen groß, wie Studien zeigen. 97 Prozent der Lehrer:innen finden es wichtig, mit Kolleg:innen zusammenzuarbeiten, für 87 Prozent lohnt sich der Aufwand (Richter & Anand Pant 2016).  In vielen Fällen geht die Kooperation im Kollegium aber nicht über das Teilen von Arbeitsmaterialien hinaus. Mithilfe von Methoden wie „SchoolOutLoud“ könnte es gelingen, auch die Themen Weiterbildung und Schulentwicklung als Teamaufgaben zu behandeln. Dass sich auch Lehrpersonen weiterhin als Lernende begreifen, ist ein Ziel des Projekts. 

„An Schulen findet man häufig Einzelkämpfer:innen“, sagt Julia Glage, „nicht weil Lehrer:innen unbedingt alleine kämpfen wollen, sondern weil sie nicht wissen, wie sie davon wegkommen.“ Manche Lehrpersonen seien von der Sorge getrieben, nicht die beste aller Lösungen zu haben und wollten sie deshalb nicht mit anderen teilen. Wieder andere würden an ihrer Schule keine Gleichgesinnten finden, mit denen sie sich gemeinsam auf den Weg machen könnten. Übergeordnetes Ziel der Methode sei es daher, Schulen miteinander zu vernetzen und langfristig ein Growth Mindset zu etablieren – eine Haltung also, die von der Annahme geprägt ist, dass alle Menschen stetig dazulernen können.+

Fakten zum Hackathon #wirfürschule

Fünf Tage, 6.142 Anmeldungen, 15 Sieger-Projekte: Das ist die Bilanz des #wirfürschule-Hackathons, der vom 8. bis 12. Juni 2020 online stattfand. Die Idee zum Bildungs-Hackathon wurde während der Corona-Pandemie geboren. Den Initator:innen ging es um weit mehr als um die aktuellen Herausforderungen während der Schulschließungen. „Wir wollen das deutsche Schulsystem hacken und langfristig verändern“, erzählt Janina Wiedenbach vom Projektteam.

Von der Idee bis zum Starttermin vergingen weniger als fünf Wochen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, Digital-Staatsministerin Dorothee Bär und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stefanie Hubig, übernahmen die Schirmherrschaft für das Projekt. Das Forum Bildung Digitalisierung unterstützte den Hackathon. 

Die über 6.000 Teilnehmenden des Hackathons stammten aus allen Sphären des Schulbetriebs: Schulleitungen und Lehrkräfte, Schüler:innen und Studierende, Eltern und Startup-Gründer:innen. Um am Hackathon teilzunehmen, mussten sie sich für eines von neun Themenfeldern entscheiden, darunter Soziale Gerechtigkeit, Technische Ausstattung oder Schulentwicklung und Schulmanagement.

Fehler als natürlicher Bestandteil der Entwicklung

Teil dieser wachstumsorientierten Haltung sei die Bereitschaft, von anderen zu lernen, Fehler als natürlichen Baustein anzuerkennen und Kolleg:innen am eigenen Lernprozess teilhaben zu lassen. „SchoolOutLoud ist wie vor dem Spiegel üben, nur dass der Spiegel auch antwortet. Professionalisierung gelingt am besten gemeinsam“, fasst Dominik Kemper zusammen, Mitentwickler von „SchoolOutLoud“ und didaktischer Leiter an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen.

Bis die Methode „School out loud“ einsatzfähig ist, wird es noch ein wenig dauern. Im Moment entwickelt das Team einen Prototyp der Plattform, der dann an verschiedenen Schulen getestet werden soll. Die Lehrerin Julia Glage und ihre Teamkolleg:innen stecken all ihre freie Zeit in die Entwicklung des Tools. Für sie kennt der Lehrberuf keinen Feierabend, sagt Julia Glage, sondern sei definitiv Berufung. An einem Hackathon würde die Gymnasiallehrerin sofort wieder teilnehmen. Sie schätzt die professionelle Leitung und User Experience, trotz des unerwartet hohen Andrangs von Teilnehmenden: „Während des Events ist eine unglaubliche Energie entstanden!“

Anja Reiter

Anja Reiter arbeitet als freie Journalistin in Bonn, vor allem zu Bildungs-, Umwelt-, Digitalisierungs- und Gesellschaftsthemen. Zu ihren journalistischen Auftraggebern zählen Die ZEIT, die Süddeutsche Zeitung und das Greenpeace Magazin. Daneben hilft sie bei der Konzeption von Magazinen, gibt Workshops für journalistischen Nachwuchs und moderiert Podiumsdiskussionen. Außerdem ist sie im Vorstand der Freischreiber aktiv, dem Berufsverband der freien Journalist:innen. 

https://anjareiter.com/

Literatur
  • Williams, Bryce (2010): „When will we Work out Loud? Soon!“ Online: https://thebryceswrite.com/2010/11/29/when-will-we-work-out-loud-soon
  • Richter, Dirk & Anand Pant, Hans (2016): Lehrerkooperation in Deutschland. Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen bei Lehrkräften der Sekundarstufe I. Online: https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/media/publications/studie_lehrerkooperation_in_deutschland_1.pdf