Impuls
Schulinterne Fortbildungsangebote: Veränderungen im Kollegium bewirken
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veröffentlicht am 13.02.2020
Lesezeit: 9 Minuten
Wie können Lehrkräfte begleitend zur Ausübung ihrer Tätigkeit bestmöglich auf die Anforderungen der digitalen Welt vorbereitet werden? Das Oskar-Maria-Graf Gymnasium Neufahrn bei Freising in Oberbayern hat dafür ein umfassendes schulinternes Fortbildungskonzept etabliert und setzt auch auf externe Beratung und Austausch in Netzwerken.
„Zur Berufsfertigkeit braucht es die Erfahrung der Praxis, die kollegiale Reflexion und die Adaption von Expert:innenwissen“, sagt Peter Daschner, Direktor des Hamburger Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung. Ein Team um Daschner hat in der im Frühling 2019 erschienenen Studie „Lehrkräftefortbildung in Deutschland. Bestandsaufnahme und Orientierung“ belegt, dass die Auswirkungen von Fortbildungen, die nur von einzelnen Lehrkräften besucht werden, im Schulalltag weitestgehend verpuffen (Daschner & Hanisch 2019). Das Urteil der Autor:innen ist eindeutig: Die Lehrkräftefortbildung in Deutschland ist unterfinanziert, wenig transparent und kaum nachhaltig.
Das Problem ist nämlich: Wenn Lehrkräfte an Fortbildungen teilnehmen, dann handelt es sich meist um einmalig stattfindende Kurse ohne Nachbearbeitung oder Fortsetzung. Aber selbst hoch motivierten Lehrkräften fällt es schwer, an einem Nachmittag Handlungsroutinen und Gewohnheiten zu verändern. Fachleute empfehlen, in Fortbildungen tiefergreifende Lernprozesse zu ermöglichen und zur Reflexion anzuregen. Die Fortbildung muss erlauben, das Gelernte anzuwenden, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen.
Zur Berufsfertigkeit braucht es die Erfahrung der Praxis, die kollegiale Reflexion und die Adaption von Expert:innenwissen.
Weiterentwicklung von Unterricht durch Fortbildung des gesamten Kollegiums
Ein Weg dahin sind Fortbildungen, die als schulinterne wiederkehrende Veranstaltungen für das gesamte Kollegium angelegt sind. Bei schulinternen Fortbildungen steht gemeinsames Entwickeln ganz oben auf der Prioritätenliste, um Kompetenzen im Team auf- und auszubauen. Diese Konzeption hat den Vorteil, dass – fast nebenbei – Kollaboration im Kollegium zur gemeinschaftlichen Umsetzung von Vorhaben der Schul- und Unterrichtsentwicklung in der digitalen Welt eingeübt wird. Denn immer noch sind viele Lehrkräfte Einzelkämpfende, obwohl kollaborative Ansätze nachweislich mehr Qualität in den Unterricht und mehr Zufriedenheit in die Arbeit bringen können.
Einige Schulen, wie etwa das Oskar-Maria-Graf-Gymnasium Neufahrn bei Freising, haben bereits Erfahrungen in der Konzeption von schulinternen Angeboten zur Digitalisierung gemacht. Das Neufahrner Kollegium sieht sich seit einigen Jahren damit konfrontiert, dass Schüler:innen heute bereits mehr Zeit vor den Bildschirmen digitaler Medien verbringen als in der Schule – ihre Lebenswelt ist stark digital geprägt. Aber nur, weil Kinder und Jugendliche digitale Medien konsumieren, sind sie nicht auch kompetente Nutzende. Die International Computer and Information Literacy Study (ICILS) bestätigt die Lehrkräfte in dieser Einschätzung (Eickelmann u. a. 2019). Um die Jugendlichen zu urteilsfähigen und kritischen Nutzenden digitaler Medien zu machen, müssen allerdings erst einmal die Lehrkräfte auf den neuesten Wissensstand gebracht werden.
Am Anfang stand der Wunsch, für den Unterricht und die Erfüllung der pädagogischen Zielsetzungen ebenso selbstverständlich Bücher wie digitale Instrumente einzusetzen. Die Lehrkräfte waren sich einig, dass diese Entwicklung nicht von oben verordnet werden könne, sondern von innen heraus entwickelt werden müsse. Die Teilnahme an schulinternen Fortbildungen ist daher freiwillig.
Andrea Holler: Das schulinterne Fortbildungskonzept des Oskar-Maria-Graf-Gymnasiums Neufahrn bei Freising
Wissensmanagement und Peer-to-Peer-Beratung im Kollegium
Im Mittelpunkt des Fortbildungskonzepts steht die Expertise eines Fortbildungsteams aus medienaffinen Lehrkräften, die bereits tiefergehende Kenntnisse in der Gestaltung von digitalen Lehrund Lernszenarien haben. Zur Qualifizierung des Kollegiums werden verschiedene Formate angeboten: Kernelement des Fortbildungskonzepts sind 45-minütige schulinterne Mikrofortbildungen, die meist in der Mittagspause
stattfinden. Dabei stellt das Fortbildungsteam erprobte Webtools regelmäßig dem Kollegium vor. Zusätzlich erstellen sie Handouts zum Selbststudium. Daneben wurde ein schulinterner Online-Kurs zur digitalen Didaktik auf der bayerischen OnlineLernplattform mebis geschaffen, in der sich das Kollegium informieren, austauschen und Empfehlungen aussprechen kann. Die dauerhaft hinterlegten Antworten dienen allen als Hilfestellung. Eine eigens eingerichtete Soforthilfe-Sprechstunde verfolgt den Ansatz einer Peer-to-Peer Beratung. Lehrkräfte unterstützen sich hier gegenseitig, um Herausforderungen im Digitalisierungsprozess gemeinsam zu bewältigen. Mit diesen Bausteinen gelang es dem Neufahrner Gymnasium, in der Breite zu einem didaktisch reflektierten Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu kommen.
Ein Beispiel dafür ist der Mathematikunterricht: Fachlehrkräfte nehmen jetzt Unterrichtssequenzen digital auf und stellen diese den Schüler:innen online als Video zur Verfügung. Die Lernenden können sich den Vortrag der Lehrkräfte jederzeit anhören und sich Zusatzmaterial wie erklärende Grafiken dazu ansehen. Im eigentlichen Unterricht haben die Lehrkräfte dadurch Zeit und Ruhe, um auf individuelle Fragen zu den Aufgaben oder auf Lernschwierigkeiten einzugehen.
Nach einer Reihe dieser Erfahrungen wissen die Lehrkräfte jetzt: Digitales Lernen kann sehr motivierend sein und unterstützt Differenzierung und individuelle Förderung, sofern die Instrumente entsprechend eingesetzt werden. Wichtig ist, dass Lehrkräfte auf einen erprobten Fundus an digitalen Instrumenten zurückgreifen können, ohne jedes Mal Zeit in aufwendige Recherchearbeit investieren zu müssen.
Die IT-Ausstattung am Oskar-Maria-Graf-Gymnasium
Grundvoraussetzung für den Erfolg eines Digitalkonzepts ist die entsprechende IT-Ausstattung. Beim OskarMaria-Graf-Gymnasium besteht diese aus einer im gesamten Schulgebäude funktionierenden Internetverbindung sowie einem PC, einer Dokumentenkamera und einem Beamer sowie Apple-TV in jedem Klassenraum. Die Schule besitzt acht iPad-Koffer mit je 16 iPads und zwei Computerräume mit stationären PCs.
Steueraufgaben der Schulleitung
Das Kollegium einer Schule besteht aus Menschen, die unterschiedlich veränderungsbereit sind. Schulleitungen in ihrer besonderen Verantwortung für die Organisations- und Personalentwicklung sollten dabei auf drei zentrale Prinzipien setzen (Zorn 2019), um alle – enthusiastische wie auch skeptische Kollegiumsmitglieder – in einen schulinternen Entwicklungsprozess einzubinden: Beteiligung, Begegnung und Bedeutsamkeit.
Beteiligung bedeutet, besonders Veränderungsunwillige früh in den Prozess einzubinden und auf ihre freiwillige Mitarbeit zu bauen. Das Prinzip Begegnung setzt auf die Kontakthypothese, wonach die Akzeptanz einer Neuerung wächst, je mehr Kontakt aufgebaut wird. Der Kontakt kann beispielsweise durch gute Beispiele sowie den Austausch und die Vernetzung mit Schulen, die bereits auf dem Weg sind, sich als gute Schule in der digitalen Welt aufzustellen, gelingen. Bedeutsamkeit stellen Schulleitungen beispielsweise her, indem sie Ziele definieren und deutlich machen, wenn und wann diese erreicht sind. Für die Schulleitung kann außerdem ein Austausch mit Fachleuten außerhalb der Schule sehr hilfreich sein, um neue Impulse für die fortlaufende Aktualisierung und Anpassung des Fortbildungskonzepts und letztlich durch Kooperationen Unterstützung zur Umsetzung des schulischen Medienkonzepts zu erhalten.
Unterstützung durch schulübergreifenden Austausch in Netzwerken
Neben schulinternen Angeboten sind Netzwerke von Schulen – auch bundesländerübergreifend – hilfreich, um Herausforderungen zu diskutieren und Lösungsansätze zu entwickeln und zu verbreiten. Neben der Möglichkeit, dass Schulen eigenständig Netzwerke mit anderen Schulen aufbauen und entwickeln, können zusätzlich Anregungen und Unterstützungsangebote von weiteren Beteiligten kommen. Schulnetzwerke sollten sich jedoch nicht als geschlossene Zirkel verstehen, sondern außerschulische Partner – auch aus der Zivilgesellschaft – einbinden, die ihren Horizont über die staatlichen Strukturen hinaus erweitern. Das Oskar-Maria-Graf-Gymnasium ist aus diesem Grund am Schulnetzwerk des Forum Bildung Digitalisierung beteiligt, das über dieses Format mit Schulen verschiedener Schulformen aus allen Bundesländern zusammenarbeitet. Die Auszeichnung des Gymnasiums als „Smart School“ durch den Verband der Digitalwirtschaft Bitkom bringt die Schule in ein weiteres Netzwerk und bestätigt die besondere Berücksichtigung der Digitalisierung in den Bereichen Infrastruktur, Lehrkräftefortbildung und pädagogische Konzepte.
Bildungsverwaltung als Begleitung und Beratung des (schulinternen) Wandels
Staatliche Institutionen können schulinterne Fortbildungen ebenfalls unterstützen. Im kleinen Nachbarland Luxemburg funktioniert das vorbildlich. Die Ausgangslage erscheint zunächst komplex. Die Schulen sind dort mit extremer sprachlicher Heterogenität ihrer Schüler:innen konfrontiert. Fast die Hälfte von ihnen hat keinen Luxemburger Pass. Es gibt drei offizielle Landessprachen: Deutsch, Französisch und Luxemburgisch. Von den rund 100.000 Schüler:innen sprechen 65 Prozent kein Luxemburgisch zu Hause. Das hat zur Folge, dass Lehrkräfte täglich mit einer großen Vielfalt an unterschiedlichen Wissensbeständen und Lernvoraussetzungen umgehen müssen.
Die Digitalisierung bietet die Chance, individueller auf die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der Schüler:innen einzugehen und damit Chancengerechtigkeit zu befördern. Eine Metastudie aus dem Jahr 2017 bestätigt diesen Befund (Hillmayr u. a. 2017). Darin schreiben die Autor:innen, dass Vorteile von digitalen Lernprogrammen darin liegen können, dass Lehrkräfte bereits während der Lernprozesse Rückmeldungen über das Vorankommen der Schüler:innen erhielten, etwa indem Lernfortschritte digital dokumentiert werden. So kann die Lehrkraft bei Verständnisproblemen schnell handeln, bevor Fehlvorstellungen zustande gekommen sind oder diese weiter gefestigt werden. Die zentrale Schnittstelle in Luxemburg zwischen Schulen und Verwaltung ist der Service de Coordination de la Recherche et de l’Innovation pédagogiques et techniques (SCRIPT) im nationalen Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend. Im Bereich der digitalen Medien wollen die Verantwortlichen für die Lehrkräfte eine Lotsenfunktion einnehmen, um ihnen Orientierung zu bieten. Zu den Aufgaben des SCRIPT zählt es, die entsprechende Technik bereitzustellen, vor Ort zu beraten, für Austausch und langfristige Vernetzung zu sorgen und in einer eigens eingerichteten Datenbank gute Unterrichtsbeispiele im Sinne eines nationalen Wissensmanagements bereitzustellen.
Kollaborative Arbeitsstrukturen als Nährboden einer lernenden Organisation Schule
Wie das Schulbeispiel zeigt, ist eine nachhaltig konzipierte schulinterne Lehrkräftefortbildung ein wesentlicher Bestandteil auf dem Weg zur guten Schule in der digitalen Welt. Die Konzeption und Verankerung eines bedarfsgerechten Fortbildungsangebots sollte Bestandteil von Medienkonzepten und Schulentwicklungsprozessen sein. Findet die Fortbildung in der Schule oder in regionalen Netzwerken statt, kann die Veranstaltung davon erheblich profitieren. Die kurzen Wege erhöhen die Chance, dass ein Großteil des Kollegiums tatsächlich teilnimmt. Das Angebot ist sichtbar und ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang. Die Unterstützung durch außerschulische pädagogische, zivilgesellschaftliche und staatliche Institutionen sollte in Netzwerkstrukturen genutzt und ausgebaut werden.
Um schulinterne Fortbildungen auch inhaltlich bedarfsgerecht zu gestalten, sind verschiedene Formate möglich. Im Rahmen der Entwicklung des schulischen Fortbildungskonzepts sollten der individuelle Schulentwicklungsprozess, die Vorerfahrungen des Kollegiums sowie mögliche Unterstützungsangebote zusammengetragen werden. Schon die kollaborative Entwicklung eines Fortbildungskonzepts mit allen pädagogischen Fachkräften an der jeweiligen Schule kann zu einer höheren Akzeptanz der Angebote führen. Neben regelmäßigen Inputs ist es wichtig, das Gelernte im eigenen Unterricht anzuwenden, anzupassen und verändern zu können. Haben Lehrkräfte die Fortbildung im Team in der Schule absolviert, ist der Austausch über die Inhalte fast selbstverständlich. Wertvoll ist dabei die Rückmeldung aus dem Kollegium, um sich darüber klar zu werden, was erreicht wurde und welche Schritte als nächstes folgen müssen. Die Etablierung einer kollaborativen Arbeitskultur im Kollegium, die geprägt ist von Austausch, gemeinsamen Entwicklungen, Ausprobieren und Feedbackstrukturen, rückt damit in den Fokus.
Literatur
- Daschner, P. & Hanisch, R. (Hrsg.) (2019): Lehrkräftefortbildung in Deutschland. Bestandsaufnahme und Orientierung.
- Eickelmann, B. u. a. (Hrsg.) (2019): ICILS 2018 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Online: https://kw.uni-paderborn.de/institut-fuer-erziehungswissenschaft/arbeitsbereiche/ schulpaedagogik/forschung/forschungsprojekte/icils-2018 [Stand: 13.12.2019]
- Hillmayr, D. u. a. (2017): Digitale Medien im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe. Einsatzmöglichkeiten, Umsetzung und Wirksamkeit. Online: https://www.waxmann.com/?eID=texte&pdf=3766Volltext.pdf&typ=zusatztext [Stand: 13.12.2019]
- Zorn, D. (2019): Wie Lehrkräfte für Veränderungen gewonnen werden. Online: https://deutsches-schulportal.de/stimmen/schulwandel-wie-lehrkraefte-fuerveraenderungen-gewonnen-werden [Stand: 13.12.2019]