Gastbeitrag

Wie wir die mittlere Führungsebene als Transformationsbegleiter:innen an Schulen stärken können

von Heike Kundisch
veröffentlicht am 24.05.2023
Lesezeit: 13 Minuten

Wenn es um den digitalen Wandel an Schulen geht, wird einer Personengruppe bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt: den Lehrkräften der mittleren Führungsebene an Schulen. Ihr Gestaltungspotenzial wird bisweilen deutlich unterschätzt. Ein in den vergangenen Jahren erprobtes kollegiales Weiterbildungsformat eröffnet ihnen Räume, um ihre Rolle in der schulischen Transformation zu schärfen.

Lehrkräften der mittleren Führungsebene an Schulen kommt bei der digitalen Transformation der schulischen Bildung eine besondere Rolle zu, deren individuelle Ausgestaltung immer wieder zentrale Fragen aufwirft: Wie können diese Führungskräfte der mittleren Leitungsebene ihre multiprofessionellen Teams auf den Wandel hin zu einer Kultur der Digitalität und der inklusiven Schule vorbereiten und sie dabei begleiten und aktivieren? Ist dieser Personenkreis bereits handlungsfähig genug, um dies leisten zu können? Und wie kann diese Handlungsfähigkeit gestärkt werden? Eine aktuelle Studie zur Rollenschärfung sowie ein damit verbundenes Professionalisierungsformat bieten Lösungsansätze und eine geeignete Strategie an, um die Lehrkräfte der mittleren Führungsebene an Schulen für die (digitale) schulische Transformation zu stärken und sie im Umgang mit der Ungewissheit in digitalen Schulentwicklungsprozessen zu unterstützen.

Blick in eine multimethodische Studie zur Rolle der Führungskräfte in der mittleren Leitungsebene

Wer sind eigentlich diese Führungskräfte in der mittleren Leitungsebene an Schulen? Um diese Frage differenziert zu beantworten, wurde an nordrhein-westfälischen Berufskollegs eine multimethodische Studie im Kontext einer Wissenschaft-Praxis-Kooperation durchgeführt, an der Schulleitungen und Vertreter:innen der mittleren Führungsebene an Schulen teilnahmen. Die Studie hatte zum Ziel, die Rolle der Lehrkräfte, welche Positionen als Abteilungsleitungen, Bereichsleitungen, Koordinator:innen oder einfach „Verantwortliche“ für einen Bildungsgang übernommen haben, zu schärfen und diese bislang diffuse Personengruppe genauer zu definieren. 

Diese Führungskräfte werden dabei als wichtige Unterstützung der Schulleitung verstanden, insbesondere mit Blick auf deren organisationale und personelle Steuerungsaufgaben und -spielräume (vgl. vbw Gutachten 2021, Wilbers 2015, Kriesche 2014, Greubel 2018). Die genannten Positionen sind dabei im Sinne einer Führung ohne Weisungsbefugnis zu verstehen und befinden sich in ihrer täglichen Arbeit stets im Spannungsfeld strategischer und operativer Handlungsfelder sowie damit einhergehender Erwartungen, was wiederholt Klärungsanforderungen an ihr professionelles Selbstverständnis stellt. 

Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Kontext der BMBF-Projekte InBig und Innovationsarena 3i war am Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, insbesondere Mediendidaktik und Weiterbildung von Prof. Dr. H.-Hugo Kremer an der Universität Paderborn verortet und verfolgte das Ziel, ein bedarfsgerechtes Weiterbildungsformat für diese Zielgruppe zu konzipieren und durchzuführen. In diesem Prozess galt es über die genannte Studie „im Sinne eines gestaltungsorientierten Forschungsprojektes das Konstrukt der Rollenschärfung auch wissenschaftlich vertiefend zu beleuchten“ (Kundisch 2020). In einem Zeitraum von anderthalb Jahren wurde in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen dieser Zielgruppe deren Unterstützungsbedarf erhoben sowie Methoden und Materialien – für beispielsweise kollegiale Hospitationen, Feedback und Jahresplanungen mit dem Fokus auf Führungssituationen – entwickelt und iterativ an Schulen erprobt. Auf dieser Grundlage wurde dann als Gesamtkonzept eine sogenannte „Kollegialen Weiterbildung für Nachwuchsführungskräfte“ konzipiert. Dieses Format wurde seither vielfach umgesetzt und weiterentwickelt (vgl. Kundisch & Heinz 2013, Kundisch & Kremer 2017).

»Die Studie hatte zum Ziel, die Rolle der Lehrkräfte, welche Positionen als Abteilungsleitungen, Bereichsleitungen, Koordinator:innen oder einfach „Verantwortliche“ für einen Bildungsgang übernommen haben, zu schärfen und diese bislang diffuse Personengruppe genauer zu definieren.«

Heike Kundisch

Wie „spielt“ man diese Rolle?

Die Rolle ist in diesem Kontext der Rollenschärfung ein dynamisches Zusammenspiel von Erwartungen, Handlungsfeldern und Handlungen in sozialen Zusammenhängen sowie den individuellen Bemühungen um Sinnfindung. Dabei zeigt insbesondere der Blick auf die Erwartungen, wie herausfordernd und prozesshaft eine individuelle Rollenschärfung ist, da hierbei sowohl die eigenen Erwartungen als auch die Erwartungen aller Bezugspersonen an die jeweilige Rolle berücksichtigt werden. Hier treffen wir immer wieder auf Rollenambiguität, Rollenüberlastung und verschieden geartete Konfliktkonstellationen (vgl. Neuberger 1995). Dies gilt sowohl innerorganisatorisch als auch außerorganisatorisch und macht den Rollenschärfungsprozess zugleich herausfordernd und wirkungsvoll. Wenn hier vom Begriff der Rolle die Rede ist, liegt dahinter also ein soziologisches Verständnis, welches Bezugsgruppen, Erwartungen und Handlungsfelder inkludiert und summiert (vgl. Krappmann 2000, Neuberger 1995, Wiswede 1995). 

Die hier gemeinten Bezugsgruppen umfassen sowohl schulinterne als auch schulexterne Kooperationspartner:innen, wie Schüler:innen, Vertreter:innen von Betrieben, Industrie- und Handelskammern, Bildungsträger, Justizvollzugsanstalten, Beratungsstellen ebenso wie Eltern und das Kollegium, die multiprofessionellen Teams, Verantwortliche anderer Abteilungen und Schulleitungen, was zugleich den umfangreichen Verantwortungs- und Gestaltungsspielraum andeutet. Die handelnde Person gilt in ihrer Rolle außerdem selbst als Bezugsperson, das heißt, es wird „zwischen eigenen und fremden Rollenerwartungen nicht grundsätzlich unterschieden“ (Sader 1969). Entsprechend der Bezugsgruppen, und der jeweils mit ihnen verbundenen Situationen, wird die handelnde Person – in diesem Fall die Lehrkraft in der mittleren Führungsebene – mit den jeweiligen Erwartungen ihrer Kooperations- und Interaktionspartner:innen konfrontiert, die nicht immer ausgesprochen sind und so für die Schärfung der eigenen Rolle eine teils unbekannte und zugleich entscheidende Größe darstellen. Der Prozess ist gekennzeichnet durch ein permanentes Aushandeln einer Rolle bei gleichzeitiger Umsetzung derselben. Die Rolle ist somit nie fertig und befindet sich stets im Wandlungsprozess – was für den:die Rolleninhaber:in eine Gestaltbarkeit begünstigt (vgl. Kundisch 2020).

Rollenschärfung als Handlungsfeld zur Handlungsbefähigung

Die Skizzierung des Rollenverständnisses macht die Komplexität und die Notwendigkeit eines Rollenschärfungsvorhabens deutlich – sowohl aus der individuellen Sicht jeder Führungskraft als auch aus einer Meta-Perspektive auf die Rolle der Führungskraft in der mittleren Leitungsebene. Aus dem oben erwähnten vielschichtigen Forschungs- und Entwicklungsprozess ist eine umfangreiche Auflistung von Handlungsfeldern und Erwartungen, in mehreren Gestaltungsbereichen und in verschiedene Orientierungsrichtungen kategorisiert, entstanden. Diese Erkenntnisse wurden schließlich in die sogenannte „Drehscheibe zur Rollenschärfung“ überführt, die in darauffolgenden Professionalisierungsformaten zur Orientierung herangezogen wurde. Das Format einer Drehscheibe wurde gewählt, um die Dynamik dieses Prozesses und die Herausforderung einer damit einhergehenden Klärung des eigenen professionellen Selbstverständnisses zumindest annähernd abzubilden:

Drehscheibe der Rollenschärfung (Kundisch 2020)

Anhand der Abbildung werden die aus der Studie hervorgegangenen Schwerpunktbereiche deutlich, welche im schulischen Alltag für die Führungskräfte in der mittleren Leitungsebene dominant sind. Die einzelnen Handlungsfelder und Erwartungen sind diesen Schwerpunktbereichen untergeordnet. Vor allem die Gleichwertigkeit einer individuellen Entwicklung im Vergleich zu den anderen Schwerpunktbereichen wird hier sichtbar. Mit einer „Individuellen Entwicklung“ ist hier vor allem eine Gestaltung der individuellen Führungsrolle, Selbstreflexion sowie Prüfen, Verstehen und Entwickeln einer eigenen Haltung gemeint. Zum einen ist es für die Personen in der Führungsrolle selbst unerlässlich, dies für sich zu bearbeiten und zu klären. Zum anderen ist es für Interaktionspartner:innen, zum Beispiel die Mitglieder eines Bildungsgangs, Teammitglieder oder Kolleg:innen, notwendig, eine Führungskraft als Orientierungsgeber:in zu haben, die eine offene Haltung (gemäß „open heart, open mind, open will“, nach Otto Scharmer) bei sich selbst ebenso wie für die Menschen in ihrem (Inter-)Aktionsradius entstehen lässt. Diese Überzeugungen – einer Neugierde, Offenheit für andere Perspektiven, die Bereitschaft, die eigenen Perspektiven zu teilen, das Gegenüber zu sehen und verstehen zu wollen, um handlungsfähig zu bleiben sowie die eigenen Werte und Grenzen, die eigene Haltung zu kennen und zu leben – prägen die Gestaltungsprinzipien der Kollegialen Weiterbildung.

Eckpunkte der Kollegialen Weiterbildung – für eine Kultur des Teilens

Was soll das sein, eine kollegiale Weiterbildung? Im Prozess der Entwicklung in der gemeinsamen Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen der Zielgruppe, den Führungskräften in der mittleren Leitungsebene in Schulen, wurde unter anderem deutlich, wie elementar ein kollegialer Austausch für diesen Personenkreis ist – zugleich ist dieser im Alltag jedoch kaum vertreten. Dabei zeigte sich, dass für einen funktionierenden Austausch vor allem eine Haltung notwendig ist, die folgende Aspekte beinhaltet:

  • eine wechselseitige Hilfsbereitschaft, 
  • ein Agieren auf Augenhöhe, 
  • eine Umkehrbarkeit der Beratungsbeziehungen, 
  • ein Teilen von Erfahrungen und Good-Practice-Beispielen, 
  • eine Gleichgewichtung bzw. Gleichwertigkeit der Beiträge und 
  • eine Gleichberechtigung zwischen den beteiligten Personen.

In der Weiterbildung treffen Personen aufeinander, die in ihrem beruflichen Alltag Kolleg:innen sind oder es sein könnten, außerdem ist ihr beruflicher Kontext vergleichbar und sie verfügen über einen zumindest ähnlichen Erfahrungshintergrund (vgl. Tietze 2012). Der Bedarf der Zielgruppe lässt sich auf eine Formel bringen: weg vom Einzelkämpfertum, hin zu einem gelebten kollegialen Austausch – auch schulübergreifend. 

Die Kollegiale Weiterbildung stellt zunächst eine Methode der Wissensvermittlung beziehungsweise des Wissenstransfers dar. Gleichzeitig geht es in diesem Format um ein gegenseitiges Begleiten in eine individuelle Führungsrolle. Sie ist geprägt von Methoden der Förderung von (Selbst-)Reflexion und Selbst-Bewusstsein. Die Weiterbildungsleitung begleitet die Teilnehmenden des Formats und achtet auf die Strukturen. Grundsätzlich wird hier eine offene, unterstützende Haltung gelebt, welche alle Teilnehmenden als Expert:innen versteht, strukturgebend ist und zugleich flexibel auf aktuelle Bedürfnisse reagieren kann, welche aus der Praxis eingebracht werden. Die Teilnehmenden steuern Situationen aus ihrem Alltag bei, welche in der Gruppe oder in kollegialen Austauschphasen zur Unterstützung eines Problemlösungs- und Transformationsprozesses reflektiert werden. Die „persönliche Beziehung zwischen den Teilnehmer[:]innen [unterstützt sie] dabei, ihre Routine aufzubrechen, neue Sichtweisen und Perspektiven zu erfahren und die eigene Arbeitsweise und den Führungsstil zu reflektieren […]. Die Teilnehmer[:]innen können während der Kollegialen Weiterbildung ihren Blick auf Situationen schärfen und eine andere Perspektive einnehmen. Die Kollegiale Weiterbildung bietet eine Chance auf Diskurs und den gegenseitigen Austausch […]. In dem Konzept der Kollegialen Weiterbildung werden also – neben den ihr eigenen Methoden – bestehende Verfahren und Methoden [aus Coaching, Mentoring oder kollegialer Fallberatung] aufgegriffen.“ (Kundisch 2020) 

»Der Bedarf der Zielgruppe lässt sich auf eine Formel bringen: weg vom Einzelkämpfertum, hin zu einem gelebten kollegialen Austausch – auch schulübergreifend.«

Heike Kundisch

Die Gelingensbedingungen – erfahrungsbasiert und nah an der Praxis

Wie lernt man denn nun am besten? Rein digital, on demand oder in Präsenz? Das Format der Kollegialen Weiterbildung ist von Beginn an modular aufgebaut, im Kern zumeist bestehend aus drei zweitägigen Workshops in Präsenz, zwischen denen jeweils drei bis fünf Monate liegen. Dieses Gerüst der zweitägigen Workshops beizubehalten hat sich mit Blick auf die letzten Jahre bewährt, um den Teilnehmenden auch Raum für informellen Austausch zu eröffnen und eine Vertrauensbasis in der Gruppe herzustellen. In den Zeiten zwischen den Präsenzveranstaltungen liegt viel (Selbst-)Reflexionsraum, welcher von der Weiterbildungsleitung durch regelmäßige Impulse oder Arbeitsaufträge strukturiert wird. Hier finden außerdem gegenseitige kollegiale Hospitationen statt, welche die Teilnehmenden dann in Kleingruppen selbst gestalten. Additiv haben sich in den letzten Jahren digitale Interaktionsmöglichkeiten bewährt, um bedarfsentsprechend beispielsweise eine kollegiale Fallberatung durchzuführen. Es wird außerdem mit einem digitalen Kollaborationstool gearbeitet, um die Inhalte einerseits zu teilen und um andererseits auch das visuelle Lernen zu stützen. Während der Weiterbildung erhalten die Teilnehmenden auch einen Impuls zum visuellen Denken und werden durch visuelle Protokolle zu Diskurs und Reflexion eingeladen (vgl. Kückmann & Kundisch 2021).  

Die verschiedenen Elemente können als eine Stärke der Kollegialen Weiterbildung gesehen werden: Die Workshops, der kollegiale Austausch in Kleingruppen, die kollegialen Hospitationen, die Reflexionsimpulse und seit zwei Jahren auch ein Einzel- oder Kleingruppencoaching (z. B. ein Stärken-Coaching) eröffnen mit ihrer Praxisverknüpfung einen Workplace (Huber 2013). Dieser fördert durch seine Strukturierung in unterschiedliche Räume den Aufbau neuer Routinen im Alltag, eine Entwicklung vom Wissen zum Können  und dadurch eine Stärkung der Teilnehmenden und ihre Vorbereitung auf das Unbekannte.

Der Workplace – Räume für kollegiales Lernen

Während die Teilnehmenden die verschiedenen Abschnitte des Formats durchlaufen, bietet ihnen der Workplace diverse Phasen und Möglichkeiten an, die hier als Räume bezeichnet werden (vgl. StärkenRaum (o.D.); Kundisch/Kremer/Otto (im Review)):

  • Austauschraum: Sowohl während der gemeinsamen Workshops als auch in den Phasen und Kleingruppenarbeiten dazwischen wird dieser Raum stets eröffnet. 
  • Reflexionsraum: Der Aufbau des Formats bietet Flexibilität und Raum für individuellen Reflexionsbedarf und greift aktuelle Herausforderungen auf. Die Austauschphasen in Kleingruppen zwischen den Workshops werden durch Arbeits- und Reflexionsaufträge strukturiert.
  • Praxisraum: Dynamische Spannungsfelder von strategischen und operativen Handlungsfeldern und Erwartungen im Berufsalltag verlangen nach bedarfsorientierter Prozessbegleitung und Rollenschärfung. Der aktive Einbezug des Praxisraums durch die Kleingruppentreffen und kollegialen Hospitationen macht diese Spannungsfelder greifbar und formbar.
  • Entwicklungsraum: Die Teilnehmenden richten einen stärkenorientierten Blick auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse und Potenziale. Jede:r nutzt einen individuellen Raum für Entwicklung. 
  • Lernraum: Die Lernanlässe sind verknüpft und multipel gestaltet. Es wird kein abgegrenzter Workshop, sondern ein Workplace als Lernraum genutzt. 
  • Experimentierraum: Die Workshops sind geprägt von einer Haltung der Ermöglichung und Gestaltung in geschütztem Rahmen.
  • Multimodale Räume: Die Teilnehmenden werden digital, in Präsenz, über gemeinsame Arbeitsplattformen sowie über verschiedene visuelle Kanäle angesprochen.

Jeder dieser Räume zeichnet sich durch eine Praxisverschränkung aus, deren Bedeutung im folgenden Zitat verdeutlicht wird:

„Aus konstruktivistischer Sicht ist Lernen ein selbstreferenzieller, rückbezüglicher Prozess: Erfahrung baut auf früheren Erfahrungen auf, Wissen entsteht aus vorhandenem Wissen. […] Erwachsene bringen in hohem Maße ihre persönlichen und beruflichen Erfahrungen, ihr Wissen und ihr eigenes Selbstverständnis in den Lernprozess mit ein. […] Ihre individuellen Erfahrungen beeinflussen das neu zu Lernende unterschwellig immer und bilden gleichzeitig die Grundlage, auf der überhaupt neu gelernt werden kann. ,Lerngegenstände, die nicht an vorhandene kognitive Systeme angekoppelt werden können, hängen gleichsam „in der Luft“ und werden meist schnell vergessen.‘ (Siebert 1996, S. 105) Günstig ist also, das Neue bewusst auf die Erfahrungen zu beziehen und in ihnen zu verankern. Die Wirklichkeit und die Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ihre Bedürfnisse und Probleme sollten also Ausgangs- und Bezugspunkt für die Auswahl der Inhalte und der angewandten Methoden bilden.“ (Huber 2013b)

Die Theorie wird dabei nicht ausgespart – eine starke Verzahnung und gleichmäßige Gewichtung von Theorie- und Praxisbezug wird im Sinne einer nachhaltigen Wirksamkeit der Kollegialen Weiterbildung umgesetzt (Huber 2013a).

Der Workplace einer Kollegialen Weiterbildung anhand eines aktuellen Beispiels, nach Kundisch, Kremer & Otto 2023 (im Review)

Die Abbildung zeigt die Struktur der Kollegialen Weiterbildung, den Workplace, anhand des Qualifizierungsformats „Mit Selbstinszenierungspraktiken einen inklusiven Übergang Schule-Beruf gestalten. Eine kollegiale Weiterbildung für Bildungsakteur:innen der Ausbildungsvorbereitung“, das ab Mai 2023 im Kontext des BMBF-geförderten Projektes SeiP umgesetzt wird und diese Strukturen nutzt, um die multiprofessionellen Teams der Ausbildungsvorbereitung inklusive der zuständigen Leitungen bei der standortspezifischen Weiterentwicklung und Implementation eines Prototyps zu begleiten. Auch hier stellt sich die Frage einer veränderten Rolle der Bildungsakteur:innen.

Sehen, verstehen, stärken, nutzen – ein Fazit

Wir kommen nicht mehr umhin, den Führungskräften in der mittleren Leitungsebene an Schulen als Akteur:innen der digitalen Transformation der schulischen Bildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken – und ihre Sandwichposition als Position mit Gestaltungspotenzial anzuerkennen. Um handlungsfähig im Sinne der Schulentwicklung zu sein, ist es für diese Zielgruppe von entscheidender Bedeutung, sowohl die Grenzen als auch die Spielräume ihrer Entscheidungsbefugnisse zu kennen. Hierfür bedarf es klarer Dialoge mit der Schulleitung, um Transparenz bezüglich der Handlungsfelder, welche diesen Positionen zugeschrieben werden, als auch beidseitiger Erwartungen herzustellen.  

Sie sind Führungskräfte und benötigen die entsprechenden Räume für ihre individuelle Entwicklung – und hierzu gehören auch Entlastungsstunden für die Wahrnehmung ihrer Führungsaufgaben und für Weiterbildungen, die ihre Rolle innerhalb des digitalen Wandels schärfen. Ein klares individuelles Rollenverständnis trägt entscheidend zu einem Selbst-Verständnis und proaktiver Handlungsfähigkeit bei. So können sie schließlich sowohl eine entscheidende Stütze der Schulleitung sein als auch wirksamer Orientierungspunkt und Rahmengeber:innen für die Teams in ihren Bildungsgängen, Bereichen oder Abteilungen.

Heike Kundisch

Heike Kundisch konzipiert und leitet Professionalisierungsformate für pädagogische Fach- und Führungskräfte an der Universität Paderborn. Sie promovierte am Department Wirtschaftspädagogik und koordiniert dort seit 2011 Schulentwicklungsprojekte mit den Schwerpunkten Inklusion und Transformation (Lehrstuhl Prof. Dr. Kremer). Kundisch ist außerdem bei StärkenRaum selbständig als Trainerin, Stärken-Coach und Organisationsdesignerin für agile Teams und Unternehmen tätig. Sie studierte Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie und war bis zu ihrem Wechsel in universitäre Forschungs- und Entwicklungsprojekte neun Jahre als Führungskraft und pädagogische Begleitung in der Sozial- und Bildungsarbeit tätig.

heike.kundisch@uni-paderborn.de

Literatur

Greubel, M. (2017): Die Einführung einer erweiterten Schulleitung an eigenverantwortlichen beruflichen Schulen (Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung, Band 20). Dissertation. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Huber, S. G. (2013): Schulleitung: Aufgabenerweiterung und Rollenkomplexität aus internationaler Perspektive. In: S. G. Huber (Hrsg.): Führungskräfteentwicklung. Grundlagen und Handreichungen zur Qualifizierung und Personalentwicklung im Schulsystem. Köln: Carl Link. S. 12-19

Huber, S. G. (2013a): Internationale Trends in der schulischen Führungskräfteentwicklung. In: S. G. Huber (Hrsg.): Führungskräfteentwicklung. Grundlagen und Handreichungen zur Qualifizierung und Personalentwicklung im Schulsystem. Köln: Carl Link. S. 111-123

Huber, S. G. (2013b): Lernmodelle für Erwachsene: multiple Lernanlässe nutzen. In: S. G. Huber (Hrsg.): Führungskräfteentwicklung. Grundlagen und Handreichungen zur Qualifizierung und Personalentwicklung im Schulsystem. Köln: Carl Link. S. 649-657

Krappmann, L. (2005): Soziologische Dimensionen der Identität: Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen. Stuttgart: Klett-Cotta

Kriesche, J. (2014): Einführung neuer Führungsstrukturen an Schulen. Eine Studie zur Personalführung an Schulen. Göttingen: Cuvillier

Kückmann, M.-A. & Kundisch, H. (2021): Digital Graphic Design: Eine Handreichung zum Einsatz von Sketchnotes und digitalen Visualisierungen in den Bildungsgängen am Berufskolleg. Handreichung. Universität Paderborn

Kundisch, H. (2020): Zur Rolle von Führungskräften im Schulkontext. Entwicklungsarbeit einer Kollegialen Weiterbildung als Innovationsarena zur mehrperspektivischen Rollenschärfung. Dissertation. Detmold: wbv

Kundisch, H. & Heinz, N. (2013): Konzeption einer „kollegialen Weiterbildung“ für Nachwuchsführungskräfte an Berufskollegs. In: bwp@ Spezial 6 – Hochschultage Berufliche Bildung 2013. Online: http://www.bwpat.de/ht2013/ws05/kundisch_heinz_ws05-ht2013.pdf 

Kundisch, H. & Kremer, H.-H. (2017): Mittlere Leitungsebenen an Berufskollegs. Eine kollegiale Weiterbildung zur Rollenschärfung in Auseinandersetzung mit Handlungsfeldern der Bildungsgangarbeit. Handreichung. Paderborn: cevet

Kundisch, H., Kremer, H.-H. & Otto, F. (2023): Selbstinszenierungspraktiken als Weg zu Stärkenorientierung, Selbstbestimmung und Teilhabe – eine Kollegiale Weiterbildung für multiprofessionelle Akteursgruppen im (inklusiven) Übergang Schule-Beruf. In: QfI – Qualifizierung für Inklusion. Online-Zeitschrift zur Forschung über Aus-, Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte (im Review). Online: https://www.qfi-oz.de/index.php/inklusion/issue/view/9 

Neuberger, O. (1995): Führen und geführt werden. (Basistexte Personalwesen, Band 3). 5. Aufl. Stuttgart: Enke

Sader, M. (1969): Rollentheorie. In: C. F. Graumann et al. (Hrsg.): Handbuch der Psychologie. 7. Bd.: Sozialpsychologie. 1. Halbbd.: Theorien und Methoden. Göttingen: Hogrefe. S. 204-230

Tietze, K.-O. (2012): Kollegiale Beratung. Problemlösungen gemeinsam entwickeln. 4. Aufl. Hamburg: Rowohlt

vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (2021) (Hrsg.): Führung, Leitung, Governance: Verantwortung im Bildungssystem. Gutachten

Wilbers, K. (2015): Profil der mittleren Ebene an beruflichen Schulen (Berichte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung, 2015-01). Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Wiswede, G. (1977): Rollentheorie. 1. Aufl. Stuttgart u. a.: Kohlhammer