Gastbeitrag

Wir müssen die Transformation von der Zukunft her denken

von Myrle Dziak-Mahler
veröffentlicht am 16.08.2019
Lesezeit: 4 Minuten

Es besteht kein Zweifel daran, dass Schule digitaler werden muss. Aber dafür brauchen wir keine neue Technik, sondern neue Lehr- und Lernmethoden. Ein imaginärer Blick in die Zukunft hilft zu verstehen, worauf es ankommt.

Wenn wir heute davon sprechen, dass Schule digitaler werden muss, bedeutet das weit mehr, als dass Schüler:innen lernen sollen, mit einer Technik umzugehen. Wir müssen uns darüber verständigen, was sie am Ende ihrer Schulzeit können müssen, um in einer digital transformierten Gesellschaft zurechtzukommen. Zurzeit wird die Debatte auf den Einsatz digitaler Technik in den Schulen verkürzt, wie an den Diskussionen um die Umsetzung des Digitalpakts Schule deutlich abzulesen war. Dabei verändert sich die Gesellschaft zurzeit sehr schnell. Es entstehen neue Jobs, die wir noch gar nicht richtig erfassen und von denen wir nicht wissen, welche Fähigkeiten man braucht, um sie bewältigen zu können. Zurzeit ahnen wir nur, dass viele Jobs schon bald nicht mehr von Menschen sondern von Maschinen gemacht werden – unter anderem durch die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz. Es werden also viele Berufe wegfallen, andererseits aber – wie bei jeder fortschreitenden technologischen Entwicklung – auch neue Berufe und Berufsfelder entstehen. Wir können jetzt schon annehmen, dass sie um ein Vielfaches komplexer sein werden als viele der heutigen Berufe. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

»Schule muss ein Ort ganzheitlicher Bildung sein. Dazu wird sich das System Schule komplett verändern und ganz neu gedacht werden müssen.«

Myrle Dziak-Mahler

Blick in das Jahr 2030

Nicht nur die Arbeitswelt, die Gesellschaft als Ganzes wird sich verändern. Auch darauf müssen wir die jungen Menschen vorbereiten. Was muss Schule dafür leisten? Damit wir die richtigen Weichen für die Zukunft stellen, hilft die Vorstellung, wie unsere Gesellschaft beispielsweise im Jahr 2030 aussehen könnte und was wir hätten tun müssen, damit junge Menschen diese Zukunft nicht nur bewältigen, sondern als „Leading Generation“ aktiv gestalten können. Bei dieser Vorstellung hilft eine Methode aus dem Coaching, die sogenannte Timeline. Sie ist ein systematisches Coaching-Format, das eine Zeitreise in die Zukunft auf einer imaginierten Zeitlinie im Raum erlaubt. Die Methode ermöglicht, visuell vorgestellte Szenarien in der Zukunft zu simulieren, in der eigenen Vorstellung zu prüfen und die Schritte zu definieren, die zur Zukunftsgestaltung notwendig sind. Diese Methode gibt uns eine Vorstellung davon, worauf es heute grundsätzlich in der Schule ankommt. Dabei geht es nicht nur um die Art, wie wir unterrichten, sondern um die Bildungsziele und -inhalte. Über diese müssen wir uns neu verständigen.

In Zukunft kommt es auf drei Dinge an

Wir sprechen immer über das Medium aber nie darüber, wie Schule grundsätzlich auf die digitale Gesellschaft vorbereiten soll. Und was das mit der Rolle der Lehrkraft macht. Wenn überall im Netz Wissen zur Verfügung steht, kann es nicht mehr nur Aufgabe von Lehrkräften sein, Wissen an Schüler:innen zu vermitteln. Vielmehr wird sich ihre Rolle dahingehend verändern, diese durch den Dschungel der Wissensquellen zu navigieren, also ihnen beizubringen, wie sie bewerten, ob ein Text, ein Video oder ein Foto seriös ist. Lehrkräfte sind dann nicht mehr diejenigen, die vorne stehen und den Schüler:innen ihren Wissensvorsprung weitergeben – so wie es heute in den Schulen der Fall ist. Lehrkräfte werden zu kritischen Begleitenden von Aneignungsprozessen werden.

Zukünftig werden drei Aspekte darüber entscheiden, ob Schulen für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts aufgestellt sind.

  1. Schule muss erstens ein Ort ganzheitlicher Bildung sein. Dazu wird sich das System Schule komplett verändern und ganz neu gedacht werden müssen. Das Auflösen von Fächern und klassischen Unterrichtsstrukturen gehört ebenso dazu wie das Arbeiten in multiprofessionellen Teams und die konsequente Individualisierung von Lernprozessen. 
  2. Zweitens muss Schule den gesellschaftlichen Konsens fördern. Sie muss sich in einer zunehmend diversen Gesellschaft stärker auf ihren Erziehungsauftrag konzentrieren, um ein gemeinsames zivilisatorisches Wertefundament herzustellen. Schuldebatten dürfen nicht länger nur über das Thema Bildung geführt werden. Kinder und Jugendliche zu verantwortlichen Mitgliedern der Gesellschaft heranzubilden, entscheidet mehr über ihre Zukunft als die Vermittlung von Wissensstoff.
  3. Und drittens muss Schule für die Zukunft fit machen. Und die wird – das wissen wir – digital sein.

In Zukunft brauchen wir andere Bedingungen an den Schulen und auch an den Hochschulen, an denen die angehenden Lehrkräfte studieren. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir ganz anders werden unterrichten müssen. Mehr als neue Medien brauchen wir dafür neue Lernkonzepte und neue Denkweisen.

Myrle Dziak-Mahler

Myrle Dziak-Mahler ist Kanzlerin und Geschäftsführerin der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Bevor sie 2021 an die Alanus Hochschule wechselte leitete das Zentrum für Lehrer:innenbildung an der Uni Köln. Vor ihrem Wechsel in die hochschulische Bildung war sie Lehrerin in unterschiedlichen Kontexten: als Förderlehrerin mit schulmüden Jugendlichen, Dozentin für Alphabetisierung und Fachlehrerin für Deutsch und Geschichte sowie Studienrätin und Beratungslehrerin in der Gymnasialen Oberstufe einer Gesamtschule in NRW.

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