Interview
Harrison Krampe: „KI bietet eine Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit“
von
mit Harrison Krampe
veröffentlicht am 10.04.2024
Lesezeit: 6 Minuten
Digitale Medien gehören in Deutschland immer noch nicht in der Fläche zu den gängigen Lehr- und Lernmitteln. Die fehlende Ausstattung von und die Skepsis an Schulen gegenüber neuen Technologien kritisiert Harrison Krampe, ehemaliger stellvertretender Stadtschulsprecher von Frankfurt am Main. Er wünscht sich ein System Schule, das die Potenziale der digitalen Transformation für die Bildung ausschöpft und allen Schüler:innen gerecht wird.
In einer von der Kultur der Digitalität geprägten Welt spielen neben der Vermittlung von Basiskompetenzen auch digitale Kompetenzen eine zunehmend große Rolle. Auch mit der jüngsten Welle der Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) gehen neue Anforderungen an eine gerechte gesellschaftliche Teilhabe einher. Hierbei sind Schüler:innen neben ihrer sozialen Herkunft auch von der Schule abhängig. Auf die möglicherweise ungenutzten Chancen der Digitalisierung macht Harrison Krampe aufmerksam. Schon als stellvertretender Stadtschulsprecher im StadtschülerInnenrat Frankfurt engagierte sich der 20-Jährige für die Digitalisierung im Schulsystem.
Als Schüler und stellvertretender Stadtschulsprecher hast du die schulische Digitalisierung in den vergangenen Jahren direkt miterlebt. Welchen Einfluss hat sie auf die Chancen- und Bildungsgerechtigkeit?
Die Digitalisierung spielt eine sehr große Rolle für die Chancen- und Bildungsgerechtigkeit und sie wird noch größer werden, denn unser Alltag wird zunehmend digitaler. Je mehr man sich also mit digitalen Medien auseinandersetzt, umso besser kann man sich in dieser Welt zurechtfinden. Das heißt, wenn man diese Gelegenheit nicht in der Schule erhält, muss man sich privat damit beschäftigen. Passiert das nicht, weil zum Beispiel die Mittel oder der Anstoß dazu fehlen, findet man sich nach der Schule in einem Pott mit anderen jungen Menschen wieder, die teilweise schon über Jahre hinweg digital gearbeitet haben. Dann hängt man unheimlich hinterher. Verfügen Schulen also nicht über die Ressourcen oder Konzepte, um den Umgang mit digitalen Medien zu fördern, kann sich das enorm auf die späteren Möglichkeiten der Schüler:innen auswirken, in unserer Gesellschaft aktiv zu sein und sich effektiv zu beteiligen.
»Verfügen Schulen also nicht über die Ressourcen oder Konzepte, um den Umgang mit digitalen Medien zu fördern, kann sich das enorm auf die späteren Möglichkeiten der Schüler:innen auswirken, in unserer Gesellschaft aktiv zu sein und sich effektiv zu beteiligen.«
Zurückhaltend zeigen sich die Schulen etwa beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Wie ist deine Erfahrung?
Beim Thema KI sieht man, wie die Fehler der ersten Welle der Digitalisierung erneut gemacht werden. Die erste Reaktion von vielen Lehrkräften ist der Versuch, die neue Technologie aus der Schule herauszuhalten. Das ist genau der falsche Ansatz, denn diese neuen Technologien werden bleiben. Außerhalb der Schule, in der realen Welt, werden wir mit ihnen umgehen können müssen.
Davon abgesehen: KI bietet eine Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit. Ein Grund, warum Lehrkräfte KI-Anwendungen wie ChatGPT kritisch sehen, ist ja beispielsweise deren Sorge, dass Schüler:innen den Chatbot nutzen könnten, um sich Hausaufgaben oder Aufsätze schreiben zu lassen. Es ist aber ein Trugschluss zu glauben, dass vor ChatGPT Schüler:innen keine Unterstützung gehabt hätten. Bislang halfen nur eben die Eltern. Wie sehr der Lernerfolg von den Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern abhängig ist, hat noch einmal die Corona-Pandemie verdeutlicht. Während also früher nur die privilegierten Schüler:innen Hilfe erhielten, deren Eltern das leisten konnten, ermöglichen Anwendungen wie ChatGPT nun, dass diese Unterstützung allen zur Verfügung steht. Das ist eine Entwicklung hin zu mehr Gerechtigkeit. Natürlich muss unter diesen Bedingungen der Unterricht angepasst werden: Statt Wissensvermittlung und Wissenssammlung sollten eher Kompetenzen wie das genaue Verstehen eines Textes im Fokus stehen.
Damit sind wir direkt beim Thema Schultransformation: Wie sollte sich Schule aus Sicht von Schüler:innen verändern, um den Anforderungen der Kultur der Digitalität zu entsprechen?
In Bezug auf die Digitalisierung wäre es wichtig, mehr digitale Medien in den Schulalltag zu bringen – und das auf eine Art und Weise, die den Schüler:innen gerecht wird – damit wir ein Lernkonzept haben, mit dem alle gut lernen können. Dafür braucht es einen offenen Dialog zwischen den Lehrkräften und Expert:innen, die die Lehrpläne erarbeiten, und den Schüler:innen.
Und abseits der Digitalisierung?
Ein Thema, das mit der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen hat, ist die mentale Gesundheit. Die wurde lange Zeit vernachlässigt und der Mensch – auch in der Schule – nicht in all seinen Facetten gesehen. Nur wenn man sich in der Schule wohlfühlt, mental bereit ist, zu lernen, kann man tatsächlich lernen. Alles andere führt zu Stagnation, Frust, einem Ohnmachtsgefühl und letztlich dazu, dass man der Institution Schule und der Bildung generell den Rücken kehrt. Aber mentale Gesundheit wird noch immer zu häufig tabuisiert. Dabei sind psychische Erkrankungen oder Belastungen die zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen. Dass wir darauf in der Schule nicht eingehen, kann ich nicht nachvollziehen. Erst wenn wir darüber reden, kann sich die Situation verbessern.
Wie sehr das Thema den Schüler:innen unter den Nägeln brennt, haben die Schulsuizidpräventionstage gezeigt, die wir vom StadtschülerInnenrat in Frankfurt am Main organisiert haben. Alle drei bisherigen Veranstaltungen waren binnen zwei Wochen komplett ausgebucht und in den Umfragen zum Abschluss wünschten sich jeweils mehr als 90 Prozent einen weiteren Präventionstag. Das zeigt den großen Bedarf vonseiten der Schüler:innen.
Zwei Jahre lang warst du als stellvertretender Stadtschulsprecher aktiv. Was hast du in dieser Zeit in Bezug auf die Beteiligung von Schüler:innen an Entscheidungsprozessen gelernt?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr viele Jugendliche gibt, die unglaublich viel Lust haben, etwas in ihrer Stadt oder in ihrem Umkreis positiv zu verändern. Dabei habe ich auch gesehen, dass sie, wenn sie diese Möglichkeit erhalten, mit einer großen Energie dabei sind und die auch über das einzelne Projekt hinaus anhält. Ein Problem ist allerdings, dass viele junge Menschen nicht wissen, wie sie sich beteiligen können. Dazu braucht es mehr Informationen, denn wir als Gesellschaft profitieren enorm von jungen Menschen, die sich für unsere Gesellschaft engagieren. Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie sehr die Politik uns junge Menschen hören möchte. Es gibt viele Erwachsene, die genau darauf warten, dass Jugendliche sich einbringen wollen.
»Ein Problem ist allerdings, dass viele junge Menschen nicht wissen, wie sie sich beteiligen können. Dazu braucht es mehr Informationen, denn wir als Gesellschaft profitieren enorm von jungen Menschen, die sich für unsere Gesellschaft engagieren.«
Was muss dafür noch besser werden?
Wie gesagt, einerseits fehlt es an Informationen, wie sich Jugendliche einbringen können. Da verlieren wir recht viele, wenn wir sie nicht abholen und den Austausch stärken. Andererseits muss das Vertrauen in Entscheidungen, die Jugendliche treffen, gestärkt werden. Ich habe zwar sehr positive Erfahrungen gemacht, dass uns als StadtschülerInnenrat sehr viel zugetraut wurde, aber das ist leider noch nicht die Norm. Es muss ein Umdenken stattfinden dahingehend, dass Konzepte für Jugendliche nur noch unter Beteiligung von Jugendlichen entwickelt werden. Denn meiner Erfahrung nach sind Projekte, die Jugendliche in die Entscheidungsprozesse einbeziehen, erfolgreicher in der Umsetzung.