Gastbeitrag

Informationskompetenz von Schüler:innen fördern

von Anna Heinemann, Jens Leber, Pia Sander, Chirine Achmad, Louis Peters, Lara Meneghinello
veröffentlicht am 20.11.2024
Lesezeit: 5 Minuten

In einer Welt, in der Informationen jederzeit und überall verfügbar sind, stehen Lehrkräfte vor einer entscheidenden Herausforderung: Ihre Schüler:innen müssen lernen, mit der riesigen Menge an Informationen umzugehen. Die Vermittlung von Informationskompetenz und Critical Thinking ist entsprechend essenziell. Eine Forschungsgruppe hat Studien aus der internationalen Bildungsforschung ausgewertet, in denen das Prüfen und Beurteilen von Informationen  und die dafür verwendeten digitalen Tools untersucht wurden.

Das Metavorhaben „Digitalisierung im Bildungsbereich“

Im Rahmen des Metavorhabens Digitalisierung im Bildungsbereich“ entstanden zwischen 2020 und 2023 vier Forschungssynthesen zu verschiedenen Ebenen und Fragen im schulischen Bildungsbereich. Sie verfolgten das Ziel, wesentliche Fragen und Erkenntnisse im Kontext der Digitalisierung im Schulsystem zu fokussieren. Dieser Beitrag basiert auf einer dieser Forschungssynthesen aus dem Jahr 2023 (Leber et al. 2023), in der 22 deutsch- und englischsprachige Publikationen aus den Jahren 2018 bis 2023 analysiert wurden. Die zugrundeliegende Forschungsfrage lautete: Welchen Beitrag können digitale Medien bei der Förderung von Informationskompetenz im Unterricht leisten? Der Fokus lag dabei auf Studien, die insbesondere den Aspekt des Prüfens und Bewertens von Informationen berücksichtigen. Dabei wurden die Begriffe „Informationskompetenz“ und „Critical Thinking“ als Grundlage für die Auswertung genutzt, da beide Begriffe Teilkompetenzen mit diesem Fokus beschreiben. Neben den Studien selbst wurden auch die digitalen Tools in den Unterrichtsinterventionen sowie ihre Verwendung im didaktischen Setting beschrieben.

Informationskompetenz beschreibt die Fähigkeit, einschätzen zu können, welche Informationen benötigt werden, und diese dann gezielt zu finden, kritisch zu bewerten und sinnvoll zu nutzen (ALA 1989). Im Referenzrahmen Informationskompetenz werden dafür die fünf Teilkompetenzen Suchen, Prüfen, Wissen, Darstellen und Weitergeben beschrieben (Deutscher Bibliotheksverband 2017). Es geht nicht nur darum, Informationen zu finden, sondern auch zu beurteilen, ob diese zuverlässig sind. In Zeiten von Desinformation wird diese Fähigkeit zunehmend wichtiger. Das Internet bietet unzählige Antworten auf jede Frage – daher ist es entscheidend, zwischen guten und schlechten Quellen und Informationen zu unterscheiden. 

Darüber hinaus ist Informationskompetenz nicht nur eine Schlüsselkompetenz für die berufliche Zukunft der Schüler:innen, sondern auch eine Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe und lebenslanges Lernen (Griesbaum 2022; Kerres 2020; UNESCO 2013). Wer Informationen kritisch hinterfragen und auf dieser Grundlage fundierte Entscheidungen treffen kann, gestaltet aktiv und verantwortungsbewusst die eigene Teilhabe an der Gesellschaft. Daher sollten diese Fähigkeiten bereits in der Schule vermittelt werden (Eickelmann 2017). Hinsichtlich der Stärkung des Wissens und Handelns von Schüler:innen beim Prüfen und Bewerten von Informationen können sich breit angelegte und holistisch-didaktische Ansätze wie das problemorientierte Lernen oder Projektarbeit lohnen (Griesbaum, 2022; Lupton, 2017).

Welche Rolle spielen digitale Medien dabei?

Digitale Medien können dabei eine gute Unterstützung sein, wenn sie sinnvoll in das didaktische Szenario eingebettet werden. Sie bieten Zugang zu einer Vielzahl von Ressourcen und können eingesetzt werden, um interaktives, gemeinschaftliches Lernen im digitalen Raum zu fördern (Kerres 2018). Die Rolle des Internets als primäre Informationsquelle hat auch dazu geführt, dass Informationskompetenz zunehmend als digitale Kompetenz angesehen wird. Digitale Medien spielen demnach eine immer wichtigere Rolle bei der Förderung der Informationskompetenz.

Wie genau können digitale Werkzeuge didaktisch eingesetzt werden, um diese Fähigkeiten zu vermitteln?

Einige der eingeschlossenen Studien zeigen, dass die Nutzung von digitalen Tools die Bewertung von Informationen verbessern kann (z. B. Ackermans et al. 2021; Axelsson et al. 2021). Eine Übersicht der verwendeten Tools in den eingeschlossenen Studien und in welchem didaktischen Kontext sie angewendet wurden, findet sich im zugrundeliegenden Review (Leber et al. 2023).

Dafür konnten folgende Erkenntnisse für die didaktische Planung identifiziert werden:

  • Problemorientierte Lernansätze können durch digitale Tools erheblich unterstützt werden, indem sie einen Zugang zu authentischen Materialien bieten (z. B. Hämäläinen et al. 2020; Wineburg et al. 2022).
  • Insbesondere Tools mit integrierten Funktionen zur Überprüfung von Fakten können die Fähigkeit von Schüler:innen unterstützen, Informationen zu prüfen und zu bewerten (Nygren et al. 2021).
  • Auch Tools, die den Vorgang der Informationssuche, -prüfung und -bewertung bis hin zur Erstellung von eigenen Produkten über das erlernte Wissen strukturieren, können als Unterstützung verwendet werden (z. B. Belland & Kim 2021; Wade et al. 2020) und dienen der Entwicklung eigener Strategien hinsichtlich der Informationskompetenz.
  • Es braucht nicht unbedingt teure Zugänge oder Lizenzen für bestimmte Produkte – frei verfügbare Online-Quellen können für die Vermittlung von Informationskompetenz ebenso effektiv sein (z. B. Brante 2019; Wineburg 2022).
  • Schüler:innen sollten bei komplexen Tools ausgiebig angeleitet werden, um eine Überforderung zu vermeiden und die Förderung der Informationskompetenz fokussieren zu können.·   Informationskompetentes Verhalten ist als Schlüsselkompetenz ein fächerübergreifendes Anliegen, das eine Relevanz für die Einzelschule, Fachkonferenzen und Lehrkräfte hat (Kerres 2023).

»Die Vermittlung von Informationskompetenzen durch digital gestützte Lernarrangements hängt auch von einer soliden digitalen Infrastruktur in den Schulen und gut geschulten Lehrkräften ab.«

Anna Heinemann

Informationskompetenzen sind von grundlegender Bedeutung – und sollten breiter gefördert werden

Die Studie konnte zeigen, dass der Informationskompetenz für die Schulbildung eine grundlegende Bedeutung zukommt. Zudem hat sie verschiedene didaktische Ansätze und digitale Tools identifiziert, um das Prüfen und Beurteilen von Informationen bei Schüler:innen zu fördern. Trotzdem wird Informationskompetenz im Schulcurriculum teilweise noch nicht eindeutig benannt oder beschrieben (Kerres 2023; Griesbaum 2022), obwohl einzelne Studien darauf hinweisen, dass Schüler:innen insbesondere beim Prüfen und Bewerten von Informationen besondere Unterstützung brauchen (Breakstone et al. 2018). Des Weiteren hängt auch die Vermittlung von Informationskompetenz durch digital gestützte Lernarrangements von einer soliden digitalen Infrastruktur in den Schulen und gut geschulten Lehrkräften ab. Studien wie die International Computer and Information Literacy Study (ICILS) 2018 zeigen, dass in Deutschland noch Nachholbedarf besteht (Eickelmann et al. 2019).

Für Lehrkräfte müssen breite Möglichkeiten bestehen, die notwendigen digitalen Kompetenzen zu erwerben und auszubauen, um ihre Schüler:innen effektiv zu unterstützen. Um Lehrkräfte angemessen fortbilden zu können, erscheinen außerdem Strategien zur didaktischen Umsetzung aller Teilbereiche von Informationskompetenz sinnvoll, da die einzelnen Komponenten gesamtheitlich und fortlaufend geschult werden sollten. Dies in die langfristige didaktische Planung im Fachunterricht als zu schulende übergeordnete Kompetenz mit aufzunehmen, erscheint nicht trivial und benötigt Zeit und Raum im Unterricht. Demnach sollten Lehrkräfte bei der didaktischen Planung nicht allein gelassen werden.

Anna Heinemann

Anna Heinemann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Am Learning Lab arbeitet sie sowohl im Metavorhaben Digitalisierung im Bildungsbereich, bisher v. a. in der Erstellung von Forschungssynthesen im Schulsektor, als auch im Metavorhaben Kulturelle Bildung in gesellschaftlichen Transformationen, hier in der Begleitforschung von Förderprojekten mit. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Forschung liegt im Zusammenwirken von Wissenschaft und Praxis sowie Transferprozessen im Bildungsbereich.

anna.heinemann@uni-due.de https://learninglab.uni-due.de/users/anna-heinemann

Jens Leber

Jens Leber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen, wo er am Learning Lab sowohl in der Erstellung von Forschungssynthesen im Rahmen des Metavorhabens Digitalisierung im Bildungsbereich als auch in der Lehre mit einem mediendidaktischen Fokus mitwirkt. Des Weiteren ist er Mitarbeiter in der Begleitforschung des Metavorhabens Kulturelle Bildung in gesellschaftlichen Transformationen.

jens.leber@uni-due.de https://learninglab.uni-due.de/users/jens-leber

Pia Sander

Dr. Pia Sander ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Am Learning Lab koordiniert sie das Metavorhaben Digitalisierung im Bildungsbereich, das einen Beitrag leistet, die Forschung zu Bildung und Digitalisierung voranzutreiben, sichtbar zu machen und im Zusammenwirken mit der Praxis zu gestalten. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten im Metavorhaben gehört auch die Erstellung von Forschungssynthesen zu aktuellen Fragestellungen der schulischen Bildung in der digitalen Welt.

pia.sander@uni-due.de https://learninglab.uni-due.de/users/pia-sander

Chirine Achmad

Chirine Achmad ist studentische Hilfskraft in der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen und arbeitet am Learning Lab v. a. an der Erstellung von Forschungssynthesen im Rahmen des Metavorhabens Digitalisierung im Bildungsbereich mit.

chirine.ahmad@stud.uni-due.de https://learninglab.uni-due.de/users/chirine-ahmad

Louis Peters

Louis Peters arbeitete während seines Studiums als wissenschaftliche Hilfskraft an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Am Learning Lab war er im Rahmen des Metavorhabens Digitalisierung im Bildungsbereich an der Erstellung von Forschungssynthesen beteiligt.

Lara Meneghinello

Lara Meneghinello arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft in der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Am Learning Lab ist sie im Rahmen des Metavorhabens Digitalisierung im Bildungsbereich v.a. an der Erstellung von Forschungssynthesen beteiligt.

Literatur

Ackermans, K., Rusman, E., Nadolski, R., Specht, M. & Brand‐Gruwel, S. (2021): Video‐enhanced or textual rubrics: Does the Viewbrics’ formative assessment methodology support the mastery of complex (21st century) skills? In: Journal of Computer Assisted Learning 37/3, S. 810-824. https://doi.org/10.1111/jcal.12525

American Library Association (ALA) (1989): Presidential Commitee on Information Literacy: Final Report

Axelsson, C.-A. W., Guath, M. & Nygren, T. (2021): Learning How to Separate Fake from Real News: Scalable Digital Tutorials Promoting Students’ Civic Online Reasoning. Future Internet, 13(3), 60. https://doi.org/10.3390/fi 13030060

Belland, B. R. & Kim, N. J. (2021): Predicting High School Students’ Argumentation Skill Using Information Literacy and Trace Data. In: Journal of Educational Research 114/3, S. 211-221. https://doi.org/10.1080/00220671.2021.1897967

Brante, E. W. (2019): A Multiple-Case Study on Students’ Sourcing Activities in a Group Task. In: Cogent Education 6/1. https://doi.org/10.1080/2331186X.2019.1651441

Breakstone, J., McGrew, S., Smith, M. D., Ortega, T. & Wineburg, S. (2018): Teaching students to navigate the online landscape. In: Social Education 82/4, S. 219-221. https://www.socialstudies.org/social-education/82/4/teaching-students-navigate-online-landscape

Deutscher Bibliotheksverband e. V. (Hrsg.) (2017). Referenzrahmen Informationskompetenz. https://www.bibliotheksverband.de/sites/default/files/2020-12/Referenzrahmen_Informationskompetenz.pdf

Eickelmann, B. (2017): Schulische Medienkompetenzförderung. In: H. Gapski, M. Oberle & W. Staufer (Hrsg.): Medienkompetenz. Herausforderung für Politik, politische Bildung und Medienbildung (S. 146-154). Bonn: ​Bundeszentrale für politische Bildung

Eickelmann, B., Bos, W. & Labusch, A. (2019): Die Studie ICILS 2018 im Überblick. Zentrale Ergebnisse und mögliche Entwicklungsperspektiven. In: B. Eickelmann, W. Bos, J. Gerick, F. Goldhammer, H. Schaumburg, K. Schwippert, M. Senkbeil & J. Vahrenhold (Hrsg.): ICILS 2018 #Deutschland: Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking (S. 7-31). Münster: Waxmann

Griesbaum, J. (2022): Informationskompetenz. In: R. Knackstedt, J. Sander & J. Kolomitchouk (Hrsg.): Kompetenzmanagement in Organisationen. Kompetenzmodelle für den Digitalen Wandel: Orientierungshilfen und Anwendungsbeispiele (S. 67-98). Berlin/Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63673-2_4

Hämäläinen, E. K., Kiili, C., Marttunen, M., Räikkönen, E., González-Ibáñez, R. & Leppänen, P. H. T. (2020): Promoting sixth graders’ credibility evaluation of Web pages: An intervention study. In: Computers in Human Behavior 110. https://doi.org/10.1016/j.chb.2020.106372

Kerres, M. (2023): Bildung in der digitalen Welt: (Wie) Kann digitale Kompetenz vermittelt werden? In: N. McElvany, R. Lorenz, M. Becker, H. Gaspard & F. Lauermann (Hrsg.): Lernen in und für die Schule im Zeitalter der Digitalität. Chancen und Herausforderungen für Lehrkräfte, Unterricht und Lernende (S. 9-28). Münster: Waxmann

Kerres, M. (2018): Mediendidaktik: Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote (5. Auflage). Berlin: De Gruyter Oldenbourg.

Kerres, M. (2020): Bildung in der digitalen Welt: Über Wirkungsannahmen und die soziale Konstruktion des Digitalen. In: MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 17, S. 1-32. https://doi.org/10.21240/mpaed/jb17/2020.04.24.X

Leber, J., Heinemann, A., Sander, P., Ahmad, C., Meneghinello, L. & Peters, L. (2023): Informationskompetenz von Schüler:innen stärken: Wie kann man das Prüfen von Informationen durch den Einsatz digitaler Medien fördern? In: A. Wilmers, M. Achenbach & C. Keller (Hrsg.): Bildung im digitalen Wandel. Die Bedeutung digitaler Medien für soziales Lernen und Teilhabe (S. 75-106). Münster: Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783830998464.03

Lupton, M. (2017): Inquiry Learning. In: D. Sales & M. Pinto (Hrsg.): Pathways into Information Literacy and Communities of Practice (S. 29-51). Amsterdam: Chandos

Nygren, T., Guath, M., Axelsson, C.‑A. W. & Frau-Meigs, D. (2021): Combatting Visual Fake News with a Professional Fact-Checking Tool in Education in France, Romania, Spain and Sweden. In: Information 12/5. https://doi.org/10.3390/info12050201

United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization(UNESCO) (2013): Global media and information literacy assessment framework: Country readiness and competencies. Paris: UNESCO

Wade, A., Lysenko, L. & Abrami, P. C. (2020): Developing Information Literacy Skills in Elementary Students Using the Web-Based „Inquiry Strategies for the Information Society of the Twenty-First Century“ (ISIS-21). In: Journal of Information Literacy 14/2, S. 96-127. https://eric.ed.gov/?id=EJ1300586

Wineburg, S., Breakstone, J., McGrew, S., Smith, M. D. & Ortega, T. (2022): Lateral reading on the open Internet: A district-wide field study in high school government classes. In: Journal of Educational Psychology 114/5, S. 893-909. https://doi.org/10.1037/edu0000740