Interview

Anika Limburg: „Im Bereich KI ist die autodidaktische Fortbildung von Lehrkräften unerlässlich” 

von Torben Bennink
mit Dr. Alina Kissner-Schmidt und Dr. Anika Limburg
veröffentlicht am 14.02.2025
Lesezeit: 10 Minuten

Seitdem im Jahr 2022 OpenAIs Chatbot ChatGPT auf den Markt kam, ist Künstliche Intelligenz das Megathema in der Bildungslandschaft. Auch die Lehrkräftefortbildung ist gezwungen, eingetretene Pfade zu verlassen und neue Kompetenzen anzubahnen. Im Doppelinterview sprechen Anika Limburg und Alina Kissner-Schmidt darüber, was Fortbildner:innen selbst dafür können müssen, welche Formate erfolgversprechend sind – und warum es mehr denn je auf die Lehrkräfte ankommt.

Am 16. und 17. September 2024 veranstaltete das Forum Bildung Digitalisierung in Kooperation mit dem Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes und dem Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK) die Fachtagung „Dimension Digitalisierung – Schüler:innen in der Transformation stärken“. Die Veranstaltung fördert den länderübergreifenden fachlichen Austausch zu Erfahrungen, Konzepten und Strategien rund um die Gestaltung von Bildung im Kontext der Kultur der Digitalität. Impulse zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) lieferten unter anderem Anika Limburg, Direktorin des Bildungscampus Saarland, und Alina Kissner-Schmidt, Leiterin der Abteilung Personalentwicklung von Pädagog:innen am Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Österreich. Sie diskutieren, wo Lehrkräfte der KI überlegen sind, auf welche Formate für die Lehrkräftebildung sie für die Zukunft setzen und welche Rolle dabei eine Fortbildungsverpflichtung spielen kann.

Zur Person

Dr. Alina Kissner-Schmidt studierte in Wien Rechtswissenschaften und promovierte an der Paris Lodron Universität in Salzburg. Von 2018 bis 2022 leitete sie im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) die Abteilung für Elementar- und Sozialpädagogik und war anschließend von 2022 bis 2023 Generalsekretärin der gemeinnützigen MINTality-Stiftung in Wien. Seit Februar 2023 leitet sie im BMBWF die Gruppe Personalentwicklung von Pädagog:innen.

Zur Person

Dr. Anika Limburg ist Direktorin des Bildungscampus Saarland und verantwortet in dieser Rolle die zweite und dritte Phase der staatlichen Lehrkräftebildung im Saarland. Zudem ist sie Gründungsmitglied des VK:KIWA (Virtuelles Kompetenzzentrum – Schreiben lehren und lernen mit KI).

Lehrkräfte haben das Wissensmonopol längst verloren. Aber: Die KI kann auch Vorschläge für die Beurteilung von Texten und anderen Leistungen liefern, Inhalte interaktiv und unterhaltsam aufarbeiten, dazu noch geduldig zuhören und sogar soziale Bedürfnisse erfüllen. Was können Lehrkräfte eigentlich noch, was die KI nicht kann?

Anika Limburg: Die können sehr viel. Angesichts von KI ist aber eine Rollenreflexion unerlässlich. Die Rolle des Wissensvermittlers gehört, wie in der Frage ja auch schon angedeutet, im Kern nicht mehr dazu. Was junge Menschen in einer Kultur der Digitalität aber ganz besonders brauchen, sind Vorbilder – also erwachsene Menschen, die dazu in der Lage sind, sich auf der Grundlage ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten in dieser Welt zurechtzufinden; die „role model“ dafür sein können, wie man mit Unsicherheit umgehen kann; und die vor diesem Hintergrund die Schüler:innen begleiten. 

Alina Kissner-Schmidt: Den Punkt möchte ich gerne noch erweitern. Lehrkräfte unterrichten ja nicht nur Fachwissen, sondern vermitteln besonders auch soziale Kompetenzen. Sie fördern die Teamarbeit der Schüler:innen und unterstützen sie bei Konfliktlösungen. Dafür braucht es aufseiten der Lehrkräfte ausgeprägte kommunikative Kompetenzen und die emotionale Intelligenz, um Kinder und Jugendliche auf ihrem Lernweg zu begleiten. Ohne menschliche Interaktion kann man keine persönliche Beziehung aufbauen. Nur wenn die persönliche Beziehung besteht, kann eine Lehrkraft auf die Bedürfnisse ihrer Schüler:innen eingehen und sich individuell mit ihren Lernbedürfnissen auseinandersetzen. Kurz gesagt: Obwohl die KI über wichtige Funktionen verfügt, macht sie die Lehrkraft noch lange nicht überflüssig. Ganz im Gegenteil: Lehrkräfte bringen eine Vielzahl an Kompetenzen und Fähigkeiten mit, die über die technologischen Möglichkeiten von KI hinausgehen.

Anika Limburg: Auch ihre Fachlichkeit bleibt dabei unglaublich wichtig. Schließlich haben Lehrkräfte insbesondere gelernt, wie Schüler:innen kognitiv so aktiviert werden können, dass sie konkrete Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben. Um dabei anspruchsvolle Lernarrangements zu gestalten, die das Potenzial von KI heben und dabei soziales Lernen fokussieren, braucht es unbedingt die Expertise einer Lehrkraft. 

Die wenigsten Lehrkräfte haben die Gestaltung entsprechender Lernarrangements mit Tools generativer KI als regulären Teil ihrer Ausbildung erworben. Welchen Beitrag kann und muss die Fort- und Weiterbildung vor diesem Hintergrund leisten?

Alina Kissner-Schmidt: Um schon Schüler:innen in der Primarstufe zu erreichen, wurde in Österreich 2017 das Pilotprojekt „Denken lernen, Probleme lösen“ ins Leben gerufen und seit dem letzten Jahr um den sogenannten „digi.case“ erweitert. Das Vorhaben unterstützt die didaktische Nutzung digitaler Medien durch Lehrende in der Primarstufe und stärkt das informatische Denken und kreative Problemlösen der Kinder. Das Beispiel zeigt sehr gut, dass es nicht möglich ist, ein neues Projekt an den Schulen umzusetzen, ohne die Lehrkräfte entsprechend fort- und weiterzubilden. Der immer schneller voranschreitende Wandel macht zudem deutlich, dass Lehrkräfte auf neue Entwicklungen schnell reagieren müssen, um auch mit ihren Schüler:innen mithalten zu können, für die ein Leben ohne Technologie zum Teil kaum vorstellbar ist.

Anika Limburg: Dafür müssen aber auch die Menschen, die in der Aus-, Fort- und Weiterbildung tätig sind, selber genug Expertise im Bereich KI entwickeln. Deswegen sind wir am Bildungscampus Saarland erstmal in einen Prozess der internen Weiterbildung gestartet – und zwar in einer Art Reallabor, in dem wir neue Formate und Konzepte für die Aus-, Fort- und Weiterbildung erproben können. Das reflektieren wir und entwickeln auf dieser Grundlage ein Gesamtkonzept dafür, dass KI in der Aus-, Fort- und Weiterbildung systematisch berücksichtigt. Ergänzend sprechen wir mit Schulleitungen, den Schüler:innen und ihren Eltern darüber, wie Schule im KI-Zeitalter aussehen soll. 

»Obwohl die KI über wichtige Funktionen verfügt, macht sie die Lehrkraft noch lange nicht überflüssig. Ganz im Gegenteil: Lehrkräfte bringen eine Vielzahl an Kompetenzen und Fähigkeiten mit, die über die technologischen Möglichkeiten von KI hinausgehen.«

Dr. Alina Kissner-Schmidt

Auf welche Bestandteile setzen Sie vor Ort, um Lehrkräfte im aktiven Schuldienst für den Bereich KI fit zu machen? Und wie weit ausgereift sind die schon?

Alina Kissner-Schmidt: Im Themenbereich KI setzen wir auf ein zweistufiges Verfahren mit einem Massive Open Online Course (MOOC) sowie einer anschließenden vertiefenden Fortbildung in einem „Education Innovation Studio“ an den Pädagogischen Hochschulen in Österreich. Generell nutzen wir verstärkt digitale Formate in der Fort- und Weiterbildung, damit wesentliche Kompetenzen wie etwa der Umgang mit digitalen Medien rasch in die Breite kommen.

Anika Limburg: Wir haben schon unmittelbar nachdem ChatGPT auf der Bildfläche aufgetaucht ist, umfangreiche Fortbildungskonzepte für Lehrkräfte angeboten – beispielsweise in Kooperation mit dem KI-Campus. Es sind etwa Konzepte entstanden, bei denen Lehrer:innen über einen längeren Zeitraum gemeinschaftlich KI-Tools kennenlernen, sie erproben und Unterrichtskonzepte entwickeln. Meiner Überzeugung nach reichen Fortbildungs-Angebote zu KI als Schwerpunktthema aber nicht aus, denn KI berührt ja eigentlich alles, was wir in der Schule tun – ist also ein bedeutendes Querschnittsthema. Also sollten alle Fortbildner:innen von der Musik- bis zur Chemiedidaktik ihre Angebote ebenfalls durch die KI-Brille anschauen. Und da sind wir bundesweit aus meiner Sicht noch weit davon entfernt, für jeden Fortbildungsbereich schon systematisch KI mitgedacht zu haben.

In einem Kommentar zu den kürzlich erschienenen Handlungsempfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) haben Sie gefordert, dass es ein niedrigschwelliges Angebot hochwertiger und fortwährend aktualisierter Selbstlernkurse zum Thema KI geben sollte. Können die Landesinstitute das in Deutschland alleine leisten?

Anika Limburg: Nein, auf keinen Fall. Die Landesinstitute tun gut daran, die schnellen technologischen Entwicklungen mitzuschneiden und aktuelle Tools zu sondieren. Aber ich allein wende mehrere Stunden pro Woche auf, um im Bereich KI auf dem Laufenden zu bleiben. Das können wir flächendeckend also nicht abdecken. Deswegen sollten wir uns länderübergreifend dazu austauschen, wer schon etwas entwickelt hat, und uns die Angebote gegenseitig zur Verfügung stellen. Und eigentlich braucht es sowas wie den KI-Campus, der Fortbildungsangebote für Hochschulen versammelt, auch nochmal für den Schulkontext.

»Wir sind bundesweit aus meiner Sicht noch weit davon entfernt, KI für jeden Fortbildungsbereich schon systematisch mitgedacht zu haben.«

Dr. Anika Limburg

Wie adressieren Sie die kurzen Innovationszyklen im Bereich KI, die Frau Limburg bereits angesprochen hat, in der Fortbildungslandschaft in Österreich?

Alina Kissner-Schmidt: Hier sind vor allem die Pädagogischen Hochschulen als Anbieter für Fort- und Weiterbildung gefordert. Das Bildungsressort legt bildungspolitische Themenschwerpunkte in der Fort- und Weiterbildung fest, zu denen aktuell etwa Digitalisierung mit Fokus auf KI und IT-Security zählt. Die Pädagogischen Hochschulen haben davon ausgehend den Auftrag, sich innovative Formate zu überlegen, wie diese Themen bestmöglich für die Lehrkräfte aufbereitet und vermittelt werden können. Diesen Planungen liegt der österreichweite „Bundesqualitätsrahmen Fort- und Weiterbildung & Schulentwicklungsberatung an den Pädagogischen Hochschulen” zugrunde. Vor allem MOOCs haben sich in den letzten Jahren bewährt, um flächendeckend Lehrkräfte zu erreichen. Die Virtuelle PH hat etwa im Frühjahr 2024 den KI-MOOC gelauncht, der als Online-Fortbildungsangebot Lehrkräften zeit- und ortsunabhängig das Thema KI sowie ihren Einsatz im Lehren und Lernen näherbringt.

Sie haben 100 KI-Pilotschulen ausgewählt, um Erkenntnisse zum Einsatz generativer KI in Schule und Unterricht zu gewinnen. Was passiert an diesen Schulen und welche Erkenntnisse sollen am Ende des Projektes stehen?

Alina Kissner-Schmidt: Die 100 ausgewählten KI-Pilotschulen wurden mit KI-Software zur Unterrichtsplanung und zum Einsatz im Unterricht ausgestattet. Das Bildungsministerium hat den Schulen ein Projektbudget zur Finanzierung von Lizenzen zur Verfügung gestellt. Die Schulen dokumentieren die Möglichkeiten des Lehrens und Lernens mit KI und zeigen gleichzeitig auch Grenzen auf. In der Pilotphase werden sie von den Pädagogischen Hochschulen begleitet. Ziel ist es, basierend auf diesen Ergebnissen wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für alle Schulen abzuleiten. Diese Good-Practice-Beispiele werden in der ersten Jahreshälfte 2025 veröffentlicht.

»Die KI-Pilotschulen dokumentieren die Möglichkeiten des Lehrens und Lernens mit KI und zeigen gleichzeitig auch Grenzen auf. Ziel ist es, basierend auf diesen Ergebnissen wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für alle Schulen abzuleiten.«

Dr. Alina Kissner-Schmidt

Ein weiteres oft angeführtes Mittel zu mehr Verbindlichkeit sind Fortbildungsverpflichtungen mit einer festen Stundenzahl, die in mehreren deutschen Bundesländern schon existieren. Wie stehen Sie dazu?

Alina Kissner-Schmidt: In Österreich ist eine Verpflichtung aktuell nicht vorgesehen. Die Teilnehmerzahlen zum KI-MOOC zeigen, dass dieser auch so bereits in der Breite des Schulsystems ankommt. Das zeigt: Es braucht niedrigschwellige und zeit- und ortsunabhängige Fortbildungsangebote zu KI. Auch das Fortbilden on demand in kleinen Happen, sogenannten Microlearning-Einheiten, wird von den Lehrkräften gut angenommen. 

Anika Limburg: Speziell für den Bereich KI glaube ich, dass das auch der falsche Ansatz wäre. Ein Lernerfolg ist immer auch von einer intrinsischen Motivation abhängig. Wir sehen, dass viele Lehrkräfte die eigene Fortbildung autodidaktisch absolvieren. Im Bereich KI ist diese selbstgesteuerte Form unerlässlich, denn der Markt ist riesig und hochdynamisch. Die meisten Lehrkräfte wissen eigentlich sehr genau, was sie an Input brauchen, aber nicht, wo und wie sie ihn qualitätsgesichert und effizient finden. Es bräuchte also vor allem eine gebündelte Übersicht von Selbstlernmodulen und kuratierter Informationen. Hier setzt die Arbeit des Bildungscampus an.

»Speziell für den Bereich KI glaube ich, dass eine Fortbildungsverpflichtung der falsche Ansatz wäre.«

Dr. Anika Limburg

Zahlreiche Unternehmen bieten ja insbesondere im Bereich KI schon zeit- und ortsunabhängige Selbstlernkurse an und sind an Strukturen der Länder oder an einzelne Institutionen angebunden. Ist das Problem damit gelöst?

Anika Limburg: Ich bin sehr froh, dass es diese Anbieter gibt, die Tools und Fortbildungsangebote zur Verfügung stellen, damit wir alle überhaupt die Möglichkeit haben, die Potenziale von KI erproben und kennenlernen zu können. Ich würde mir aber wünschen, dass das ein Übergangsphänomen bleibt und perspektivisch flächendeckend freie Angebote mit hoher Qualität für alle Bildungsakteure zur Verfügung stehen. Die Frage des kostenfreien Zugangs zu solchen Fortbildungsangeboten ist letztendlich auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit.

Frau Limburg, Frau Kissner-Schmidt, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Torben Bennink

Torben Bennink studierte Lehramt an Gymnasien an der Universität Osnabrück. Als freier Journalist schreibt er für Table.Briefings und Plan BD über Querschnittsthemen der Bildungspolitik und -forschung, unter anderem Digitale Transformation und Lehrkräftebildung.
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