Interview

Anna Margarete Davis und Michaela Weiß: „Wir brauchen eine engere Verzahnung von Zuständigkeiten“

von Klaus Lüber
mit mit Anna Margarete Davis und Michaela Weiß
veröffentlicht am 17.07.2023
Lesezeit: 7 Minuten

Im Ganztag überschneiden sich idealerweise Zeiten, Räume und Zuständigkeiten. Was bedeutet dies für das Dreieck aus Schulaufsicht, Schulleitung und Schulträger? Ein Gespräch mit Anna Margarete Davis (Deutsche Kinder- und Jugendstiftung) und Michaela Weiß (Forum Bildung Digitalisierung).

Als „Bermudadreieck der Zuständigkeiten“ beschreiben Mark Rackles, Staatssekretär a. D. in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin, und Maike Reese, freiberufliche Organisations- und Schulentwicklungsberaterin, das Spannungsfeld zwischen Schulen, Schulträgern und Schulaufsichten in einem Anfang 2022 veröffentlichten Impulspapier des Forum Bildung Digitalisierung. Darin drohe das zu verschwinden, was essenziell für zukunftsorientierte Pädagogik ist: die digitale Schulentwicklung.

Auch im Zuge der angestrebten Umstellung vieler Schulen auf den Ganztagsbetrieb ist diese Analyse weiterhin hochaktuell. Ein zeitgemäßes Steuerungshandeln, das alle an Schule beteiligten Akteure sinnvoll miteinander vernetzt und stärker als bisher in den Austausch miteinander bringt, ist besonders für Schulen im Ganztag maßgebend. Wer digitale Hilfsmittel nutzen möchte, um eine bessere Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten zu gewährleisten, kommt nur dann weiter, wenn Schulaufsicht, Schulträger und Schulleitungen intensiv zusammenarbeiten und Fragen der Ausstattung und Pädagogik zusammenführen.

Zur Person

Zur Person Anna Margarete Davis leitet den Bereich Schulentwicklung und Ganztag bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und ist dort unter anderem für das Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ zuständig, das Ganztagsschulen dabei unterstützt, das individualisierte Lernen weiterzuentwickeln. Zuvor baute sie das bundesweite Entwicklungsprogramm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ mit auf.

Zur Person

Zur Person Michaela Weiß leitet das Handlungsfeld „Rahmenbedingungen“ im Forum Bildung Digitalisierung und verantwortet dort die Angebote zur Vernetzung von Schulen, Schulträgern und Schulaufsichten sowie die Gestaltung von Dialog- und Transferformaten im Kompetenzverbund lernen:digital. Als Erziehungs- und Politikwissenschaftlerin war sie im Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt, dem Förderprogramm Demokratisch Handeln und in der Lehrkräftebildung an der Georg-August-Universität Göttingen tätig.

Frau Davis, Frau Weiß, unter Bildungsexpert:innen wird schon seit einiger Zeit gefordert, die Kooperation zwischen Schulleitung, Schulaufsicht und Schulträger neu auszurichten. Auch das Forum Bildung Digitalisierung veröffentlichte dazu ein Impulspapier. Warum ist das so wichtig?

Anna Margarete Davis: Schulentwicklung ist nur dann erfolgreich, wenn sie abgestimmt erfolgt. Schulaufsicht, Schulleitung, Schulträger und Jugendhilfe müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn wir all die Herausforderungen bewältigen wollen, vor denen Schulen derzeit stehen. Der Blick auf den Ganztag macht dies noch einmal besonders deutlich, denn hier sind die Schnittstellen besonders groß und es sind ja immer die gleichen Kinder, um die es geht.

Michaela Weiß: Wir kommen auch angesichts der Digitalisierung nicht um eine engere Verzahnung der Zuständigkeiten herum. Technik und Wartung, also der Aufgabenbereich der Schulträger und zukunftsfähige Pädagogik, das Handlungsfeld der Schulaufsicht und Schulleitungen müssen regelmäßig auf der strukturellen Ebene zusammenfinden. Dies kann nur durch engere Kooperation, Austausch und gemeinsame Qualifizierung erreicht werden. Das haben uns nicht zuletzt auch die Erfahrungen in der Pandemie gezeigt. Dort, wo der Austausch zwischen den Akteuren bereits etabliert und eingeübt war, ging es häufiger etwas reibungsloser.

Frau Davis, Sie haben sich im Rahmen von „LiGa – lernen im Ganztag“ vor allem mit der Aufgabe der Schulaufsicht beschäftigt und dazu auch eine Studie durchgeführt. Was haben Sie herausgefunden?

Anna Margarete Davis: Aufgrund ihres Tätigkeitsprofils und ihrer Zuständigkeit verfügen Schulaufsichten über umfassendes regionales Überblickswissen, insbesondere zu Schulentwicklung. Dieses Wissen sollte für die Umsetzung umfassender Vorhaben wie der Ganztagsschulreform genutzt werden. Mitarbeiter:innen der Schulaufsicht können dabei als Multiplikator:innen und Koordinator:innen sowie Moderator:innen und Inputgebende fungieren.

Ist die Trennung zwischen technischer Ausstattung und Pädagogik noch sinnvoll?

Anna Margarete Davis: Nein, war sie auch nie. Eine Schule voller Smartboards bringt keinen Fortschritt, wenn sie wie Tafeln genutzt werden. Es braucht Konzepte für die pädagogische Umsetzung der Digitalisierung, auf deren Grundlage die Schulen ausgestattet werden können. Schulen sind bereits seit 2016/17 mit der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ aufgefordert, die Kompetenzvermittlung fächerübergreifend zu verankern und durch zielgerichteten Technikeinsatz zu ermöglichen. Das Medienbildungskonzept, wie es der Mittelbeantragung im DigitalPakt Schule zugrunde gelegt werden musste, bildet dies ebenfalls in seinem Dreiklang aus Ausstattungsplanung, Fortbildungsplanung und Mediencurriculum ab.

Michaela Weiß: Da stimme ich Frau Davis voll und ganz zu. Die beste technische Ausstattung bringt nichts, wenn nicht auch die Schul- und Unterrichtsentwicklung mitgedacht wird. Nur so kann ein ganzheitlich wirksamer Digitalisierungsprozess an Schulen stattfinden. Das erfordert allerdings eine intensive Koordination und transparente Kommunikation zwischen Schulen, Schulträgern und Schulaufsichten.

»Schulentwicklung ist nur dann erfolgreich, wenn sie abgestimmt erfolgt. Schulaufsicht, Schulleitung, Schulträger und Jugendhilfe müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn wir all die Herausforderungen bewältigen wollen, vor denen Schulen derzeit stehen.«

Anna Margarete Davis

Welche Bedeutung hat dies insbesondere in der Weiterentwicklung des Ganztagskonzepts?

Michaela Weiß: Ich denke, da steht die Entwicklung Richtung Ganztag und Digitalisierungsprozessen an Schulen vor vielen gemeinsamen Herausforderungen – gerade mit Blick auf die Trennung der Zuständigkeiten in innere und äußere Schulangelegenheiten. Alle Akteure haben ja das Ziel, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Kompetenzen für bestmögliche Bildungsvoraussetzungen zu sorgen. Ich bin davon überzeugt, dass Transformation dann gelingt, wenn sich alle in ihrer Rolle als Ermöglicher:innen regelmäßig ko-konstruktiv austauschen, einander in ihrer Tätigkeit tatsächlich verstehen und gegenseitig unterstützen. Dabei geht es gar nicht darum, dass alle immer im Einklang handeln, aber Wohlklang zwischen den Akteuren und die Bereitschaft zum Perspektivwechsel hilft.  

Anna Margarete Davis: Gerade im Ganztag gibt es viele Gelegenheiten für den pädagogischen, aber auch den organisatorischen Einsatz digitaler Medien. Zum Beispiel bei der Arbeitsplanung von multiprofessionellen Teams, die eine Schlüsselrolle in einer zeitgemäßen Pädagogik spielen. Die Digitalisierung kann auch dabei unterstützen, Lernen besser zu rhythmisieren – eine der wichtigsten Gelingensbedingungen für den Ganztag. Ein digitales Lerntagebuch (oder Lernlandkarte) ermöglicht beispielsweise zum einen die Stärkung des selbstorganisierten und individualisierten Lernens. Zum anderen erleichtert es die Vernetzung aller beteiligten Personengruppen, Lehrkräften, pädagogisches Personal, Erziehungsberechtigte sowie Schüler:innen.

»Zentral ist es, die Schul- und Unterrichtsentwicklung als gemeinsamen Prozess zu verstehen und zu verstetigen, bei dem viele verschiedene Akteure einzubeziehen sind. Hier braucht es einen moderierten Dialog, der einen Experimentierraum schafft, Neues zu denken und Grenzen zu überwinden.«

Michaela Weiß

Auch die Themen Bildungsgerechtigkeit und Selbstbestimmung werden im Zusammenhang mit Ganztagskonzepten immer wieder genannt. Kann die Digitalisierung auch hier als Hilfsmittel eingesetzt werden?

Anna Margarete Davis: In jedem Fall. Nehmen wir das Thema Bildungsgerechtigkeit. Durch digitale Medien kann der Lernstand jedes Lernenden leichter ermittelt und ein passgenauer Förderplan erstellt werden. Und digitale Medien eröffnen neue Räume der Selbstbestimmung – auch im Sinn einer privaten Nutzung digitaler Medien – sowie neue Partizipationsformen, beispielhaft für eine gesellschaftsbezogene Nutzung digitaler Medien für Schüler:innen. Gerade außerschulische Partner können Motoren für einen lebensweltorientierten Ganztag sein und ein zentrales Feld in der digitalen Ganztagsschulentwicklung besetzen.

 

Michaela Weiß: Ja, absolut. Denn eine modern ausgestattete Schule kann dazu beitragen, die zukünftig notwendige Medienkompetenz zu vermitteln und Kinder und Jugendliche auf das Leben und Arbeiten in einer von der Kultur der Digitalität geprägten Welt vorzubereiten. Zudem sollten außerschulische Partner noch stärker im Bildungsprozess wahrgenommen werden und ihre Expertise nutzen, um innovative Unterrichtskonzepte voranzubringen. Hier kann ein regelmäßiger Austausch über digitale Plattformen, ich denke da etwa an digitale Klassenbücher, sehr helfen.

Wie kann eine nachhaltige Qualitätsentwicklung vor Ort gestaltet werden?

Anna Margarete Davis: Zunächst sollte man unbedingt mit anerkannten Qualitätsmerkmalen arbeiten. In Berlin sind das beispielsweise die Qualitätsstandards für die inklusive Berliner Ganztagsschule. Der nächste Schritt ist, gemeinsam mit dem Kollegium Handlungsstrategien zu erarbeiten und dabei unbedingt auch Schulaufsicht und Schulträger einzubinden. Dabei gilt es, sich die entsprechenden Themen immer wieder vorzunehmen, auf diese Weise auch neue Kolleg:innen einzubeziehen, die gelebte Praxis zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Michaela Weiß: Ganz genau. Zentral ist es, die Schul- und Unterrichtsentwicklung als gemeinsamen Prozess zu verstehen und zu verstetigen, bei dem viele verschiedene Akteure einzubeziehen sind. Hier braucht es einen moderierten Dialog, der einen Experimentierraum schafft, Neues zu denken und Grenzen zu überwinden.

Klaus Lüber

Klaus Lüber studierte Kulturwissenschaft, Publizistik und Philosophie in Berlin und München. Als freier Redakteur und Autor arbeitet er unter anderem für den F.A.Z.-Verlag, die Volkswagenstiftung und den Thinktank iRights.Lab. Zu seinen Lieblingsthemen zählen Innovation, Digitalisierung und Bildung. Er lebt und arbeitet in Berlin.

https://www.klauslueber.de/