Bildungsverwaltung in der digitalen Transformation: Zukunftsfähige Kooperationsstrukturen gestalten
Foto: Florian Freund / CC BY 4.0
Impuls

Bildungsverwaltung in der digitalen Transformation: Zukunftsfähige Kooperationsstrukturen gestalten

von Torben Bennink
veröffentlicht am 10.12.2024
Lesezeit: 8 Minuten

Eine enge Zusammenarbeit von Schulen, Schulträgern und Schulaufsichten gilt als eine der Gelingensbedingungen für effektive Transformationsprozesse im Bildungssystem. Visionen aus den drei Ebenen weisen den Weg zu einer zukunftsfähigen Kooperation in einer Kultur der Digitalität.

„Damit könnte ich ein Wintersemester füllen“, sagt Schulleiter Uwe Bettscheider. Wovon er spricht: Beispiele, bei denen die Abstimmung mit Schulträgern und Schulaufsichten nicht funktioniert hat. Schuld daran sind oft fehlende Abstimmungsprozesse und mangelnde Kenntnisse der Bedingungen des Gegenübers. Die gute Nachricht: Visionen für neue Formen der Zusammenarbeit gibt es auf allen Ebenen. Diese Perspektiven zusammenzuführen, hat sich das Governance Forum BD zur Aufgabe gemacht.

Schulaufsichten: Auf der Suche nach ihrer zeitgemäßen Rolle

Die Schulaufsicht als Einrichtung der Länder verantwortet vor allem pädagogische Fragen, die nicht auf Schulebene geregelt sind. Dazu nimmt sie im Fachjargon die „Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht“ über die Lehrkräfte ein, oft nach Schulformen getrennt. Doch dieses traditionelle Rollenbild kommt in Zeiten der digitalen Transformation vermehrt an seine Grenzen. „Das, was gesetzlich festgeschrieben ist, ist viel zu einseitig“, sagt Beata Warszewik-König, Schulaufsichtsbeamtin für Allgemeinbildende Schulen in Bremen. „Es geht heute nicht mehr um eine Aufsicht von oben, sondern darum zu beraten, zu begleiten und zu steuern.“

Um diese moderne Rolle wahrnehmen zu können, brauchen die Schulaufsichten neue Kompetenzen. Aktuell sind die Aus- und Fortbildungswege jedoch sehr unterschiedlich und bereiten häufig kaum auf eine enge Kooperation mit anderen Akteur:innen des Bildungssystems vor. Das betreffe zum Beispiel die Bereiche systemische Beratung oder datengestützte Schulentwicklung, berichtet Warszewik-König. Ihre Schlussfolgerung: „Wir sollten länderübergreifende Standards für eine moderne Schulaufsicht definieren und diese gezielt in Fortbildungen adressieren.“

Uwe Bettscheider, Schulleiter am Ritzefeld-Gymnasium Stolberg in Nordrhein-Westfalen, wünscht sich eine Schulaufsicht, die ähnlich wie in Kanada im engen Austausch mit den Schulen agiert. „Ich brauche keine Aufsicht, die ich zweimal im Jahr spreche und die mir dann sagen möchte, was ich zu tun habe. Ich kann aber sicher von einer Aufsicht profitieren, die meine Lebensrealität kennt und meine Probleme versteht“, sagt er.

Schulträger: Mehr als nur digitaler Ausstatter

Die Schulträger beschäftigen sich klassischerweise mit der Ausstattung von Schulen, sind aber auch für das Personal in der Verwaltung und im Ganztag zuständig. Meist liegt die Schulträgerschaft bei der Kommune. Doch die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit sind hochindividuell und zum Beispiel von der Größe der Kommune, der geografischen Lage und dem Entwicklungsstand der Schulen abhängig.

Abbildung: Julia Hense

Rahmenbedingungen für Schulträger bei der Gestaltung der digitalen Transformation an Schulen

Diese Unterschiede kennt auch Schulleiter Uwe Bettscheider aus eigener Erfahrung. „Wenn ein Schulträger für 100 Schulen zuständig ist, ist die einzelne Schule nur eine Kostenstelle. In einer kleinen Stadt ist es für das Ansehen des Trägers wirklich wichtig, dass die Schule gut läuft“, sagt Bettscheider.

So unterschiedlich wie die Rahmenbedingungen müssten auch die Formate sein, in denen Schulträger untereinander und mit anderen Akteur:innen im Umkreis zusammenarbeiten, sagt Dennis Richter, Leiter der Abteilung IT Competence Center Schulen im Schulverwaltungsamt in Stuttgart. „Die kleinen Gemeinden können teilweise gar keine IT-Verwaltung aufbauen, weil sie mit ihren bisherigen Aufgaben kaum hinterherkommen.“ Folge seien falsch konfigurierte Geräte oder iPads, auf denen beispielsweise kinderschädliche Inhalte abrufbar sind. Diese Gemeinden sollten in interkommunalen Verbünden zusammenarbeiten können und Unterstützung von den Medienzentren bekommen, findet Richter. 

Grundsätzlich sieht er sein Amt dafür gerüstet, mehr als Ausstattungsfragen zu bearbeiten. „Wir haben ein Medienentwicklungs-Team, das hochpädagogisch denkt. Ich glaube, dass viele unterschätzen, inwieweit Schulträger schon anwendungsbezogen agieren“, sagt Richter. Aber er übt auch Selbstkritik. „Wir haben uns zu lange hinter unserer Zuständigkeit der digitalen Ausstattung versteckt und nicht ganzheitlich genug gedacht.“

Schulleitungen: „Wir arbeiten ständig in der Grauzone“

Der Ort, an dem sich unklare Zuständigkeiten und überholte Strukturen in der Bildungsverwaltung praktisch zeigen, sind die Schulen. Schulleiter Bettscheider hat dafür zahlreiche Beispiele parat. Kommunen und Land streiten sich etwa seit Jahren darüber, ob die Lehrergeräte Personal- oder Sachkosten seien – für ersteres müsste das Land aufkommen, für zweiteres die Kommune. Ähnlich sei es bei Sozialarbeiter:innen und beim IT-Personal. 

Regelmäßig gehe er mit seiner Schule Wege an der Grenze des Erlaubten. So wandle er Schüler:innengeräte mit der Zeit in Geräte für Lehrkräfte um. Sein Träger wisse davon – und schaue aktiv weg. Das sei kein Einzelfall. „Wir als Schulleitung arbeiten ständig in der Grauzone“, sagt Bettscheider.

Visionen: Wie eine moderne Kooperation aussehen kann

Doch er hat auch Visionen für zukunftsfähige Formen der Zusammenarbeit. Er hält einen Schulverbund für sinnvoll, der wie in den Niederlanden aus sechs bis zehn Schulen besteht und eine jährliche pädagogische Planung beschließt. „Dieser Verbund sollte auch Entscheidungsbefugnis über Personal und Budget haben“, sagt Bettscheider. Kombinieren möchte er diesen Verbund mit einem Aufsichtsrat, in dem regelmäßige Treffen mit dem Träger und der Schulaufsicht stattfinden. Dort könnten die unterschiedlichen Akteur:innen Einblicke in ihre Arbeitslogiken geben und ihre Perspektiven austauschen, sagt er. 

Nach einem ähnlichen Prinzip arbeiten in Ländern wie Singapur und Kanada sogenannte „Schulfamilien“ zusammen. Auch Beata Warszewik-König sieht in diesem Format großes Potenzial. In Bremen setze man schon stark auf eine regionale Zusammenarbeit mit den Schulen, sagt sie. Die schulartübergreifende Kooperation und die gewinnbringende Nutzung von Daten sei dagegen noch ausbaufähig. „Natürlich können wir schon auf eine Vielzahl von Daten zurückgreifen. Sie müssten allerdings – ähnlich wie in Baden-Württemberg – noch besser aufgearbeitet werden, um Steuerungswirkung zu entfalten“, sagt Warszewik-König.

Vertrauen entsteht durch Kontinuität

Bei einem Merkmal, das diese veränderten Formen der Zusammenarbeit auszeichnen sollte, sind sich die Vertreter:innen aller drei Ebenen einig. Sie sollten auf Vertrauen beruhen. „Aktuell fehlt noch das Wir-Gefühl“, sagt Dennis Richter aus dem Schulverwaltungsamt Stuttgart. Dieses biete die Grundlage dafür, auch mal Verzögerungen auszuhalten oder zu tolerieren, wenn etwas trotz Bemühungen nicht wie gewünscht funktioniere. 

Dieses Vertrauen könne man jedoch nur langfristig aufbauen, sagt Beata Warszewik-König. „Ein permanenter Wechsel in der Besetzung ist Gift für die Zusammenarbeit. Wir brauchen einen verstetigten Austausch von Personen, die gemeinsame Ziele verfolgen. Das schafft Vertrauen dafür, dass Transformation gelingt“, sagt sie. Diese Kooperation auf der Arbeitsebene dürfe nicht von einer Finanzierung oder politischen Rahmenbedingungen abhängig sein, ergänzt Richter. 

Bündeln sollte sich diese vertrauensvolle Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Zielbild. Die Phrase „einfach mal machen” habe für ihn ausgedient, sagt Schulträger Richter. „Wir müssen wissen, wo wir gemeinsam hinwollen. Und wir müssen die Menschen, die das verantworten, an einen Tisch bringen“, fordert er.

Mit Kooperationsvereinbarungen gemeinsam die digitale Transformation gestalten

Um große Ziele vor Ort in bekömmliche Häppchen zu portionieren, hat das Forum Bildung Digitalisierung gemeinsam mit Akteur:innen aus allen drei Gruppen einen Praxisleitfaden entwickelt. Das zentrale Werkzeug für verbindliche und gleichzeitig flexible Entscheidungsprozesse: Ziel- und Kooperationsvereinbarungen, die die Beteiligten abschließen und verbindlich unterschreiben. Sie sollten Absprachen zur Laufzeit, zu den Rollen und Verantwortlichkeiten und zur Finanzierung enthalten.

Für den Kontext der digitalen Schulentwicklung biete in seiner Region der Medienentwicklungsplan die nötige Orientierung, sagt Dennis Richter. Darin regeln die Schulen, der Schulträger und das Landesmedienzentrum etwa, welche Ziele sie verfolgen und welche Qualifizierungsangebote es dafür braucht. Auch das Schulamt und das Regierungspräsidium als Schulaufsicht hätten sich dort klar positioniert. Allerdings finde kein regelmäßiger Austausch statt, um die erreichten Schritte auszuwerten oder sich bei der Umsetzung zu unterstützen. Die Vereinbarung müsse also auch in der Praxis gelebt werden.  „Papier ist eben geduldig“, sagt Richter. 

In Bremen erprobt man aktuell mit dem „Orientierungsrahmen Schulqualität“ eine neue Form der datenbasierten Zielvereinbarung. Ergebnisse aus Vergleichsarbeiten und andere Daten sollen den Ausgangspunkt für konkrete Ziele bilden, die Schulleitung und Schulaufsicht kooperativ festlegen und kontinuierlich überprüfen. Wichtig ist Beata Warszewik-König, dass diese Vereinbarungen nicht nur die Schulen in die Pflicht nehmen. „Zielleistungsvereinbarungen haben immer einen Duft von ‚die Schule muss leisten‘“, sagt sie. Deswegen misst der Praxisleitfaden auch dem Wording einen großen Stellenwert bei. Wenn mit der bisherigen Bezeichnung negative Assoziationen bei den Beteiligten einhergehen, sollten Zielvereinbarungen im Einzelfall in „Zukunftsvereinbarungen“ umbenannt werden.

Governance Forum BD lädt ein zum Voneinander-Lernen

Am 3. und 4. Dezember 2024 trafen sich Schulleitungen, Schulträger und Schulaufsichten aus ganz Deutschland zum Governance Forum BD in Berlin. Die Veranstaltung bot Raum, um den Ist-Stand auszuloten und Veränderungsprozesse zu initiieren. Im ko-konstruktiven Austausch wurden das gegenseitige Verständnis der beteiligten Akteur:innen aus der Bildungsverwaltung gestärkt, die Kooperation an Schnittstellen zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten gefördert und konkrete Lösungsansätze weiterentwickelt.

Die Beteiligten sehen darin die Möglichkeit zum Perspektivwechsel und zum Voneinander-Lernen. „Im länderübergreifenden Austausch entsteht eine besondere Dynamik, eine Art Gemeinschaft“, sagt etwa Dennis Richter. Gleichzeitig sieht er seine Aufgabe darin, die Impulse aufzunehmen und in seine Institutionen zu tragen. „Das ist keine Einbahnstraße“, sagt er.

Torben Bennink

Torben Bennink studierte Lehramt an Gymnasien an der Universität Osnabrück. Als freier Journalist schreibt er für Table.Briefings und Plan BD über Querschnittsthemen der Bildungspolitik und -forschung, unter anderem Digitale Transformation und Lehrkräftebildung.
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