Impuls
Datenschutz und Bildungsauftrag in der digitalen Welt
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veröffentlicht am 13.02.2020
Lesezeit: 7 Minuten
Schulen brauchen einen sicheren Rechtsrahmen, in dem sie die Chancen digitaler Medien für den Schulalltag ohne Sorge vor möglichen Verletzungen des Datenschutzrechts nutzen können. Datenschutz ist eine Haltungsfrage, weshalb Bemühungen in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften erforderlich sind. Ein Schulbeispiel zeigt außerdem, was Schulen bereits eigenverantwortlich zur Umsetzung der DSGVO leisten können.
Mit der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat der Datenschutz eine neue öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Schulen stehen in der digitalen Welt vor der doppelten Herausforderung, die datenschutzrechtlichen Anforderungen institutionell zu verankern und gleichzeitig Schüler:innen zum Schutz ihrer eigenen Daten anzuleiten. Die öffentliche Aufmerksamkeit trägt dazu bei, sich der Notwendigkeit der Anforderungen zum Schutz persönlicher Daten in Zeiten der Omnipräsenz digitaler Medien bewusst zu werden und eine Sensibilität zur Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Belange zu entwickeln. Neu sind die meisten Anforderungen jedoch nicht. Schlagzeilen über Bußgelder in Rekordhöhe und die Möglichkeit der zivilrechtlichen Haftung lassen Lehrkräfte und Schulleitungen jedoch aufschrecken und verbreiten Unsicherheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen.
Datenschutz ist eine Frage der Haltung
Um Kinder und Jugendliche adäquat auf ein Leben in der digitalen Welt vorzubereiten und dabei ein Verständnis für den Schutz persönlicher Daten zu schaffen, sollten Lehrkräfte Datenschutz nicht als zusätzliche Belastung, sondern als Chance zum Schutz der jeweiligen Privatsphäre verstehen. Dazu ist es erforderlich, im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften an ihrer professionellen pädagogischen Haltung zu arbeiten. Mit der Umsetzung des Datenschutzes als im Grundgesetz festgeschriebenes Recht auf informationelle Selbstbestimmung verschreiben sich Schulen in ihrem Bildungsauftrag sowie Lehrkräfte in der Ausübung ihres Berufs der Wahrung des Grundgesetzes und der Vermittlung demokratischer Werte an nachfolgende Generationen.
Eine Chance im Schutz persönlicher Daten aller an Schule beteiligter Akteursgruppen besteht folglich insbesondere darin, Lernräume für Schüler:innen zu schaffen, in denen sie ihre individuellen Fähigkeiten unter Beachtung der demokratischen Grundrechte entfalten können. Besonders herausgefordert werden Schulleitungen wie Lehrkräfte weiterhin dadurch, dass Informationen zum Schul- und Datenschutzrecht jederzeit im Internet abgerufen werden können und daher Handlungen und Entscheidungen der pädagogischen Fachkräfte schnell infrage gestellt werden können. Neben geeigneten Qualifizierungsmaßnahmen zur Schaffung von Handlungssicherheit sollte der Umgang mit dieser Unsicherheit auch Berücksichtigung in einem zeitgemäßen Rollenverständnis von Lehrkräften finden.
Datenschutz im Schulrecht
Die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen Schulen agieren, gehen weit über den Datenschutz hinaus. Datenschutzrechtliche Belange müssen daher immer mit den Schulgesetzen, Schulordnungen und sonstigen Rechtsordnungen und Verwaltungsvorschriften der Bundesländer in Einklang gebracht werden. In Prüfungsangelegenheiten wird die Verknüpfung zwischen Datenschutz und Schulrecht deutlich. Um den in den Prüfungsordnungen der Länder verankerten Grundsatz der Gleichheit in der Prüfung für alle Schüler:innen umsetzen zu können, bedarf es spezifischer Überlegungen zur Nutzung digitaler Endgeräte in Prüfungssituationen. Allein die Auswahl von pädagogisch sinnvollen und datenschutzkonformen Apps, wie beispielsweise einer App als Ersatz für den grafikfähigen Taschenrechner, ist nicht ausreichend, um den Prüfungsgrundsatz zu gewährleisten. Dazu ist es mindestens noch erforderlich, dass die Internetverbindung für alle Prüfungsteilnehmenden in gleicher Qualität und die Funktionsweise auf allen verwendeten Betriebssystemen gleichermaßen sichergestellt wird.
Neue Lernsettings in Schulen, die durch die Auflösung des Frontalunterrichts und die Einrichtung von selbstorganisierten Lerngruppen in kollaborativen Arbeitsformen ohne ständige Beaufsichtigung durch eine Lehrkraft entstehen, bedürfen ebenso wie die Umsetzung des Konzepts Bring Your Own Device (BYOD) spezifischer Überlegungen zur Umsetzung des Datenschutzes. An diesem Prozess sind alle an Schule beteiligten Akteursgruppen wie Schüler:innen, Eltern und Lehrkräfte zu berücksichtigen. Kollaborative Arbeitsprozesse zur Entwicklung von Nutzungsordnungen können zu einer Umsetzung durch alle Beteiligten im schulischen Alltag beitragen. Ein Schulbeispiel zeigt, was Schulen konkret zur Umsetzung der DSGVO tun können.
Schulbeispiel am BbS Hannover: Anpassung der Schulordnung an die Anforderungen der DSGVO
Die Multi-Media Berufsbildendenden Schulen Hannover (MM BbS) als auf Medienausbildung spezialisierte Schulen haben als Reaktion auf die DSGVO eine umfangreiche Überarbeitung ihrer Schulordnung vorgenommen:
- Eine Nutzungsordnung regelt die Nutzung von schülereigenen mobilen Endgeräten und der schulischen IT-Infrastruktur. Die Schulen setzen das Konzept von BYOD um, wonach alle Schüler:innen eigene Endgeräte zur Nutzung im Schulkontext verwenden. Alle Schüler:innen erhalten außerdem individualisierte Zugänge zum Schulnetz.
- Eine Datenschutzerklärung informiert über die Datenverarbeitung im Zusammenhang mit der Nutzung der Website der Schulen sowie der schulischen IT-Infrastruktur. In ihr ist festgehalten, dass personenbezogene Daten ausschließlich zu Zwecken der Beschulung, der Ausbildung und zu pädagogischen Zwecken genutzt werden. Die Datenschutzerklärung enthält darüber hinaus Informationen darüber, welche Daten verarbeitet werden und welche Software (etwa Moodle Lernplattform oder EDUPLAZA Bildungsplattform) genutzt wird und informiert die von der Datenverarbeitung betroffenen Personen über deren Rechte.
- Für die Dokumentation der Informationserteilung und die Einwilligung in besonderen Fällen wurden Formulare zur Bestätigung der Kenntnisnahme der Nutzungsordnung, der Datenschutzerklärung und ergänzender Hinweise sowie zur (freiwilligen) Einwilligung in die Nutzung von einigen Anwendungen wie Office 365 oder ERP4School, die individuell personenbezogene Daten erfassen oder diese zur Verfügung stellen, hinterlegt.
- Für die Zusammenarbeit mit Partnern, die mit einer Weitergabe von personenbezogenen Daten verbunden ist, wurde ein Formular zur (freiwilligen) Einwilligung in die Weitergabe von personenbezogenen Daten der Schüler:innen an Kooperationspartner, Ausbildungs- und/oder Praktikumsbetriebe entwickelt.
Fortbildungs- und Informationsangebote zum Datenschutz
Schulen benötigen in der digitalen Welt Schulleitungen, die mutig sind, digitale Medien und innovative Methoden pädagogisch reflektiert gemeinsam mit ihrem Kollegium in den Schulalltag einzubinden. Mit dem notwendigen schul- und datenschutzrechtlichen Grundwissen sollten Lehrkräfte bereits in der universitären Ausbildung und im Referendariat eine professionelle pädagogische Haltung einnehmen, die die Wahrung der demokratischen Grundwerte und damit des Datenschutzes als Basis der eigenen pädagogischen Arbeit einschließt. In MecklenburgVorpommern wurden dazu vier Module zum Thema Schulrecht in die Referendariatsausbildung integriert: Grundlagen des Schulrechts, Aufsicht und Haftung, Erziehungsmittel und Ordnungsmaßnahmen sowie Datenschutz, Urheber- und Medienrecht.
In Brandenburg wiederum wird in der Führungskräftequalifizierung ein interaktives e-Learning-Angebot in der schulrechtlichen Qualifizierung eingesetzt, das den Datenschutz als einen Baustein beinhaltet. Entwickelt wurde dieses e-Learning-Modul kollaborativ über eine Autorenplattform. Dadurch konnten einerseits vielfältige Expertisen eingebunden und andererseits sogleich die gewünschte Zielgruppe mit ihren Bedarfen umfassend in den Entwicklungsprozess integriert werden.
Landesdatenschutzbeauftragte und die zuständigen Landesinstitute für die Lehrkräftequalifizierung haben außerdem bereits eine Vielzahl an Musterformularen und Informationsdokumenten für Schulen entwickelt, die auch miteinander ausgetauscht werden. Ein bundesweites Angebot könnte Schulen auf Grundlage der europäischen Gesetzgebung der DSGVO vielfältige Orientierungshilfen bieten, beispielsweise zur grundlegenden Organisation des Datenschutzes in der Schule, zu Informationspflichten oder zu Fragen der Fotoerlaubnis, aber auch der datenschutzrechtlichen Einschätzung von Lernplattformen und Apps. Eine mögliche Anpassung an länderspezifische Besonderheiten kann dann wiederum durch die zuständigen Landesbehörden erfolgen.
Kein e-Learning- oder Blended-Learning-Angebot wird jedoch gewährleisten können, dass jede einzelne Schule datenschutzrechtliche Anforderungen erfolgreich in die Praxis umsetzen kann. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei die schulinterne Lehrkräftefortbildung ein. Um das Fachwissen im Kollegium der Schulen zu verankern und kollaborativ mit allen Interessensgruppen schulspezifische Lösungen erarbeiten zu können, sollten in Fortbildungsangeboten nicht ausschließlich Schulleitungen als Verantwortliche im Sinne der DSGVO adressiert, sondern insbesondere auch Lehrkräfte und Datenschutzbeauftragte als Multiplikator:innen einbezogen werden.
Möglichkeiten der Datenverarbeitung zu Bildungszwecken überdenken
Digitale Medien werden über Lehr- und Lernplattformen, BYOD und Apps zunehmend in den Schulalltag integriert. Der datenschutzkonforme Einsatz digitaler Medien in der Schule sollte dann realisiert werden können, wenn sie dem Bildungsauftrag und dem Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen im 21. Jahrhundert dienen. Es werden bereits einige datenschutzkonforme Lösungen angeboten, jedoch wird nicht alles, was technisch möglich ist, auch rechtlich erlaubt sein.
Behörden und gesetzgebende Organe sollten neu darüber nachdenken, welche Datenverarbeitung Schulen auf Grundlage der DSGVO im Rahmen ihres Bildungsauftrags und der Gestaltung einer modernen kollaborativen Schulorganisation ermöglicht wird. Um digitale Innovationen rechtssicher auch im Schulalltag zu integrieren, bedarf es neben rechtssicheren Angeboten von Lehr- und Lernplattformen bis hin zu Apps für den Fachunterricht bereits Überlegungen, wie Künstliche Intelligenz und Learning Analytics als Zukunftstechnologien datenschutzkonform und gewinnbringend von Schulen genutzt werden können.