Interview
Gabriel Brommer: „Junge Menschen haben unterschiedliche Ansichten über Schule in der Kultur der Digitalität“
von
mit Gabriel Brommer
veröffentlicht am 28.08.2024
Lesezeit: 6 Minuten
Der Waiblinger Schüler Gabriel Brommer (18) setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Positionen von jungen Menschen zur schulischen Transformation Gehör finden. Im Interview spricht er über die Erfolgsfaktoren von gelungenen Partizipationsprojekten im Bildungsbereich – und über seinen Blick auf den Navigator BD.
Der Navigator Bildung Digitalisierung (Navigator BD) wirft erstmals einen thematisch systematisierten Gesamtblick auf den Stand der digitalen Transformation im schulischen Bildungsbereich in Deutschland. Er identifiziert ausgehend von drei strategischen Handlungsfeldern – Haltung zur Kultur der Digitalität, Digital-förderliche Rahmenbedingungen und Digital-didaktische Konzepte und Qualifizierung – 21 relevante Themenfelder, die als übergreifende Indikatoren dienen können, um den Stand der digitalen Transformation systemisch zu erfassen. Mit seinen konzeptionellen Ausarbeitungen und der Zusammenführung vorliegender Studienergebnisse entwirft der Navigator BD ein umfassendes Verständnis digitaler Transformation und skizziert entlang dieser Struktur aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungslücken. Daraus ergeben sich Orientierungsimpulse für zukünftige Entwicklungen und für ein systematisches Bildungsmonitoring der digitalen Transformation.
Der Navigator BD wurde auf Initiative des Forum Bildung Digitalisierung im Zeitraum Juni 2023 bis März 2024 von einem Wissenschaftler:innen-Team unter der Leitung von Prof. Dr. Birgit Eickelmann (Universität Paderborn) und der Ko-Leitung von Prof. Dr. Julia Gerick (Technische Universität Braunschweig) gemeinsam mit Prof. Dr. Uta Hauck-Thum (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) erarbeitet.
Zur Person
Gabriel Brommer (18 Jahre) ist Schüler in Waiblingen in Baden-Württemberg. Er hat bereits ein eigenes Start-up gegründet und engagiert sich für Bildung in der Kultur der Digitalität, zuletzt beim Common Grounds Forum der Gesellschaft für Informatik e. V. und in der Generation BD des Forum Bildung Digitalisierung.
Mit dem Navigator BD wird die Notwendigkeit eines gemeinsamen Verständnisses der digitalen Transformation in Deutschland adressiert. Haben Schüler:innen in Deutschland aus deiner Sicht eine gemeinsame Vorstellung, wie die Transformation von Schule in einer Kultur der Digitalität aussehen könnte? Wenn ja, wie?
Meine Generation ist mit digitalen Geräten aufgewachsen. Insofern haben wir alle ein Bewusstsein dafür, dass sich Schule in der Kultur der Digitalität verändern muss. Wie konkret guter Unterricht in einer Kultur der Digitalität aussehen kann und sollte, wird hingegen auch in meiner Generation kontrovers diskutiert. Hier haben wir eine ganze Bandbreite an verschiedenen Ansichten: Ich zum Beispiel benutze kaum mehr Papier, arbeite fast ausschließlich digital – wobei mir der Austausch mit Menschen nach wie vor wichtig ist. Andere können mit digitalem Arbeiten weniger anfangen, wollen Tablets nicht so viel im Unterricht nutzen. Das hängt natürlich auch mit dem Elternhaus und dem sozioökonomischen Hintergrund zusammen: Manche Familien können sich keine digitalen Geräte leisten, andere wollen aufgrund ihrer Einstellung nicht so viel mit Bildschirmen arbeiten.
Der Navigator BD wurde bei der Konferenz Bildung Digitalisierung 2024 vorgestellt. Dort hast du dich in die anschließende Fishbowl-Diskussion eingeschaltet – mit dem Argument, dass es extrem wichtig sei, auch mit Schüler:innen zu sprechen, wenn es um Fragen der Bildung geht. Passiert das aus deiner Sicht zu wenig?
Es gibt bereits viele Partizipationsformate und Beteiligungsprojekte für Kinder und Jugendliche. Doch oft ist die Reichweite zu gering, viele bekommen diese Angebote gar nicht mit. Vielen jungen Menschen fehlt auch die Bereitschaft, sich zu engagieren – oder sie haben das Gefühl, dass ihr Handeln nichts verändern kann. Das sieht man auch in der aktuellen Jugendstudie der Vodafone Stiftung Deutschland: Nur für 32 Prozent käme ein politisches Engagement infrage, während 63 Prozent dies für sich ausschließen. Auch in meiner Umgebung ist vielen Mitschüler:innen ein soziales oder politisches Engagement extrem fern. Sie sind genug gefordert von den Herausforderungen ihres eigenen Lebens: dem Druck von Social Media, den Abiturprüfungen, ihrem Alltag. Sie haben gar keine Zeit, um sich zu überlegen, wie sie Schule für sich oder für die nachkommenden Generationen besser machen könnten.
Du selbst bist sehr aktiv, zuletzt etwa beim Jugendbeteiligungsprojekt Common Grounds Forum und aktuell in der Generation BD. Was sind aus deiner Sicht die Erfolgsfaktoren für gelungene Partizipation im Bildungsbereich?
Ein wichtiges Fundament für gelungene Beteiligungsprojekte ist die finanzielle und organisatorische Ausstattung. Es muss überhaupt erst möglich gemacht werden, dass junge Menschen aus ganz Deutschland zusammenkommen und sich mit Themen wie Schule in der Kultur der Digitalität auseinandersetzen können. Aus meiner Sicht müssen solche Projekte aber breitere Zielgruppen erreichen. Dafür muss den jungen Menschen klargemacht werden, dass auch sie selbst von ihrem Engagement profitieren können: Einerseits können sie die Welt durch Partizipation und Engagement verändern, andererseits können sie solche Projekte für ihre eigene Weiterentwicklung nutzen. Das ist auch eine meiner Hauptmotivationen.
»Schule sollte ein Ort sein, an dem sich alle wohlfühlen, wo man jeden Tag gerne hingeht. Davon sind wir noch weit entfernt. Es sollte nicht vom Glück abhängen, welcher Lehrkraft man zugewiesen wird, welche Schule man besucht.«
Bei Partizipationsprojekten hat man es mit vielen unterschiedlichen Menschen und Meinungen zu tun. Wie ist es euch beim Common Grounds Forum gelungen, ein gemeinsames Verständnis für die Kultur der Digitalität zu entwickeln?
Gerade beim Common Grounds Forum war unsere Gruppe sehr wild zusammengemischt: Als damals 17-jähriger Schüler war ich der jüngste Teilnehmende, mit mir haben Studierende und Juniorprofessor:innen diskutiert. Alle haben eine extreme Offenheit mitgebracht, sich auf die Perspektiven der anderen einzulassen. Weil wir uns alle proaktiv beworben haben, waren wir alle gewillt, Dinge zu verändern. In den einzelnen Sessions haben wir viele Gemeinsamkeiten festgestellt, aber auch immer wieder Unterschiede. Wir haben einander zugehört, voneinander gelernt, uns manchmal zum ersten Mal mit einem Thema auseinandergesetzt. Neugelerntes haben wir auf unsere eigenen Erfahrungen übertragen. Am Ende des Tages konnten wir uns so auf gemeinsame Standpunkte einigen.
Der Navigator BD stellt fest, dass das Thema Chancengerechtigkeit in vielen Studien – trotz der großen Relevanz – unbehandelt bleibt. Erlebst du einen Digital Divide an deiner oder anderen Schulen?
Da gibt es Riesen-Unterschiede. Wir sind noch weit von Chancengerechtigkeit entfernt. Das wird man nicht von heute auf morgen ändern können. Vieles hat mit den politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Strukturen zu tun: Wenn Familien wenig Geld haben, müssen sie Ausgaben für Miete und Essen priorisieren – und haben weniger Möglichkeiten, digitale Endgeräte zu kaufen. Durch die Digitalisierung werden also ganz neue Ungleichheiten erschaffen. Es wäre Aufgabe der Politik, diese aus dem Weg zu räumen. Auf der anderen Seite waren wir noch nie so vernetzt wie heute: Menschen können sich in virtuellen Welten ganz anders einbringen, vernetzen und gruppieren. Die Digitalisierung bringt also neue Möglichkeiten für junge Menschen, Barrieren aufzubrechen und Chancen zur Vernetzung zu ergreifen.
Haben deine Lehrkräfte ein geteiltes Verständnis von digitaler Transformation?
Es gibt Lehrkräfte, die einen extrem guten Unterricht machen und auch proaktiv Themen wie Digital Wellbeing setzen. Andere tun das gar nicht. Ich bin der Meinung: Schule sollte ein Ort sein, an dem sich alle wohlfühlen, wo man jeden Tag gerne hingeht. Davon sind wir noch weit entfernt. Es sollte nicht vom Glück abhängen, welcher Lehrkraft man zugewiesen wird, welche Schule man besucht. Ein guter Unterricht, in dem man konzentriert lernen kann und die eigene Meinung respektiert wird, sollte selbstverständlich sein. Laut der aktuellen Jugendstudie der Vodafone Stiftung Deutschland empfinden aber nur 51 Prozent das schulische oder universitäre Umfeld als Raum, in dem respektvoll mit freier Meinungsäußerung umgegangen wird. Das finde ich erschreckend wenig. Das muss sich ändern!