Interview

Lab BD: „Wir brauchen die Fähigkeit und Bereitschaft zum Perspektivwechsel“

von Klaus Lüber
mit Christina Beilharz und Martin Fugmann
veröffentlicht am 02.11.2022
Lesezeit: 6 Minuten

Schulleitungen, Schulaufsicht und Schulträger in den Austausch miteinander bringen, um die Transformation des Bildungssystems gemeinsam anzustoßen und digitale Schulentwicklung zu gestalten – das war das Kernziel des LabBD, das am 6. und 7. September 2022 mit einer Abschlussveranstaltung in Berlin endete. Die Prozessbegleiter:innen Christina Beilharz und Martin Fugmann ziehen Bilanz.

Mit dem LabBD bietet das Forum Bildung Digitalisierung einen Dialog- und Experimentierraum an, um den Austausch und die Zusammenarbeit der Akteure zu fördern und auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Im ko-konstruktiven Austausch werden verschiedene Wege der Prozessgestaltung diskutiert und im Zusammenspiel unterschiedlicher Handlungsfelder wie Strategie- und Leitbildentwicklung in der Bildungsregion, Ausstattung und Support oder Qualifizierungsangebote gemeinsame Schnittmengen identifiziert. Ziel des LabBD ist es, unterschiedliche Wege der Prozessgestaltung darzustellen, Impulse für den Dialog vor Ort zu geben und einen inspirierenden bundesweiten Austausch zu ermöglichen. In 2022 fanden zwei Präsenzveranstaltungen mit rund 30 Teilnehmenden aus elf Kommunen statt. Moderiert und inhaltlich begleitet wurde der Prozess von Designed Education.

Foto: Laurin Schmidt / CC BY 4.0

Zur Person

Martin Fugmann begann seine Tätigkeit im Schuldienst als Lehrer für die Fächer Englisch und Musik. Er leitete die German International School Silicon Valley und ist seit 2016 Schulleiter am Evangelisch Stiftischen Gymnasium in Gütersloh. Martin Fugmann ist Leiter der Abteilung Bildung und Digitalisierung bei der Deutschen Akademie für Pädagogische Führungskräfte in Dortmund (DAPF) und ist dort Studienleiter des Zertifikatsstudiengangs Digital Learning Leadership. Er ist Mitglied des Vorstandes bei der Heraeus Bildungsstiftung.

Herr Fugmann, Frau Beilharz, das Projekt LabBD hat es sich zum Ziel gesetzt, Schulleitungen, Schulträger und Schulaufsichten stärker miteinander zu vernetzen. Warum ist das aus Ihrer Sicht notwendig?

Martin Fugmann: Weil die Netzwerke einzelner Akteure selbst nicht mehr ausreichen, echte Veränderung im Bildungssystem anzuschieben. Vielmehr braucht es bildungsregional verabredete Strukturen, in denen Einzelschulen zu Bündnispartnern für die Transformation von Schulen werden. Das hat auch mit der veränderten Rolle von Führungskräften zu tun. Diese werden zunehmend zu „System Players“, die Beiträge leisten, indem sie eigene Entwicklungen nach außen tragen, aber gleichzeitig von innovativen Entwicklungen anderer profitieren. 

Christina Beilharz: Wir brauchen den Austausch mit Blick auf unsere eigentliche Zielgruppe: die Schüler:innen. Was benötigen diese, um zum Beispiel im Bereich Digitalisierung zukunftsfähig zu sein? Diese Frage kann man nur dann gut beantworten, wenn man Schnittmengen zwischen den drei Hauptakteuren schulischer Bildung herstellt. Immer mit dem Ziel, ihr Handeln in den unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen aufeinander abzustimmen. Deutlich wird dann zum Beispiel die paradoxe Trennung in Schüler:innen und Jugendliche, je nachdem, wo die jungen Menschen sich gerade aufhalten: innerhalb oder außerhalb der Schule. Solche Denkmuster gilt es zu überwinden. Eine Vernetzung mit anderen und – wie Martin Fugmann das nennt – in Bildungsregionen verabredete Strukturen erweitern die Handlungsmöglichkeiten, weil das voneinander Lernen stärker im Mittelpunkt steht und der Blick von außen durch andere mehr Ideen ermöglicht.

Welche Herangehensweise haben Sie hierfür gewählt?

Martin Fugmann: Das LabBD hat es sich zum Ziel gesetzt, die Bildungspartner aus Regionen zusammenzubringen und in einen moderierten Dialog zu führen, der für Transformationsprozesse unerlässlich ist. Für die Prozessgestaltung haben wir Denkrahmen herangezogen, die auf transformative Prozesse und damit verbundene Praktiken abzielen: Theorie U bildet einen wichtigen Rahmen, ebenso wie Design Thinking. In der Gestaltung der Prozesse haben wir eine Symbiose aus beiden Rahmungen entwickelt und der Moderation zugrunde gelegt. 

Christina Beilharz: Das Besondere von beiden Praktiken ist es, dass sie ein Denken von der Zukunft her implizieren. Das heißt, es braucht erst ein konkretes Bild davon, was man sich in drei bis fünf Jahren wünscht, um Ideen und konkrete Schritte zu entwickeln, die einen dorthin führen. Die berüchtigte „Schere im Kopf“ oder das typische „Ja, aber…“ werden dabei zunächst ganz zur Seite gestellt. Das hilft, den Denkraum zu öffnen und zu erweitern.

Was waren und sind dabei die größten Herausforderungen?

Martin Fugmann: Die Heterogenität der Gruppen, die unterschiedlichen Entwicklungsstände … 

Christina Beilharz: … und gleichzeitig unser Anspruch, die Arbeitsaufträge in den einzelnen Phasen so zu formulieren, dass sie für alle drei Akteure passen. Hinzu kam eine gewisse Unsicherheit bezüglich unserer Methodik. Wir konnten nicht wirklich vorhersehen, wie die Teilnehmenden auf Design Thinking als Arbeitsrahmen reagieren. Interessant war für uns zu beobachten, dass der Arbeitsbereich der einzelnen Teilnehmenden während der Module kaum eine Rolle spielte, dies von den meisten – gerade den Vertreter:innen der Schulaufsichten – aber als sehr positiv wahrgenommen wurde. Sie konnten ihre persönliche Sicht auf die Sache, so die Rückmeldung, dabei noch besser in den Prozess einbringen und nicht nur die Sicht aus ihrer Rolle.

Foto: Laurin Schmidt / CC BY 4.0

Zur Person

Christina Beilharz begann ihre Tätigkeit im Schuldienst als Lehrerin für Geschichte, Deutsch und Kunst. Sie ist seit Jahren zu Themen rund um eine veränderte Lernkultur, zu Digitalisierung und Feldern der Schulentwicklung in unterschiedlichen Kontexten in der Fortbildung tätig – unter anderem für die Deutsche Schulakademie – und moderierte diverse schulische Entwicklungsprojekte. Drei Jahre war sie in der Schulaufsicht in Baden-Württemberg. 2022 übernahm Beilharz die Schulleitung der neu gegründeten Montessori-Gemeinschaftsschule in Offenburg.

Um die Kommunikation unter den Teilnehmenden zu fördern, kamen auch Elemente aus dem Improvisationstheater zum Einsatz. Wie gut hat das funktioniert?

Martin Fugmann: Die Gruppe hat sich hervorragend darauf eingelassen und erfahren, dass die Einbeziehung des künstlerischen Elementes Selbstreflexion beflügelt und damit wichtige Beiträge zur Öffnung des Denk- und Ideenraumes leistet. Dies war eine wichtige Voraussetzung für das Entwickeln von Ideen und Prototypen zur Gestaltung digitaler Lernwelten.

Christina Beilharz: Dem kann ich mich nur anschließen. Durch eine langsame Hinführung über verschiedene Übungen entstanden kleine Improvisationen, welche die Bedürfnisse und das daraus resultierende Handeln der Stakeholder rund um die Thematik etwas überzeichneten, jedoch dadurch die Gründe für das typische Handeln in der jeweiligen Situation verdeutlichten. Besonders auffällig war die Entwicklung zwischen den beiden Modulen: Die Szenen im ersten Teil waren noch stark problemorientiert, während sie im zweiten Teil positiver und lösungsorientierter waren. Sie hatten alle viel stärker das Kind und die Pädagogik im Fokus.

Wie kann es gelingen, die im besonderen Rahmen des Labs gemachten Erfahrungen auch in den Berufsalltag zu transferieren?

Christina Beilharz: Kern der Design-Thinking-Methode ist es, die Bedürfnisse der Zielgruppe in den Fokus zu nehmen. Zum Beispiel durch das Erstellen einer Persona. Dazu zählt auch das Führen von Tiefeninterviews, welche die Teilnehmenden im Rahmen von Spaziergängen absolvierten. Dies ließe sich ohne Probleme auch auf den beruflichen Alltag übertragen. Etwa, indem man Gespräche statt im Büro draußen in Bewegung führt. Auch kreative Möglichkeiten wie Sketchnoting, also das Erfassen von Arbeitsergebnissen in Bildern, könnten genutzt werden: in Konferenzen, bei Klausurtagungen oder pädagogischen Events, um  Ideen greifbarer und anschaulicher festhalten und anderen vorstellen zu können.

Welche Tipps haben Sie für Schulaufsichten, Schulträger und Schulleitungen?

Martin Fugmann: Ganz zentral sind meines Erachtens die Fähigkeit und Bereitschaft zum Perspektivwechsel. Sonst gelingt es nicht, diejenigen Kolleg:innen mitzunehmen, die schon länger im System sind und auf deren Erfahrungen wir nicht verzichten können. Was auch hilft: Die Situation sorgfältig und nicht zu schnell analysieren und dabei nie den Fehler machen, Technologieentwicklung isoliert zu betrachten, sondern immer bestrebt sein, den gesamtgesellschaftlichen Impact im Blick zu behalten. Und nicht zuletzt: Enthusiasmus, Begeisterung, Ernsthaftigkeit vorleben.

Klaus Lüber

Klaus Lüber studierte Kulturwissenschaft, Publizistik und Philosophie in Berlin und München. Als freier Redakteur und Autor arbeitet er unter anderem für den F.A.Z.-Verlag, die Volkswagenstiftung und den Thinktank iRights.Lab. Zu seinen Lieblingsthemen zählen Innovation, Digitalisierung und Bildung. Er lebt und arbeitet in Berlin.

https://www.klauslueber.de/