Gastbeitrag

Lehrkräftefortbildungen in der digital geprägten Welt – lebensbegleitend, systematisch und vernetzt

von Bettina Waffner
veröffentlicht am 03.02.2022
Lesezeit: 9 Minuten

Die Lehrkräftefortbildung ist für das Gelingen der digitalen Transformation der Schulen ein entscheidendes Scharnier zwischen vorhandener Technik und ihrer lernförderlichen Nutzung im (Fern-)Unterricht. Wie Fortbildungskonzepte aussehen, die kollaborativ und wirksam die Gestaltung und Verbesserung von Unterricht fördern, zeigt ein Blick in die internationale Forschung.

An deutschen Schulen wird gerade unter Hochdruck die digitale Infrastruktur ausgebaut, um eine überfällige und notwendige Voraussetzung für das Lehren und Lernen in der digitalen Welt zu schaffen. Viele Lehrkräfte fühlen sich aber noch verunsichert und allein gelassen bei der Frage, welche Möglichkeiten und Methoden es zur konkreten Ausgestaltung des Unterrichts mit digitalen Medien gibt –  und wünschen sich hier gezielte Unterstützungsangebote. Es braucht Orientierungsangebote und eine organisierte Form der Zusammenarbeit, bei der digital gestützter Unterricht technisch und pädagogisch-didaktisch realisiert wird. Im Rahmen grundlegend veränderter Fortbildungskonzepte kann diese Leerstelle gefüllt werden.

Innovation braucht Veränderung

Häufig wird digitalen Medien zugesprochen, sie würden das Lernen revolutionieren (dazu etwa Dräger & Müller-Eiselt 2015). Hier lohnt ein genauerer Blick, denn die Bereitstellung digitaler Medien und einer geeigneten digitalen Infrastruktur allein, die mit Lehrkräftefortbildungen zu deren Bedienung verbunden wird, sind kein Garant dafür, dass damit eine Veränderung der Unterrichtspraxis einhergeht (Kerres & Waffner 2019). Technologische Innovation muss Hand in Hand mit pädagogischer Innovation gehen, um das Lehren und Lernen nachhaltig zu verändern. Nur auf diese Weise wird sie unserer zunehmend digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt Rechnung tragen. Der Blick in die aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass wir uns noch bedenklich nahe an der Vorstellung entlang bewegen, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschte. Die Vision sah damals so aus: In der Schule des neuen Millenniums, also der Schule, wie wir sie heute vorfinden, würde es eine Maschine geben, in der die Lehrkraft geeignetes Wissen sammelt, das über Kabel und Kopfhörer in die Köpfe der Kinder gelangt. Die trügerische Verheißung der Vision lautet, dass sich Schule und Unterricht nicht verändern müssten, – die Technik allein minimiere den Aufwand und sichere den Lernerfolg.

Den Blick weiten: Lerninnovationen ermöglichen

In der empirischen Unterrichtsforschung kann festgestellt werden, dass digitale Medien in erster Linie als Präsentationsmedium und Ersatz für traditionelle Medien genutzt werden: „Der Computer als Lexikonersatz, das Tablet als Arbeitsplatzersatz und das Smartboard als Tafelersatz.“ (Zierer 2015; dazu auch Rana et al. 2018). Fortbildungen sollten daher zuallererst Möglichkeiten aufzeigen, digital gestützte Lerninnovationen zu entwickeln, zu erproben und dahingehend zu reflektieren, inwieweit sie ein pädagogisches Ziel erreichen. Systematische Fortbildungen, die über das Erlernen der Bedienung der Technik hinausgehen, sind daher nötig. Mit Blick auf die aktuelle Forschungsdiskussion zu Kompetenzen von Lehrkräften lässt sich festhalten, dass eine Verschiebung von einem technischen zu einem stärker pädagogischen Fokus erforderlich ist (Kerres 2020).

Vom Bedienen zum Unterrichten mit Medien

Lehrkräften können in der Mehrheit moderate bis gute technische Kompetenzen bescheinigt werden und auch selbst fühlen sie sich häufig sicher in der Bedienung digitaler Geräte, insbesondere des Smartphones (Mesfin et al. 2018; Mtebe & Raphael 2018; Muhaimin et al. 2019; Reichert & Mouza 2018; Yildiz 2018). Gleichwohl sind Kenntnisse über den fachdidaktischen Einsatz digitaler Medien dabei recht selten oder nur in Ansätzen vorhanden (Palkowitsch-Kühl 2018).

Seit jeher werden Lehrkräfte darin ausgebildet, inhaltliches Fachwissen und pädagogisches Wissen miteinander zu verknüpfen. An dieser Schnittstelle liegt ihr Können in der Vermittlung eines bestimmten Themengebiets. Das ist das fachdidaktische Wissen. In einer zunehmend digitalisierten Welt müssen die beiden Elemente Fachwissen (content knowledge) und pädagogisches Wissen (pedagogical knowledge) um ein weiteres Wissenselement erweitert werden: das technologische Wissen (technological knowledge). Dieses zielt darauf ab, Fähigkeiten und Fertigkeiten darüber zu erlangen, wie digitale Medien funktionieren und wie sie sich für Lernprozesse einsetzen lassen (Mishra & Köhler 2006). Das sogenannte TPACK-Modell veranschaulicht diese drei Wissenselemente und deren Überschneidungen:

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:TPACK-new.png

Fachwissen, Technik und Methode verknüpfen

Insgesamt wird in Forschungsstudien wenig überraschend festgestellt, dass die fachlichen und pädagogischen Kompetenzen von Lehrkräften stärker ausgebildet sind als die technologischen Kompetenzen. Wie erfolgreich allerdings digitale Medien für Lerninnovationen eingesetzt werden und eine Veränderung der Unterrichtspraxis erfolgt, hängt maßgeblich von pädagogischen und eben nicht von den technologischen Fähigkeiten der Lehrkräfte ab. Das stützt auch die These, dass das Potenzial digitaler Medien im Unterricht für zeitgemäße Lernformate in einer Verknüpfung aller drei Dimensionen liegt.

In der Tat stellt diese Verzahnung eine sehr herausfordernde und anspruchsvolle Aufgabe für Lehrkräfte dar, da weder durch die erste und zweite Phase der Lehrkräftebildung noch aus der eigenen Schulerfahrung bekannt ist, wie Lernprozesse digital gestützt angeregt und begleitet werden können. Als hilfreich erweist es sich in diesem Fall, wenn zunächst praxisnahe Hilfestellungen in Form von Anleitungen, Denkanstößen und ausgearbeiteten Unterrichtskonzepten Lehrkräften an die Hand gegeben werden, sodass sie sich am Beginn des Weges daran orientieren und erst nach und nach davon auch wieder lösen und ihre eigenen Wege gehen können. Dieses Vorgehen kann einen signifikanten Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben und die berufliche Identität einer Lehrkraft erheblich stärken. Die Verbindung von fachlichem, pädagogischem und technologischem Wissen ist ein individueller Prozess des „TPACKing“ (Olofson, Swallow & Meredith 2016), der insbesondere durch Interaktionen im Klassenraum und durch die technische Umgebung beeinflusst wird.

Fort- und Weiterbildungsangebote an die Bedarfe anpassen

Derzeit werden die mehrheitlich hochspezialisierten Fortbildungsprogramme von Lehrkräften als wenig praxisnah und transferorientiert wahrgenommen (Ludewig et al. 2013) und bieten damit in den Augen der Lehrkräfte manchmal kaum einen großen Mehrwert. Sie würden an ihren Bedarfen vorbeigehen, die eher auf der Vermittlung medientechnischer und pädagogischer Grundlagen lägen (Hankmann 2014). Zudem beruhen die Angebote häufig auf Konzepten medienpädagogischer Kompetenz und liefern damit keine Antwort auf die Frage, wie sich Lehrkräfte berufsbegleitend fortbilden, guten Unterricht gestalten und sich so in ihrer Professionalität weiterentwickeln können. (Schrammel 2010). Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, Fort- und Weiterbildungsangebote sowohl konzeptionell als auch inhaltlich zu überdenken. 

»Nicht digitale Medien sind es, die das Lernen revolutionieren, sondern Lehrkräfte, die entsprechend ihrer Profession digitale Medien für pädagogische Ziele einsetzen.«

Bettina Waffner

Langfristig angelegt, prozessbegleitend und Vernetzung fördernd – Fortbildungen in der digital geprägten Welt

Um pädagogische und methodisch-didaktische Veränderungen in der digital gestützten Unterrichtspraxis nachhaltig zu ermöglichen, sind Angebote notwendig, die auf einem Dreischritt beruhen.

  1. Technik und Didaktik verzahnen: In der Lernphase stehen technische und pädagogisch-didaktische Inhalte, in der Lehrkräfte als Lernende auf verschiedenen Wegen ihr Wissen erweitern,  im Vordergrund. Das kann in Form klassischer Fortbildungsangebote in Präsenz stattfinden, aber auch digital gestützte Angebote, beispielsweise über ein MOOC-Tool, wären denkbar. Eine weitere Möglichkeit wäre die Vermittlung von Wissensinhalten in einer kompakten Präsenzphase wie in einer Art Summer School während der Ferien. 
  2. Konkreten Unterricht gestalten: In der Konzeptionsphase treten Lehrkräfte als Designer in Erscheinung und konzipieren auf der Basis des neu erworbenen Wissens Unterrichtskonzepte, in die ihre gesamten Erfahrungen ihrer beruflichen Praxis einfließen. Auch hier sind unterschiedliche Formate denkbar. Idealerweise werden Unterrichtskonzepte in einer kleineren Gruppe von Lehrkräften gemeinsam entwickelt, indem man an einem Ort zu einer bestimmten Zeit zusammenkommt oder aber es werden digitale Tools eingesetzt, um eine größere zeitliche und räumliche Flexibilität zu ermöglichen. Sinnvoll sind kollaborative Arbeitsformen, die eine intensive Kommunikation und Interaktion innerhalb einer kleineren Gruppe von Lehrkräften erfordert. Im Rahmen einer größeren, vielleicht auch stärker heterogenen Gruppe, die zum Beispiel aus Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen und Berufserfahrung besteht, werden die Konzepte vorgestellt und diskutiert. Auf diese Weise können Anregungen zur Verbesserung eingebaut werden. 
  3. Gemeinsam Austauschen, Reflektieren und Verbessern: In der dritten Phase des Fortbildungsangebots werden die Unterrichtskonzepte im Klassenraum erprobt. Dabei können auch Hospitationen der Lehrkräfte erfolgen, die in der Kleingruppe am Konzept mitgearbeitet haben. Das kann beispielsweise auch via Videosequenzen erfolgen (Kali et al. 2018). Gemäß dem Dewey’schen Grundsatz „We do not learn from experience […] we learn from reflecting on experience“ (Dewey 1933) braucht es in dieser Implementierungsphase die Reflexion der Unterrichtspraxis, um einen nachhaltigen und pädagogisch sinnvollen Transfer von Innovation zu gewährleisten (Tsouccas & Meletiou-Mavrotheris 2019).

Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Albion et al. 2015

Medienintegration in die Unterrichtspraxis ist komplex – ein Modell

Ein Modell für erfolgreiche Medienintegration, das der digital geprägten Welt in besonderer Weise Rechnung trägt, beginnt an der Stelle, an der die öffentliche Diskussion häufig endet (Albion et al. 2015). Wenn grundlegende Bedingungen für das Arbeiten mit digitalen Medien wie technische Ausstattung, digitale Infrastruktur, zeitliche Ressourcen für pädagogische Fachkräfte und finanzielle Ressourcen für Schulen sowie ein technischer und administrativer Support vorhanden sind, braucht es zur Entwicklung innovativer, digital gestützter Lernformate drei zentrale Säulen. Diese drei Säulen sind für die Konzeption von Fort- und Weiterbildungen von entscheidender Bedeutung:

  1. Technik-induzierte Entwicklungen verändern Wege der Wissensgenerierung und der Wissensvermittlung ebenso wie Möglichkeiten der Kommunikation und Zusammenarbeit. Das ist nicht nur für Schüler:innen relevant, sondern spielt auch eine wichtige Rolle für den Lernprozess von Lehrkräften. Eine besondere Bedeutung für die Schule in einer digitalen Welt ist also eine diskursive Auseinandersetzung darüber, welche Gestaltungsoptionen darin liegen. 
  2.  „Das Wissen ist nicht mehr in, sondern zwischen den Köpfen“ (Weinberger 2013). Aus diesem Grund wird der Austausch von Erfahrungen in Netzwerken zunehmend wichtiger. Zeitgemäße Fort- und Weiterbildung muss diesem Aspekt Rechnung tragen und Netzwerke und Community Building befördern und stärken. 
  3. Ein dritter Aspekt fokussiert die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Forschungsansatzes, der eine enge Kooperation zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis ermöglicht. Die gestaltungsorientierte Bildungsforschung und ihre Wissenskommunikation bietet sich an dieser Stelle an, denn sie trägt gleichermaßen zu Theorie- und Erkenntnisbildung innerhalb der Wissenschaft wie auch zur Problemlösung in den Feldern der Bildungspraxis und Bildungspolitik bei.

Nicht digitale Medien sind es, die das Lernen revolutionieren, sondern Lehrkräfte, die entsprechend ihrer Profession digitale Medien für pädagogische Ziele einsetzen. Neben den Gelingensbedingungen für den digitalen Wandel an Schulen sind daher vor allem die individuellen Haltungen und Fähigkeiten jeder Lehrkraft ausschlaggebend für die Art der Mediennutzung im Unterricht. Zeitgemäße Fortbildungen können hier ansetzen, um die vielfältigen didaktischen Möglichkeiten digitaler Medien unterrichtsnah aufzuzeigen und zugleich einen Rahmen für die kollaborative Zusammenarbeit an innovativen Unterrichtskonzepten zu schaffen.

Bettina Waffner

Bettina Waffner koordinierte bis Dezember 2021 am Learning Lab der Universität Duisburg-Essen das BMBF-Metavorhaben Digitalisierung in der Bildung. In jährlichen Critical Reviews erarbeitete sie dazu den aktuellen Forschungsstand zu zentralen Bereichen des Lernens in der Schule unter den Bedingungen der Digitalität. Das Thema Schulentwicklung betrachtete sie aus der Perspektive einer gestaltungsorientierten Bildungsforschung mit dem Anliegen, Schule als Organisation zeitgemäß zu gestalten und den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. Seit Januar 2022 ist sie als Leiterin des Bereichs Landesverbandliche Arbeit im Servicezentrum der Berliner Volkshochschulen tätig.

https://digi-ebf.de/

Literatur