Impuls
Schüler:innen-Teilhabe: Wie gelingt erfolgreiche Partizipation?
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veröffentlicht am 19.03.2025
Lesezeit: 9 Minuten
Schüler:innen können das Bildungssystem erstaunlich wenig mitgestalten. Mehrere Initiativen aus ganz Deutschland wollen das ändern – und forcieren die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei schulischen Entwicklungsprojekten. Was sind die Gelingensbedingungen erfolgreicher Partizipation von Schüler:innen?
Reformen im schulischen Bildungssystem werden normalerweise von Erwachsenen angestoßen: von Bildungspolitiker:innen und Gewerkschafter:innen, von Schulleitungen und der Bildungsverwaltung. Diejenigen, die vom Bildungs- und Lebensraum Schule am Ende profitieren sollen, werden erstaunlich selten nach ihrer Meinung gefragt: die Schüler:innen selbst. Mit der Generation BD verleiht das Forum Bildung Digitalisierung den Stimmen von Schüler:innen Gewicht im bildungspolitischen Diskurs (siehe Kasten).
Anlässlich der Veröffentlichung des Impulspapiers der Generation BD haben wir mit Expert:innen aus der Praxis gesprochen, die Partizipationsprojekte initiierten und durchführten: Die Beteiligungspsychologin Marina Weisband hat vor über zehn Jahren die Mitbestimmungsplattform aula gegründet, mit deren Hilfe Schüler:innen gemeinsam entscheiden können, was an ihrer Schule passiert (siehe Kasten). Arne-Christoph Halle hat als Senior Project Manager im Programm „Bildung und Next Generation“ bei der Bertelsmann Stiftung Erfahrungen mit unterschiedlichen Partizipationsprojekten gesammelt – in Zusammenarbeit mit dem JugendExpert:innenTeam und den Zukunftskonferenzen von und für junge Menschen.
Nicht zuletzt wollen wir aber auch die Erfahrungen der Generation BD teilen: Wie haben die teilnehmenden Schüler:innen das Projekt erlebt? Welche Erfahrungen hat das Projektteam des Forum Bildung Digitalisierung gesammelt? Sie alle gemeinsam können die Frage beantworten, was die Gelingensbedingungen für erfolgreiche Partizipationsprojekte sind – und welche Fehler man tunlichst vermeiden sollte.
Warum sind Partizipationsprojekte so wichtig?
Für Marina Weisband und Arne-Christoph Halle ist Schule der optimale Ort, um erste Partizipationserfahrungen zu machen und Demokratie zu lernen. „In Kitas und Schulen kommen alle Kinder und Jugendlichen zusammen“, sagt Halle, „hier sollten alle Mitbestimmung und Partizipation erleben und demokratische Kompetenzen erwerben können.“ Mitbestimmung über die Schulentwicklung passiert bereits in der Schüler:innenvertretung (SV), die in Deutschland gesetzlich verankert ist. Warum sind zusätzliche Partizipationsprojekte für die schulische Transformation nötig, wenn es doch bereits die SV gibt? Weisband erinnert daran, dass sich nur ein geringer Anteil der Schüler:innen in der SV engagiert: „Nur jedes dreißigste Kind macht im besten Fall die Erfahrung der Teilhabe.“ Auch die Auswahl sei meist nicht zufällig. „Schüler:innen, die sich dafür bewerben, wurden bereits zu Hause dahingehend sozialisiert“, so Weisband weiter. Aus diesen Gründen sei es wichtig, auch andere Möglichkeiten der Teilhabe zu schaffen, um möglichst vielen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu bescheren und so zum Demokratielernen beizutragen.
Um möglichst viele junge Menschen mit dem demokratischen Geist anzustecken, seien niedrigschwellige Partizipationsangebote wichtig, die erste Teilhabeerfahrungen ermöglichen, auch ohne verbindliche Ämter annehmen zu müssen. Halle bringt Formate wie die Kinder- und Jugendkonferenzen der Bertelsmann Stiftung ins Spiel, die von und für junge Menschen gestaltet werden. Im Rahmen dieser eintägigen Veranstaltungen – wie etwa der Zukunftskonferenz in Eisenach – haben Kinder und Jugendliche einen Tag lang die Möglichkeit, sich auszutauschen, ihre Bedarfe zu verhandeln und diese am Ende des Tages mit Politik zu diskutieren. Hierfür ist erstmal kein verbindliches, langfristiges Engagement nötig. Stattdessen können Jugendliche erste Teilhabeerfahrungen sammeln, die Lust auf mehr machen können.
Damit derlei Konferenzen, aber auch Beteiligungsprojekte wie die Generation BD, bekannt werden, müssen Jugendliche auf den richtigen Kanälen erreicht werden – in einer nahbaren Sprache, die sie erreicht und motiviert. Weisband stellt hier häufig Unpassungen fest: „Junge Menschen erfahren in den von ihnen konsumierten Medien nichts von diesen Angeboten.“
Worauf muss man bei der Konzeption von Partizipationsprojekten achten?
Bevor sich Kinder und Jugendliche an die Arbeit machen können, um gemeinsam Forderungen zu entwickeln, müssen auch die Rahmenbedingungen des jeweiligen Beteiligungsprojekts festgezurrt werden. An welchen konkreten Fragestellungen sollen die beteiligten Kinder und Jugendlichen arbeiten? In welchem Rahmen soll der Austausch stattfinden – und welche Rolle haben Erwachsene darin? Was sind die Ziele des Projekts – und was soll mit den Ergebnissen am Ende passieren?
Halle plädiert dafür, Kinder und Jugendliche von Anfang an in die Konzeption von Beteiligungsprojekten miteinzubeziehen: „Damit die Motivation aufrechterhalten bleibt, dürfen die Perspektiven und Interessen der beteiligten Kinder und Jugendlichen auch im weiteren Prozess nicht aus dem Blick geraten.“ Nicht die Ziele, Wünsche und Ideen der Projektverantwortlichen dürften im Fokus stehen, sondern der Blickwinkel und die Interessen der Kinder und Jugendlichen.
»Keinesfalls dürfen Erwartungen in den Raum gestellt werden, die am Ende nicht erreicht werden können. Hier müssen die Projektverantwortlichen und Initiator:innen stets transparent sein.«
Das Programm „Bildung und Next Generation“ der Bertelsmann Stiftung arbeitet zu den Themen Bildung und Kinderarmut mit dem sogenannten JugendExpert:innenTeam (JEx-Team) zusammen: Die heterogen zusammengesetzte Gruppe aus Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 20 Jahren stammt aus ganz Deutschland. Die Jugendlichen beraten bei der Konzeption, Umsetzung und Kommunikation der Beteiligungsprojekte – den Peer-to-Peer-Jugendkonferenzen oder auch den Jugendbefragungen.
Laut Halle ist es außerdem wichtig, von Beginn an die Erwartungen aller Beteiligten abzugleichen und transparent mit Projektzielen umzugehen. „Die Ziele müssen realistisch sein“, sagt er. „Keinesfalls dürfen Erwartungen in den Raum gestellt werden, die am Ende nicht erreicht werden können. Hier müssen die Projektverantwortlichen und Initiator:innen stets transparent sein.“
Was tun, damit die Ergebnisse der Jugendlichen auch Gehör finden und Wirksamkeit entfalten können? Weisband empfiehlt, Einzelpersonen aus der Politik von Anfang an mit ins Boot zu holen, um Verbindlichkeit zu erzielen und auch die Presse zu informieren: „Wenn man öffentlich macht, dass ein Beteiligungsprozess stattfindet, ist es viel schwieriger für Politik, sich diesem zu entziehen.“ Auch die Rolle der erwachsenen Begleitpersonen sollte vor Projektauftakt klar definiert werden. „Wenn man mit Jugendlichen arbeitet, die Beteiligung nicht gewohnt sind, ist die Rolle von Erwachsenen besonders wichtig“, so Weisband.
»Wenn man öffentlich macht, dass ein Beteiligungsprozess stattfindet, ist es viel schwieriger für Politik, sich diesem zu entziehen.«
Auch die Wahl einer geeigneten Person für die Moderation ist für das Gelingen von Beteiligungsprojekten zentral – insbesondere, wenn man mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, die bislang wenig Möglichkeiten hatten, sich politisch oder gesellschaftlich einzubringen. Kompetente Moderator:innen sorgen dafür, dass alle Teilnehmenden Gehör finden, und helfen dabei, Ideen zu strukturieren und Kompromisse zu erzielen.
Was sind die wichtigsten Learnings der Projektverantwortlichen der Generation BD?
Das Beteiligungsprojekt Generation BD wurde von Ari Henjes-Kunst, Philipp Schulz und Kristin Braband aus dem Team des Forum Bildung Digitalisierung initiiert und begleitet. „Für mich bedeutet Beteiligung, selbst zum aktiv Handelnden und Gestaltenden zu werden“, so Schulz. Aus seiner Sicht sei es gelungen, die teilnehmenden Jugendlichen dazu anzuleiten, selbstwirksam zu werden und den eigenen Weg zu finden. Zugleich habe man festgestellt, dass Teilhabe klare Strukturen benötige und die Teilnehmenden geleitet werden müssten. In den Arbeitsphasen habe man eine recht hohe Selbstorganisation der Gruppe vorausgesetzt. „Eines unserer wichtigsten Learnings: Man muss im Prozess stets leitend an der Seite stehen“, resümiert Schulz.
In der Vorbereitung des Projekts Generation BD habe man stark vom Austausch mit anderen Organisationen profitiert, die bereits Erfahrung mit Beteiligungsprojekten mitbringen – vom Common Grounds Forum (CGF) bis zur Bertelsmann Stiftung. Von der passenden Ansprache der Bewerber:innen bis zur Wahl des richtigen Kanals, um Jugendliche zu erreichen, habe es viele Themen für den Austausch gegeben. Ein besonders wichtiges Learning: Nur wenn die Projektverantwortlichen Jugendliche in ihrem Handeln bestärken und ihnen Vertrauen schenken, können Beteiligungsprojekte erfolgreich sein.
Nicht unterschätzen sollte man außerdem den Grad der Eingebundenheit von Schüler:innen in den Schulalltag. „Schüler:innen verfügen über sehr beschränkte Zeitfenster und über wenig Flexibilität“, sagt Braband. So bräuchten sie etwa eine Freistellung von der Schule, wenn sie während der Unterrichtszeiten an Projekten teilnehmen wollen.
Was sind die wichtigsten Learnings der Teilnehmenden der Generation BD?
Mats, 17 Jahre und Schüler aus Nordrhein-Westfalen, hat an der Generation BD teilgenommen. Er sagt: „Für mich war das Projekt auf allen Ebenen ein Erfolg.“ Nicht nur nehme er persönliche Kontakte zu anderen Schüler:innen, Schulleitungen, Lehrkräften, Politiker:innen und Expert:innen aus allen Bundesländern mit, er konnte auch bereits auf lokaler Ebene Veränderungen erzielen. „Ich habe unsere Erkenntnisse aus der Generation BD in meine Schule eingebracht und mit meiner Schulleiterin diskutiert“, erzählt Mats. Zugleich habe er gelernt, wie kompliziert Veränderungen im Schulsystem sein können – etwa wegen der Datenschutz-Thematik – und daher mehr Verständnis für die Komplexität politischer Arbeit erhalten.
»Kompromisse in der Gruppe zu finden, war nicht immer leicht – schließlich bringt jede:r eine eigene Meinung mit. Dass wir uns am Ende geeinigt haben, war ein umso größeres Erfolgserlebnis.«
Auch die 16-jährige Neele aus Hessen hat sich in der Generation BD engagiert. Sie beobachtet an sich, dass sie seit der Teilnahme politische und gesellschaftliche Entwicklungen ganz anders verfolge: „Ich sehe mich ganz anders in der Verantwortung, weil ich gelernt habe, dass ich etwas bewegen kann.“ Auch der kreative Prozess der Ideenfindung und Positionierung der Gruppe sei für sie wertvoll gewesen. „Ich habe gelernt, meine Gedanken schweifen zu lassen und auch mal abstruse Dinge zu denken“, erzählt Neele. Ähnlich erging es Phoebe, 15 Jahre, aus Baden-Württemberg: „Kompromisse in der Gruppe zu finden, war nicht immer leicht – schließlich bringt jede:r eine eigene Meinung mit. Dass wir uns am Ende geeinigt haben, war ein umso größeres Erfolgserlebnis.“
Generation BD
Das Forum Bildung Digitalisierung hat gemeinsam mit der Deutsche Telekom Stiftung das Projekt Generation BD initiiert: Das Beteiligungsprojekt gibt Schüler:innen eine Bühne, um ihre Perspektiven aufzuzeigen und diese aktiv in den bildungspolitischen Diskurs einzubringen. Im Rahmen des Projekts, welches Anfang 2024 gestartet ist, entwickelten 15 Schüler:innen aus ganz Deutschland konkrete Positionen und Handlungsempfehlungen für die schulische Transformation.
aula
Das Beteiligungskonzept aula, das vor zehn Jahren von Marina Weisband gegründet wurde, soll Schüler:innen aktive Mitbeteiligung im Schulalltag ermöglichen. Das Akronym aula steht für „ausdiskutieren und live abstimmen“. Von den Toiletten bis zur Hausordnung können Schüler:innen auf einer Plattform Verbesserungsvorschläge einreichen, diskutieren, weiterentwickeln und darüber abstimmen. Die Schulkonferenz verpflichtet sich im Vorfeld dazu, die Ideen der Jugendlichen mitzutragen, solange sie einen bestimmten Rahmen nicht verlassen.
Programm „Bildung und Next Generation“
Das Programm “Bildung und Next Generation” der Bertelsmann Stiftung umfasst verschiedene Projekte, die den Einfluss und die Mitspracherechte von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erhöhen sollen, um die Gesellschaft und ihre eigene Zukunft aktiv mitzugestalten. Dazu zählen die Kinder- und Jugendkonferenzen der Bertelsmann Stiftung. Zentrale Grundlagen für gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen sind eine gute Bildung sowie Rahmenbedingungen, die Mitgestaltung und Beteiligung auf Augenhöhe ermöglichen.