Gastbeitrag

Agile Medienentwicklung für zeitgemäße digitale Bildung

von Richard Heinen
veröffentlicht am 09.09.2021
Lesezeit: 8 Minuten

Die digitale Schulentwicklung ist für viele Schulen und Schulträger kein leichter Prozess. Sie ist hochkomplex, bedarf der Zuarbeit vieler Akteure und bleibt oft starr und ungewiss, ob der stetigen Neuerungen. Mit dem Prinzip der agilen Medienentwicklung und dem Willen zur aktiven Kooperation könnte sich die Unterrichtsqualität dynamisch und stetig entwickeln sowie einheitliche Prozesse geschaffen und gemeinschaftlich gelernt werden.

Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass vieles bei der Digitalisierung an deutschen Schulen noch nicht so rund läuft, wie man es sich wünscht. Der zögerliche Abfluss der Mittel aus dem DigitalPakt Schule ist dabei nur ein Indikator, der jedoch zeigt, dass der Schulträger in seiner Rolle hinsichtlich der äußeren Schulangelegenheiten, und damit für die Verantwortung bei der Beantragung dieser Mittel, gerne unterschätzt wird und der in der öffentlichen Debatte mehr Beachtung bedarf.

Mit dem Begriff der agilen Medienentwicklung wird dem bisherigen Zusammenspiel von Schulen und Schulträger bewusst ein Modell entgegengestellt, das dem Schulträger hilft, die ihm zugewiesenen Aufgaben besser zu erfüllen, und wichtige Impulse für die digitale Schulentwicklung setzt.

Das Akteursdreieck aus Schulträger, Schule und Schulaufsicht erschwert den Schulentwicklungsprozess

Dass in Deutschland innere und äußere Schulangelegenheiten in unterschiedlichen Händen liegen, ist historisch bedingt: Keine Ebene sollte mehr in der Lage sein, die Schulen zu dominieren und politisch zu instrumentalisieren. Deshalb sind für die äußeren Schulangelegenheiten, wie Gebäude, Infrastruktur und Technik, die Schulträger zuständig. Für die inneren Schulangelegenheiten, also das was in der Schule inhaltlich passiert, sind aber nicht die Schulen selbst verantwortlich, sondern die Kultusministerien der Bundesländer.

Spätestens die Pandemie, in der Bund und Länder mehr denn je versuchten, Schulen zentral zu steuern, hat deutlich gemacht, wie schwerfällig und behäbig das System zum Teil ist: Schulen, die die eigentliche Bildungsarbeit mit den Lernenden bewältigen, Kommunen, die inhaltlich vermeintlich nicht mitreden (dürfen) und die Bundesländer, die in vielen Fragen, die Aufgaben der Kommune übernehmen wollen.

Digitale Schulentwicklung mittels Medienkonzept und Medienentwicklungsplan …

Innerhalb dieses Akteursdreiecks hat sich für die technische Ausstattung mit digitalen Medien und deren pädagogisch-didaktische Einsatzplanung ein Verfahren etabliert, das in vielen Bundesländern ähnlich funktioniert, auch wenn die Begriffe mancherorts variieren.

So beschreibt die Medienentwicklungsplanung in einigen Bundesländern, wie ein Träger die digitale Ausstattung von Schulen vornimmt und in anderen Bundesländern bezeichnet derselbe Begriff die schulseitige Konzeption des pädagogischen Medieneinsatzes.

Grundsätzlich sind aber für das Verfahren zwei wichtige Dokumente zu unterscheiden:

  1. die Festlegung der Schulen, die beschreibt, wie sie mit digitalen Medien arbeiten wollen, welche Ausstattung sie dafür brauchen und welche Fortbildungsmaßnahmen dafür sinnvoll sind (in diesem Text Medienkonzept genannt);
  2. sowie die Ausstattungsplanung des Trägers, die die Anforderungen der Schulen bündelt und damit verdeutlicht, wofür etwa genehmigte Budgets in den kommenden Jahren verwendet werden und darüber hinaus ein Wartungs- und Support-Konzept aufzeigt (hier Medienentwicklungsplan).

Idealerweise bauen diese beiden Prozesse aufeinander auf und werden gemeinschaftlich entwickelt.

… mit Hindernissen

Das System hat jedoch ein paar Haken und Ösen: Für die Schulen ist es bei der Erarbeitung ihrer Medienkonzepte nicht leicht, ihre aktuelle pädagogische Praxis in die Zukunft zu projizieren. Sie erarbeiten quasi ein möglichst konkretes Hätte-Wäre-Wenn-Konzept: Was würden wir als Schule tun, wenn wir die beschriebene Ausstattung hätten?

Da die Ausstattung der Schulen oft nicht kontinuierlich, sondern zyklisch erfolgt, kann darüber hinaus nur träge auf technische Neuerungen reagiert werden. Auch der Dialog zwischen Schulen und und ihren Trägern findet nur selten laufend und im regelmäßigen Austausch statt. Im schlimmsten Fall wirkt sich das auf die Arbeit an den Medienkonzepten aus, wenn diese vordergründig für den Austausch mit dem Schulträger genutzt werden anstatt als kontinuierliches Werkzeug für die Schulentwicklung.

Problematisch ist darüber hinaus, dass das Medienkonzept häufig lediglich von pädagogischem Fachpersonal, wie zum Beispiel Medienberater:innen, überprüft wird. Die tatsächliche Nutzung oder gar Wirkung der bereitgestellten Technik wird nur selten untersucht. Nicht selten schreiben Medienentwicklungspläne auch, so sie denn in einer Kommune vorhanden sind, Ausstattungsstandards über viele Jahre fest. So kann es sein, dass ein Medienentwicklungsplan heute noch PC-Räume und Medienecken als Ziel der technischen Ausstattung formuliert. Zuletzt ist neben der technischen Ausstattung die Qualifizierung der Lehrkräfte ein nicht unerheblicher Faktor für guten Unterricht mit digitalen Medien. Diese liegt aber in der Hand der Länder und nicht in den Kommunen vor Ort. Das hat zur Folge, dass die Fortbildungsangebote oft nicht zu den Erwartungen und Ausstattungen der Schulen passen.

Zusammenarbeit ist eine Voraussetzung zur Verbesserung des Unterrichts

Bei allen Problemen und Kosten muss jedoch die Verbesserung des Unterrichts durch die Nutzung digitaler Medien – nicht nur in pandemischen Zeiten – ein vitales Interesse der Kommunen sein. Für sie ist es von entscheidender Bedeutung, dass Kinder und Jugendliche eine gute Ausbildung erhalten und so den Standort sichern. 

Mit einigen wenigen Veränderungen entsprechend des Prinzips der agilen Medienentwicklung kann die Zusammenarbeit von Schulträger und Schulen hinsichtlich der Ausstattung und Ausstattungsplanung aber so angepasst werden, dass sich die Unterrichtsqualität zeitgemäß, dynamisch und stetig entwickeln kann. Dabei können sich alle Beteiligten im Rahmen der aktuellen Gesetze und Vorschriften bewegen. Die aktive Kooperation und der Wille zur Zusammenarbeit sind dafür allerdings eine unabdingbare Voraussetzung.

Agile Medienentwicklung unterstützt den zeitgemäßen Schulentwicklungsprozess

Wie kann das Konzept der agilen Medienentwicklung digitale Schulentwicklungsprozesse unterstützen? Im Folgenden beschreibe ich dafür einige Beispiele:

  1. Schulen und Schulträger definieren gemeinsam eine Basisausstattung, die Schulen ohne zusätzliche Begründung abrufen können. Dies soll nicht die sinnvollen Medienkonzepte abschaffen, sondern Schulen im Gegenteil dazu befähigen, mit der Ausstattung eigene Erfahrungen zu sammeln, wenn deren pädagogischer Nutzen grundsätzlich erwiesen ist.
  2. Schulen und Schulträger verständigen sich auf eine gemeinsame Reflexion über die Nutzung der zur Verfügung gestellten Ausstattung. Hierzu definieren Schulen sogenannte Unterrichtsentwicklungsvorhaben, mit deren Hilfe die Ausstattung bewusst eingesetzt und erprobt werden kann. Auf diese Weise werden Medienkonzepte kontinuierlich aktualisiert und Erfordernisse in der Qualifizierung werden deutlich. Durch die gemeinsame Reflexion erhalten Schulen und Schulträger eine Grundlage zur Planung des weiteren Ausbaus von Ausstattung im Wechselspiel mit der pädagogischen Nutzung und regelmäßigen Fortbildung des Kollegiums.
  3. Da eine Basisausstattung aber nicht ausreicht, um das Lernen mit digitalen Medien stetig weiterzuentwickeln, brauchen Schulen die Möglichkeit neue Technologien experimentell zu erproben. Hierfür können Kommunen Gelder für Innovationsprojekte bereitstellen und Schulen ebenso Entwicklungsvorhaben definieren, über die am Ende gemeinsam reflektiert wird. Auch hier kann die Erfahrung einzelner Schulen genutzt werden, um die Basisausstattung aller Schulen zu erweitern oder zu aktualisieren.

Kooperation fördert vielfältige Einblicke, einheitliche Prozesse und gemeinschaftliches Lernen

Agile Medienentwicklung ist kein bilaterales Vorgehen zwischen Schulträger und einzelnen Schulen, sondern bringt bestenfalls alle Akteure zusammen. Das bedeutet unter anderem, dass sich in Netzwerken und professionellen Lerngemeinschaften Schulen mit ähnlichen Entwicklungsvorhaben zusammenfinden und die Nutzung von Basisausstattung in unterschiedlichen Settings erproben oder gemeinsame Innovationsvorhaben planen. Durch das gemeinsame iterative Überarbeiten und Erweitern der Ausstattungsplanung, werden einerseits vielfältige Einblicke ermöglicht und gehört. Andererseits kann der  Austausch auch Standardisierungsprozesse anstoßen.

Außerdem bietet die Zusammenarbeit in schulübergreifenden Lerngemeinschaften nicht nur die Möglichkeit, Ausstattung erfahrungsbasiert auf- und auszubauen, sie stellt auch eine wertvolle Ergänzung zur staatlichen Fortbildung dar: Im gemeinsamen Entwickeln, Erproben und Reflektieren lernen die Beteiligten voneinander. Darüber hinaus kann die Kommune Vernetzungsveranstaltungen, Barcamps und Ähnliches organisieren, über welche das Erfahrungswissen verbreitet werden kann und in den schulübergreifenden Austausch nach und nach immer mehr Personen einbezogen werden können.

Schulentwicklung als work-in-progress verstehen

Doch, so grundlegend und einfach diese Beispiele erscheinen, bedeuten sie in der Praxis oftmals noch weiteres Umdenken. Zum Beispiel bedarf es der Betreuung der vielfältigen Austauschformate des pädagogischen Personals in der Kommune. Hier definiert sich das Arbeitsfeld der Medienentwicklungsplaner:innen, die aktuell in vielen Kommunen angesiedelt werden. Die Schulaufsicht ist darüber hinaus ein Akteur, der die neue Art der Zusammenarbeit unterstützen oder auch blockieren kann. Ihn frühzeitig einzubinden, kann ein wichtiger Gelingensfaktor sein. Für viele Lehrkräfte ist das Arbeiten in schulübergreifenden oder selbst in schulinternen Lerngemeinschaften noch unbekanntes Terrain. Externe Moderator:innen können an dieser Stelle einen sanften Einstieg in die Lerngemeinschaften bieten. Später können auch Lehrkräfte als Moderator:innen qualifiziert werden.

Die Zusammenarbeit im Rahmen einer agilen Medienentwicklung rückt Schulen und Schulträger näher aneinander. Damit Vorbehalte, alte Denkmuster und Praktiken einer tragfähigen Zusammenarbeit nicht im Weg stehen, müssen die Austauschprozesse und Arbeitsweisen behutsam aufgebaut und entwickelt werden. Auch hier kann eine externe, neutrale Moderation eine wichtige Hilfe sein. Nicht zuletzt bedarf es des Personalausbaus in der Medienentwicklung und im Support, denn ein limitierender Faktor in der digitalen Entwicklung unserer Schulen ist häufig der Mangel an Ressourcen. Außerdem werden Mittel für kontinuierliche Ersatzbeschaffungen durch aktuelle Förderprogramme wie dem DigitalPakt Schule nicht abgedeckt und auch die Kommunen werden dieses Budget dauerhaft nicht aufbringen können. Die Bertelsmann Stiftung hat dazu eine Studie vorgelegt, in der dieser Bedarf beziffert wird. Die Unterstützung durch die Länder – aber auch durch den Bund – müsste deshalb verstetigt werden. Gleichzeitig förderte es den Bürokratieabbau, wenn die Mittel nicht immer wieder in neuen Förderprogrammen nach aufwendigen Antragstellungen zu Verfügung gestellt werden, sondern Schulträgern eine Regelfinanzierung zur technischen Ausstattung ihrer Schulen ermöglicht wird.

Kommunale Entwicklungsprozesse mit externer Moderation unterstützen

Agile Medienentwicklung ist kein Kochrezept. Jeder Schulträger und jede Kommune muss die Zusammenarbeit mit ihren Schulen hier eigenständig entwickeln und verstetigen. Das learninglab hat dies bereits seit 2014 in zahlreichen Schulnetzwerken entwickelt und steht als beratender Partner zur Verfügung. Das Konzept der agilen Medienentwicklung wird im „Handbuch Lernen mit digitalen Medien“ von Gerold Brägger und Hans-Günther Rolff (Beltz, 2021) ausführlich vorgestellt.

Richard Heinen

Richard Heinen ist Geschäftsführender Gesellschafter der learninglab GmbH. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Schulentwicklung im digitalen Wandel, die Vernetzung von Schulen in diesen Transformationsprozessen sowie die Entwicklung von offenen Lernmaterialien und der dafür erforderlichen Lerninfrastrukturen.