Gastbeitrag

Chancen und Hürden der Systembetreuung im Digitalisierungsprozess

von Stephan Graßmann
veröffentlicht am 22.09.2023
Lesezeit: 11 Minuten

Wie kommt die Digitalisierung eigentlich in die Schulen? Wie und von wem wird sie vor Ort umgesetzt? Und welche Chancen, aber auch Schwierigkeiten sind damit verbunden? Entscheidend für den Weg zur Gestaltung von Schulen als lebendige, zukunftsträchtige und digitale Lernumgebungen, ist die Arbeit von Systembetreuer:innen. Sie setzen den Digitalisierungsprozess vor Ort um, sind in ihrem Handlungsspielraum aber strukturell deutlich limitiert. Eine Konstellation, die sich letztendlich auch auf die Umsetzungsqualität der Digitalisierung in den Schulen auswirkt.

Die Digitalisierung gilt als einer der umfänglichsten gesellschaftlichen Transformationsprozesse der Gegenwart. Durch sie hat sich nicht zuletzt auch die Art und Weise, wie wir Informationen erwerben, teilen und anwenden, stark verändert. Schulen sind dadurch gleich in mehrfacher Hinsicht von ihr betroffen. Als Sozialisationsinstanz zwischen Wissensvermittlung und Erziehungsauftrag sind sie sowohl Adressat als auch Akteur und zudem noch Resonanzkörper der Digitalisierung. Dieses mehrdimensionale Verhältnis zur Digitalisierung resultiert für Schulen in dem Erfordernis, Methoden und Ansätze kontinuierlich anzupassen und weiterzuentwickeln. Über diesen Anpassungsdruck hinaus bietet die Digitalisierung aber natürlich auch Potenziale und Möglichkeiten, die Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit zu verbessern und zu fördern. So ist die Digitalisierung nicht von ungefähr ein zentraler Aspekt bildungspolitischer Zielsetzungen und Entscheidungsfindungen geworden.

»Eine sinn- und wirkungsvolle Integration digitaler Technologien in Schulen geht weit über die einfache Implementation von Hardware und Software hinaus.«

Stephan Graßmann

Um aber Schulen als Orte des Wissens, der Ideen und der kreativen Entfaltung zu gestalten, ist es nicht nur wichtig, dass digitalisiert wird, sondern vor allem, wie digitalisiert wird. Eine sinn- und wirkungsvolle Integration digitaler Technologien in Schulen geht weit über die einfache Implementation von Hardware und Software hinaus. Hingegen ist ein tiefgreifendes Verständnis der sozialen Dynamiken und Strukturen, aber auch spezifischer Anforderungen und Erwartungen nötig, um die Digitalisierung vor Ort bedarfs- und schulgerecht zu gestalten. Der Weg zur Gestaltung von Schulen als lebendige, zukunftsträchtige und digitale Lernumgebungen ist dementsprechend mit vielfältigen großen und kleinen Herausforderungen gepflastert. Denn Digitalisierung ist weder Selbstläufer noch ereignet sie sich im luftleeren Raum. Sie wird von Menschen intendiert, initiiert, reguliert und implementiert und dadurch erst realisiert. 

Eine wesentliche Rolle in diesem Prozess kommt den Systembetreuer:innen an den Schulen zu. Systembetreuer:innen, mitunter auch als pädagogische IT-Koordinator:innen oder IT-Betreuer:innen bezeichnet, sind Lehrkräfte, die sich neben ihrer Lehrtätigkeit mit der Betreuung der schulischen IT-Systeme befassen. Da dieser Beitrag auf einer 2021 durchgeführten Studie zur Arbeit von Systembetreuer:innen basiert („Systembetreuung im schulischen Digitalisierungsprozess: Mehr Verwaltung als Gestaltung“, als Open Access hier verfügbar), werden hier die Begriffe Systembetreuung und Systembetreuer:innen verwendet.

Das wohl grundlegendste und zentrale Merkmal der Arbeit von Systembetreuer:innen besteht in ihrer Doppelrolle, in der sie sowohl pädagogische als auch IT-Verantwortung tragen.  Einer in Vollzeit arbeitenden Lehrkraft steht dabei eine vergütete Arbeitszeit von maximal acht Stunden pro Woche für die Systembetreuung zur Verfügung. Dabei sind die Tätigkeitsbereiche breit gefächert und erstrecken sich von einer organisatorischen bzw. koordinativen Funktion über die pädagogische (Selbst-)Ausbildung und Vermittlung digitaler Inhalte sowie technischer Kenntnisse bis hin zum Tätigkeitsfeld „klassischer“ Systemadministrator:innen, etwa der Identifizierung von Problemen oder Störungen sowie der Instandhaltung der technischen Infrastruktur.

Systembetreuung als Brückenbauer in der Digitalisierung zwischen vielfältigen Ansprüchen und organisationalen Bedingungen

Seit ihrer Einführung hat sich die Systembetreuung in den letzten 20 Jahren zu einer zentralen Aufgabe im Digitalisierungsprozess in Schulen (weiter-)entwickelt. Dabei ist das spezifische Tätigkeitsfeld der Systembetreuung von Schule zu Schule zuweilen sehr unterschiedlich abgesteckt und eingebettet. Unter anderem ist sie dafür verantwortlich, die IT-Infrastruktur zu planen, aufzubauen und zu warten, um einen reibungslosen Betrieb der digitalen Systeme sicherzustellen. Neben dem technischen Support spielt sie zudem eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Lehrkräfte  im Umgang mit digitaler Technik. Dazu bieten Systembetreuer:innen z. B. Schulungen und Fortbildungen an, um die Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien zu stärken und deren effektive Integration in den Unterricht zu fördern.

»Es ist gerade die Position zwischen den Stühlen, die es Systembetreuer:innen ermöglicht, ein umfassendes Verständnis für die Perspektiven der unterschiedlichen Stakeholder zu entwickeln.«

Stephan Graßmann

Systembetreuer:innen lässt sich ohne Zweifel eine Schlüsselposition im Digitalisierungsprozess an Schulen zuschreiben. Denn in ihrer Rolle agiert die Systembetreuung als Bindeglied, Vermittlungsinstanz und Mediator zwischen den Bedürfnissen der Lehrkräfte, der Schüler:innen, der Elternschaft, der Schulleitung, des Schulträgers sowie IT-Dienstleistern und den technischen Aspekten der digitalen Transformation. In der Vermittlung zwischen diesen unterschiedlichen Bedürfnissen, Erwartungen und Anspruchslagen besteht zugleich auch die zentrale Funktion der Systembetreuung. Es ist gerade die Position zwischen den Stühlen, die es Systembetreuer:innen ermöglicht, ein umfassendes Verständnis für die Perspektiven der unterschiedlichen Stakeholder zu entwickeln. Durch ihre soziale Position bildet sich im Vermittlungsprozess zudem ein Spezialwissen heraus, das für eine erfolgreiche schulische Digitalisierung von unschätzbarem Wert ist. Dementsprechend fließen in der Systembetreuung eine Vielzahl unterschiedlicher Wissensstände und Informationsstränge zusammen, die z. B. beinhalten können, welche Technik sich von wem wo gewünscht wird, welche Kolleg:innen wie mit welcher Technik umgehen oder wie es um die technische oder finanzielle Umsetzbarkeit einer Anschaffung bestellt ist.

Obgleich dieser günstigen Bedingungen sind Erfolg und Misserfolg schulischer Digitalisierung jedoch nicht allein an die individuellen Fähigkeiten der Systembetreuer:innen gekoppelt. Im Gegenteil sind es viel eher die organisationalen Struktur- und Rahmenbedingungen, innerhalb derer Systembetreuer:innen agieren, die darüber entscheiden, welche Freiheitsgrade und Handlungsräume sie für die Ausübung ihrer Tätigkeit und die Gestaltung der Digitalisierung haben. Wie sich organisationale Strukturmerkmale auf die Arbeitspraxis von Systembetreuer:innen (und damit letztlich auch auf die Digitalisierung der Schulen) auswirken, lässt sich etwa am Beispiel der Arbeitsbelastung gut verdeutlichen.

Der Tanz auf dem (digitalen) Flickenteppich – vom Jonglieren, Balancieren und Priorisieren von Herausforderungen, Aufgaben und Ressourcen

Die Aufgaben der Systembetreuung sind vielseitig und anspruchsvoll. Oftmals stößt sie dabei aufgrund begrenzter schulinterner Ressourcen an ihre Grenzen, sei es aufgrund knapper personeller Kapazitäten oder fehlender Fachexpertise in spezialisierten IT-Bereichen – denn als „professionelle Laien“ sind Systembetreuer:innen letztlich keine ausgebildeten Fachkräfte. Hinzu kommt, dass sich die IT-Ausstattung und Infrastruktur der meisten Schulen als ein digitaler Flickenteppich darstellt, in dem sich über Jahrzehnte (sukzessiv) gewachsene und nicht von vornherein konzipierte Digitalisierungspraktiken widerspiegeln. Diese individuellen Ausstattungen an vielen Schulen verlangen wiederum ein weitreichendes Verständnis für die Architektur und die Funktionsweise der jeweiligen IT-Systeme und ihres Zusammenspiels. Das dafür erforderliche spezifische fachliche Wissen müssen sich die Systembetreuer:innen oftmals zeit- und arbeitsintensiv selbst beibringen. Gibt es keine umfassenden Kooperationsverträge mit externen Dienstleistern, führt diese Situation nicht selten dazu, dass Aufgaben, die eigentlich nicht in den Kompetenzbereich der Systembetreuung fallen, letztlich doch durch sie bewerkstelligt werden müssen, da der Zeitaufwand, das komplexe IT-System einem externen Dienstleister zu erklären, dem zeitlichen Aufwand, ein Problem selbst zu lösen, gleichkommt oder sogar übersteigt. 

Dabei ist das eigentliche Problem, auf das man hier stößt, weder die fehlende Expertise noch die (omnipräsente) Zeitnot in der Systembetreuung. Denn beide Problemlagen sind Symptome der dahinterstehenden strukturellen Vorbedingungen, die sich vor allem auf die funktionale Ausrichtung der Systembetreuung an Schulen zurückführen lässt: Denn der konzeptionelle Grundgedanke und der arbeitstechnische und funktionale Kernbereich der Rolle der Systembetreuung hat sich nicht im gleichen Maße und in der gleichen Geschwindigkeit entwickelt wie die Technisierung und Digitalisierung an den Schulen vorangeschritten ist. Schulen verfügen inzwischen über IT-Ausstattungen, die mit kleinen mittelständischen Unternehmen vergleichbar sind. Während in der Wirtschaft ganze Abteilungen oder zumindest Vollzeitarbeitskräfte beschäftigt werden, liegt diese Aufgabe in Schulen in den Händen der Systembetreuung (und freiwilligen Helfer:innen). Mit einem durchschnittlichen Zeitkontingent von fünf bis acht Stunden pro Woche, gilt es nicht nur die technische Infrastruktur zu warten, sondern auch den pädagogisch-didaktischen Aufgaben gerecht zu werden. 

Dass die Zunahme an Komplexität und Volumen der Arbeitsinhalte in den letzten 20 Jahren nicht in der Kalkulation der dafür zur Verfügung stehenden Arbeitszeit berücksichtigt wird, zeigt sich in vielen Schulen in der Arbeitsbelastung der Systembetreuer:innen. So kommt es entweder zu einer Anhäufung unbezahlter Mehrarbeit oder zu einer stockenden Digitalisierung, da die anfallende Arbeit das leistbare Arbeitsmaß übersteigt. Die fortwährende Zeitnot stellt Systembetreuer:innen letztlich vor das Dilemma, sich zwischen (unbezahlter) Mehrarbeit in Form von Überstunden oder einer in ihren Augen und ihren Ansprüchen ungenügenden Aufgabenerfüllung entscheiden zu müssen. Diese Diskrepanz löst sich schließlich in einer (arbeits- und aufgabenbezogenen) Prioritätslogik auf, die sich in erster Linie auf die Sicherung der Funktionalität der Schule fokussiert und nicht auf die Gestaltung der Digitalisierung vor Ort. Mit anderen Worten erschöpft sich das Arbeitszeitkontingent zumeist schon darin, die vorhandene Technik in der Schule funktionstüchtig zu halten, anstatt sich auf gestalterische Aspekte jenseits dieser Tätigkeiten konzentrieren zu können.

Kooperation als Schlüssel zur bedarfsgerechten Schul-Digitalisierung: Herausforderungen und Chancen in der Zusammenarbeit.

Für die Systembetreuung sind die Arbeitsinhalte in den Schulen komplexer und das Arbeitsvolumen in den letzten Jahren größer geworden, wohingegen sich das Aufgabenspektrum der Systembetreuung nicht reduziert hat. Kooperation ist in der gelebten Praxis daher ein zentraler Baustein funktionaler Arbeitsteilung und nicht selten Voraussetzung für die Bewerkstelligung des Arbeitspensums in der Systembetreuung. Oftmals lassen sich an Schulen daher neben Systembetreuer:innen noch weitere Personen finden, die sich in diesem Bereich engagieren und es so überhaupt erst ermöglichen, „den Laden am Laufen zu halten“. Kooperation, sei es mit Kolleg:innen vor Ort oder mit externen Dienstleistern, kann daher eine Möglichkeit darstellen, die Digitalisierung von Schulen bedarfsgerechter zu gestalten. 

Die oben genannte Studie zeigt deutlich, zu welchen strukturellen Schieflagen unterschiedliche Kompetenzverteilungen zwischen schulischer Systembetreuung und externen Dienstleistern führen können – etwa, wie sich die Arbeitsbelastung im Bereich technischer Supportleistungen negativ auf die Digitalisierungsqualität auswirken kann. Gleichzeitig mangelt es den Schulträgern und den von ihnen beauftragten externen Dienstleistern, oftmals an Wissen oder schlichtweg an arbeitstechnischen oder finanziellen Ressourcen, um die individuellen Bedingungen vor Ort zu berücksichtigen. Eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen IT-Dienstleistern und der Systembetreuung kann die Arbeitsbelastung gerade im Bereich des technischen Supports reduzieren und gleichzeitig die Schnittstellenfunktion der Systembetreuung weiter stärken. 

Insbesondere in der Zusammenarbeit mit Kolleg:innen und Externen bildet sich wichtiges Know-how und Kontextwissen heraus, das für die Digitalisierung essenziell ist. Dieses Spezialwissen akkumulieren viele Systembetreuer:innen nebenbei in ihrer Arbeitspraxis. Gleichzeitig ist dieses Spezialwissen ein fehlendes Puzzleteil im Know-how externer Dienstleister sowie der Schulträger. Hier versteckt sich jedoch eine Zwickmühle für die generelle Digitalisierungspraxis: Individuelle Lösungen sind zeitintensiv und kostspielig. „One-fits-all-solutions“ oder pauschale Patentlösungen sind oft nicht passgenau für die einzelnen Schulen und werden daher zumeist auf Kosten vermehrter Kompensationsleistungen seitens der Belegschaft oder der Systembetreuer:innen erkauft. So kommt es etwa immer wieder vor, dass Computersysteme angeschafft werden, die den Anforderungen vor Ort nicht gerecht werden und dadurch einen erhöhten Arbeitsaufwand nach sich ziehen, um die Auswirkungen dieser Dysfunktionalitäten auszugleichen.

Systembetreuung als Brücke zwischen kollektiven und individuellen Ansprüchen der Digitalisierung an Schulen

Welche Rückschlüsse lassen sich nun aus diesen Ergebnissen ziehen? Um einerseits das Dilemma zwischen Generalisierung und Standardisierung der Digitalisierung und andererseits die nötigen individuellen Lösungsansätze für Schulen im Einzelfall herauszuarbeiten, braucht es intensive Zusammenarbeit und Kommunikation. Darüber hinaus sind verlässliche Konzepte im Hinblick auf die technische Unterstützung für den Betrieb der IT-Systeme notwendig. Möglichkeiten bestehen etwa in der Förderung interner IT-Fachkräfte und der Gewinnung weiterer Lehrkräfte für diesen Aufgabenbereich oder auch in der Zusammenarbeit bzw. Auslagerung an externe IT-Partner und Dienstleister. Gleichzeitig sollten bei der Finanzierung letztlich mehr Mittel für den Service und den Betrieb der schulischen IT einkalkuliert werden.   

In beiden Fällen bietet eine Reduktion der Arbeitsbelastung der Systembetreuer:innen im technischen Bereich und eine Stärkung ihrer Schnittstellenposition die Chance, die Digitalisierung an Schulen qualitativ voranzubringen. Denn durch ihre Tätigkeit und funktionale Stellung besitzen Systembetreuer:innen ein einmaliges Know-how und Expert:innenwissen. Dieses Wissen reicht von der genauen Kenntnis spezifischer Hard- und Software-Konfigurationen vor Ort über Potenziale, Möglichkeiten und Hemmnisse für bestimmte Digitalisierungsprojekte bis hin zum Nutzungsverhalten sowie den Erwartungshaltungen, Bedürfnissen und Wünschen der Kolleg:innen und Schüler:innen vor Ort. Für eine gelingende digitale Transformation gilt es daher, gerade dieses Wissen zu nutzen und in den Digitalisierungsprozess einfließen zu lassen. Denn es kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob und wie gut Digitalisierung vor Ort funktioniert.

Stephan Graßmann

Stephan Graßmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologie (Technik – Arbeit – Gesellschaft) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Nach seinem Studium an der Universität Würzburg und der FAU wurde er für seine Abschlussarbeit mit dem BDS-Award des Berufsverbands Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V. ausgezeichnet. Aktuell forscht er im Rahmen eines BMBF-geförderten Projekts zu den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz in der Medizin (www.vukim.de).

stephan.grassmann@fau.de